Verletzt, in Trauerkleidung und mit kugelsicherer Weste kehrte Martine Moïse, die Frau des ermordeten Präsidenten Haitis, in die Heimat zurück.

Foto: AFP / Michel Jr. Dessources

Es ist eine recht pittoreske Gruppe, die ersten Ermittlungen zufolge hinter dem Mord an Haitis Präsidenten Jovenel Moïse stecken soll: ein bankrotter Prediger und Arzt, eine winzige venezolanische Sicherheitsfirma und ein Vermögensberater – alle mit Sitz in Miami, dem Zentrum des haitianischen Exils.

Das Puzzle, das Ermittler am Freitag vorlegten, ist noch unvollständig, zeichnete aber folgendes Bild: Christian Sanon, ein zwischen Haiti und den USA pendelnder 62-jähriger Arzt und Prediger, habe vor Monaten mit einer Gruppe Szenarien für einen Regierungswechsel und Wiederaufbau des krisengeschüttelten Karibiklandes entworfen. Mehrere Teilnehmer der Videokonferenzen stritten jedoch gegenüber Journalisten ab, dass dabei jemals von einem Putsch oder Mord am Präsidenten die Rede gewesen sei. Unter den Teilnehmern war auch ein UN-Berater.

Waffen und Munition

Im Haus Sanons in Port-au-Prince hat die Polizei eigenen Angaben zufolge nach dem Attentat Waffen und Munition sichergestellt. Sanon habe sich als politisch gut vernetzter Mann präsentiert, sagte Parnell Duverger, ein pensionierter Wirtschaftsprofessor und Teilnehmer an den virtuellen Konferenzen. Man habe Zukunftsszenarien und Übergangskabinette nach einem Rücktritt Moïses entworfen. Er sei davon ausgegangen, Sanon könne Premierminister werden, sagte er der New York Times. Im Nachhinein betrachtet sei er wohl naiv gewesen.

Sanon soll sich zumindest einmal in der Dominikanischen Republik mit den Ausführenden des Coups getroffen haben, unter ihnen der venezolanische Besitzer der in Miami ansässigen Sicherheitsfirma CTU, Antonio Intriago. CTU hatte 21 kolumbianische Söldner angeheuert, denen vorgeworfen wird, in den Mord verwickelt zu sein.

Zweiter Teilnehmer soll der mutmaßliche Finanzier des Mordes gewesen sein, Walter Veintemilla, ein kleiner Investmentberater aus Florida. Keiner der beiden äußerte sich zunächst öffentlich zu den Vorwürfen. Journalisten fanden die Geschäftsräume verlassen vor.

Dritter Teilnehmer des Treffens soll ein haitianisch-amerikanischer Sicherheitsberater gewesen sein, James Solage, der nach dem Mord mit den Söldnern festgenommen worden war und sich als deren Übersetzer präsentiert hatte. Unklar ist, wie eine solche Regierung hätte eingesetzt werden können, zumal Sanon auf Haiti weder bekannt war, noch über politische Netzwerke verfügte. "Wenn man sich diese Leute so anschaut, und einige davon kenne ich gut, so sind sie eher nicht die dicken Fische", sagte der für Wahlen zuständige Minister Mathias Pierre der Agentur Bloomberg.

Vorwürfe gegen Bodyguards

Eine weitere Spur, die das FBI laut einem Bericht der kolumbianischen Zeitung El Tiempo verfolgt, führt zum Sicherheitsdienst des ermordeten Moïse. Dessen Leibgarde war in der Tatnacht wie vom Erdboden verschluckt. Es gab weder einen Schusswechsel, noch wurde ein einziger Polizist oder Bodyguard des sonst stets schwer bewachten Präsidenten verletzt. Weil er keine schlüssige Erklärung dafür vorlegen konnte, erging inzwischen Haftbefehl gegen den Chef der Präsidentengarde, Dimitri Herard.

Kolumbianische und US-Ermittler vermuten dem Bericht zufolge, dass die Söldner – oder einige von ihnen – in eine Falle gelockt wurden. Nach Aussagen von Angehörigen hatten manche der inhaftierten Kolumbianer überhaupt keine Ahnung, welche Aufgabe sie erwartete; anderen wurde gesagt, sie sollten wichtige Persönlichkeiten in Haiti bewachen und die Polizei unterstützen.

Die meisten reisten zwischen Mai und Juni in Haiti ein und trafen sich zumindest einmal auch mit Sanon, Solage und Veintemilla. Eine Schlüsselrolle spielte offenbar der kolumbianische Anwerber Capador, der jedoch zusammen mit zwei weiteren Söldnern bei der Festnahme durch die Polizei am Tag nach dem Mord getötet wurde.

Videoaufzeichnungen vom Tatort zeigen, wie ein Kommando der Söldner um 2:45 Uhr an der Villa Moïses ankommt – zu dem Zeitpunkt war er jedoch der Autopsie zufolge bereits tot. Zwischen drei und sieben sollen in das Haus gegangen sein, der Rest sicherte das Gebäude ab. Nachbarn hatten zwischen ein und zwei Uhr Schüsse und Explosionen gehört.

Aufruf von Diplomaten

Nach Angaben des Friedensrichters, der die Autopsie machte, hatte Moïse zwölf Kugeln im Körper, seine Beine waren gebrochen, ebenso die Schädeldecke, und die Zimmer waren völlig durcheinander. Seine Frau Martine war bei dem Attentat durch mehrere Kugeln verletzt und in ein US-Krankenhaus eingeliefert worden. Am Samstag kehrte sie nach Haiti zurück, um am Begräbnis ihres Mannes teilzunehmen, wie es aus dem Büro von Premier Claude Joseph hieß.

Eine Gruppe von Botschaftern, darunter die Vertreter der EU, Deutschlands, Frankreichs und der USA, forderten am Samstag die Bildung einer Regierung durch den designierten Premier Ariel Henry. Er war von Moïse designiert, aber noch nicht vereidigt worden. (Sandra Weiss, red, 18.7.2021)