Unternehmen können Gewinne erwirtschaften und sozial nachhaltig sein, sagt Ringler. In Alpbach sollen bald wieder verschiedene Menschen und Perspektiven aufeinandertreffen, um über bestehende Menschheitskrisen zu diskutieren.

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Man kann auch als Unternehmen die Welt besser machen, ist Marie Ringler überzeugt. Seit über zehn Jahren ist sie beim Sozialunternehmernetzwerk Ashoka aktiv, zuerst als Österreich-, später als Europachefin. Vergangenes Jahr holte sie der neue Alpbach-Präsident Andreas Treichl ins Präsidium. Ihre Überzeugung will sie auch dort weitertragen.

STANDARD: Frau Ringler, Sie waren fast zehn Jahre in der Politik. Vermissen Sie es?

Ringler: Nein. (lacht lange) Ich glaube, dass das politische System eines ist, das sehr oft von den Grenzen im Kopf beschränkt ist. Das Schöne am Sozialunternehmertum ist, umringt von Menschen zu sein, die immer groß denken.

STANDARD: Heißt das, dass man in der Wirtschaft mehr verändern kann als in der Politik?

Ringler: Soziales Unternehmertum bedeutet ja nicht ausschließlich, ein For-Profit-Interesse mit gesellschaftlicher Wirkung umzusetzen, sondern es ist ja im Großen gedacht zivilgesellschaftliches Engagement. Das kann nur funktionieren, wenn Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zusammenarbeiten. An dieser Schnittstelle bringe ich meine Wirkung hinein – und das ist wirklich spannend.

STANDARD: Manche meinen, Unternehmen können nur sozial oder nachhaltig sein, wenn die Politik sie dazu verpflichtet.

Ringler: Das ist ein totaler Blödsinn. Es ist ein Missverständnis, unsere Gesellschaft fordistisch zu organisieren. Gesellschaftliche Veränderung funktioniert nicht in strenger Arbeitsteilung. Langsam merkt die Welt, dass wir nicht nur in Silos denken dürfen. Das haben wir im 20. Jahrhundert gemacht, und es war kein Erfolgsmodell.

STANDARD: Sind Unternehmer nicht dazu gezwungen, in diesen Silos zu denken? Aktionäre interessieren nur die harten Zahlen.

Ringler: Diese Zwänge sind in unserem Kopf! Auch wenn börsennotierte Unternehmen einer gewissen kapitalistischen Denkweise ausgesetzt sind, können sie jeden Tag Entscheidungen treffen. Der Niederländer Jos de Blok mit seiner Firma Buurtzorg ist ein wunderbares Beispiel. Er zeigt, dass Pflege zu Hause auch anders, menschlich funktionieren kann. Trotzdem macht er 430 Millionen Euro Umsatz und hat 14.000 Mitarbeiter, die ihn regelmäßig zum beliebtesten Arbeitgeber der Niederlande wählen. Unternehmen hingegen, die langfristig ausschließlich den Profit zum Schaden der Gesellschaft priorisieren, wird es nicht mehr lange geben. Das sieht man auch.

STANDARD: Sie sind seit letztem Jahr im Präsidium des Europäischen Forum Alpbach. Was wollen Sie anders machen?

Ringler: Wir wollen uns ein Stück auf die Ursprungsidee von Alpbach rückbesinnen. Im Jahr 1945 auf der Alm zu sitzen, wo in vielen Teilen Europas noch Krieg war, und sich zu fragen: Was ist das Europa, das wir aus den Trümmern bauen wollen? Das ist wahnsinnig inspirierend. Wir wollen den Dialog zwischen den Disziplinen verstärken. Europa braucht einen Ort, wo es neu erfunden wird – und zwar jedes Jahr.

STANDARD: Implizieren Sie damit, dass in den vergangenen Jahren viel falsch gelaufen ist?

Ringler: Ich glaube schon, dass Alpbach in den vergangenen Jahren sehr auf Österreich fokussiert war. Die Struktur aus getrennten Wirtschafts- und Politikgesprächen hat zum Beispiel nicht geholfen, dass über Sektoren miteinander geredet wurde. Die Lösungen liegen auf dem Tisch. Die Welt ist voll mit gescheiten Menschen, die wissen, was zu tun ist – egal ob es um Klimakrise, Soziales oder die Zukunft Europas geht. Aber es wird immer noch zu stark in den Elon Musks dieser Welt gedacht. So cool er auch ist – von den Teslas in Kalifornien hat in Bangladesch niemand etwas. Wir brauchen Lösungen, die "multisolving" sind, also mehrere Probleme mit einem Schlag lösen. Dafür müssen wir die richtigen Leute zusammenbringen.

STANDARD: Gehört zu sozialer Verantwortung nicht auch dazu, alle am Diskurs teilnehmen zu lassen? Alpbach ist als elitäre Veranstaltung verschrien.

Ringler: Das ist legitime Kritik, über die wir viel nachdenken. Die großen Fragen können wir natürlich nur diskutieren, wenn wir eine Vielfalt von Perspektiven haben. Covid macht uns da leider einen Strich durch die Rechnung, weil wir auch dieses Jahr limitiert sind, wer nach Alpbach reisen kann. Wir versuchen mit den Limitationen, die uns die Pandemie auferlegt, kreativ umzugehen, etwa mit hybriden und Online-Sessions. Und wir werden dem persönlichen Gespräch besonderen Raum geben, denn wir sehnen uns alle nach der Art von kreativem Dialog, den man über Zoom nicht hat. Darauf freue ich mich besonders. (Philip Pramer, 20.7.2021)