"Private Song" von Alexandra Bachzetsis wirkt als Produktion gereift. Nun sitzt jede Pose, jedwede Geste.

Foto: Mathias Voelzke

Souveräne Auftritte legt die griechisch-schweizerische Choreografin und Tänzerin Alexandra Bachzetsis (46) bei ihren Arbeiten allemal locker hin. Aber wenn sie zu Beginn ihres Stücks Private Song in ihre Coolness auch gleich noch eine wohltemperierte Provokation implementiert, geht das durchaus als zusätzliches dramaturgisches Goodie durch.

Bachzetsis steigt im hautengen schwarzen Latexkleid, dessen Oberfläche matt wie ein Autoreifenschlauch ist, von der Bühne, winkt einen jungen Mann aus der ersten Reihe mit dem Zeigefinger zu sich und drückt ihm eine Sprühdose in die Hand. Er soll sie schön nass machen, sagt sie. Dann glänzt der Schlauch, und seine Trägerin wird zum wandelnden Fetisch. Der Mann darf sich wieder setzen.

Die ganze Ambivalenz

Dieser Anfang im grandios morbiden Odeontheater ist der Auftakt des Wiener Impulstanz-Festivals. Keine Erstaufführung, im Gegenteil, Private Song war bereits vor zwei Jahren im Tanzquartier Wien zu sehen. Die Uraufführung hatte bei der Documenta 14 stattgefunden, die unter der Leitung von Bachzetsis’ Lebensgefährten Adam Szymczyk stand. Zur Festivaleröffnung nicht gleich mit einer Premiere aufzutrumpfen gehört zur Tradition von Impulstanz. Außerdem zeigt Private Song beinahe programmatisch die ganze Ambivalenz unserer Gegenwart, in der umfassender Kommerz und energische Emanzipationsbestrebungen einander nicht widersprechen.

Beim Festivalprogramm bestimmt diese Zwiespältigkeit den Inhalt mehrerer Produktionen, darunter Meg Stuarts Cascade, die erste große Uraufführung im Festival, oder Maguy Marins Umwelt.

Lässige Klamotten

Darüber hinaus bringt Alexandra Bachzetsis ihre schweizerische und – vor allem – ihre griechische Identität ins Spiel. Ausgiebig frönt das Trio aus einer Frau und zwei Männern den Gefühlen aus der Rembetiko-Musik mitsamt dem dazugehörenden Tanz. Die feschen Leute in ihren lässigen Klamotten verstricken sich in eine Ménage-à-trois. Allerdings ohne als Trio infernal ins Desaster zu schlittern – obwohl bei den Rembetiko-Liedern reichlich von Streit und Reinen-Tisch-Machen oder der "krummen Gasse des Lebens" gesungen wird.

Private Song ist in seiner Aufführungsqualität auf jeden Fall gereift. Nun sitzt jeder Moment, jede Geste, jeder Ton. Ausgefeilt sind das Timing, die Posen und die wohlkalkulierten Blicke ins Publikum. Diese ästhetische Perfektion passt zu jener der Fotografien von Dieter Blum, die jetzt bis Festivalende im Odeon-Foyer als Erinnerungen an Ismael Ivo ausgestellt sind.

Bis zum letzten Platz

Blum zeigt intensive Momente aus Ivos Tänzerkarriere auf eine Art, die dem Publikum – wie Bachzetsis – den Zwiespalt zwischen zeitkritischem Tanz und der Überhöhung des Körpers vor Augen führt. Am Eröffnungsabend waren die Sitzreihen des Odeon bis zum letzten Platz gefüllt. Vereinzelte Zuschauerinnen und Zuschauer trugen Mund-Nasen-Schutzmasken. Zur Erinnerung: Ismael Ivo, der Mitgründer von Impulstanz, ist wie berichtet im April dieses Jahres an einer Covid-19-Infektion gestorben. (Helmut Ploebst, 17.7.2021)