Kanzlerkandidat Armin Laschet in Gummistiefeln – wie schon Gerhard Schröder im Hochwasserjahr 2002.

Foto: Land NRW / Ralph Sondermann

Robert Habeck, der Chef der deutschen Grünen, twittert ja seit dem Jahr 2019 gar nicht mehr. Zu schnell, zu hitzig ist ihm diese Form der Kommunikation geworden.

Was man mit einem unbedachten Tweet auslöst, das erlebt gerade sein Parteikollege, der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz. Er hat angesichts des katastrophalen Starkregens in Deutschland via Twitter erklärt, dass die Grünen die Einzigen seien, die sich für Klimaschutz einsetzten. "CDU: Kein Tempolimit! / FDP: Der Markt + synthetische Kraftstoffe regeln das / SPD: Can’t touch this: Kohle + Nordstream2 / Die Linke: Was’n jetzt mit Sahra? / Grüne: Klimaschutz Prio Stufe 1", schrieb er und erntete umgehend einen Shitstorm mit eindeutigem Tenor: Es gibt dutzende Tote, und von Notz versucht, daraus für seine Partei Kapital zu schlagen. Von Notz löschte seinen Zeilen und zeigte sich reumütig: "Eine solche Situation eignet sich für polemische Tweets überhaupt nicht."

Es ist ganz klar: Die Folgen des extremen Starkregens in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz werden Auswirkungen auf den deutschen Wahlkampf haben. "Keine Frage: Die Wetterextreme, die wir gerade erleben – nun auch vor der eigenen Haustür –, verleihen diesem Thema mehr Gewicht", sagt Thorsten Faas, Politikwissenschafter an der Freien Universität Berlin.

Echte Zeitenwende

Bisher bot sich den Deutschen ein eher seltsamer Wahlkampf, der inhaltlich nicht in Schwung kam – was verwunderte. Denn in Deutschland steht diesen Herbst eine wirkliche Zeitenwende bevor. Nach 16 Jahren verlässt Angela Merkel das Kanzleramt – freiwillig. Sie hat dies im Herbst 2018 nach einer Serie schlechter CDU-Wahlergebnisse entschieden und angekündigt. Den CDU-Vorsitz hatte sie schon Ende 2018 abgegeben.

Um das deutsche Kanzleramt bewerben sich erstmals nur "Novizen". Es ist kein amtierender Regierungschef und keine amtierende Kanzlerin im Rennen. Wohin geht die größte Volkswirtschaft Europas nach der Ära Merkel? Wird sie dunkelgrün? Oder nur ein bisschen hellgrün? Das sind die Fragen, auf die sich viele eigentlich Antworten erhoffen.

Doch viel ist noch nicht durchgedrungen. Zwar stand bisher die erste Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, im Fokus – aber nicht mit ihren Klimaschutzkonzepten. Vielmehr staunte das Publikum über eine Fehlerkette: eine Bonuszahlung, die dem Bundestag verspätet gemeldet wurde, ein Lebenslauf, der mehrfach korrigiert werden musste – und schließlich Baerbocks Buch mit vielen abgeschriebenen Passagen.

Wahlkampffaktor Unwetter

"Kennen wir diese Frau überhaupt?", fragte das Magazin "Focus" erstaunt. In der grünen Geschäftsstelle herrschte Entsetzen, man sprach von "Rufmord" an Baerbock. Und man versuchte verzweifelt, eines zu erreichen: dass nicht mehr über Baerbocks Fehler, sondern endlich über grüne Inhalte gesprochen wird. "Die Grünen müssen dieses negative Momentum brechen", sagt Faas.

Geklappt hat das zunächst nicht. Doch nun hat das Unwetter im Westen Deutschlands das Thema plötzlich in einer Weise auf die Tagesordnung katapultiert, auf die viele gerne verzichtet hätten. In ihrem ersten Statement nahm Baerbock, im Gegensatz zu ihrem Parteikollegen von Notz, Abstand vom Verweis, dass die Grünen sich vor allem Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben haben. Sie sprach vielmehr den Opfern und Hinterbliebenen ihr Mitgefühl aus, dankte den Einsatzkräften und forderte unbürokratische Hilfen. Ihren Urlaub hat Baerbock natürlich schleunigst abgebrochen, sie rechnet offensichtlich damit, dass eine grüne Stimme zur Klimapolitik in den nächsten Tagen gefragt ist.

Laschet ließ sich am Donnerstag bei einem Lokalaugenschein im betroffenen Hagen (Nordrhein-Westfalen) nicht lange bitten und erklärte: "Wir brauchen mehr Dynamik beim Klimaschutz." Er lobte auch gleich die eigene Arbeit als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident. Nordrhein-Westfalen sei eines jener Länder, die "am meisten gegen den Klimawandel" tun. Gerade erst habe man das Klimaanpassungsgesetz verabschiedet, Nordrhein-Westfalen soll schon 2045 – fünf Jahre früher als geplant – klimaneutral werden.

Doch Laschet steckt in einem Dilemma. Wenn er jetzt angesichts der Flutkatastrophe in seinem Bundesland mehr Tempo fordert, dann macht er sich leicht unglaubwürdig. Denn er war bisher jener Politiker, der beim Klimaschutz immer auch das Wohl der Wirtschaft und der Arbeitnehmer im Blick hatte. Sein Credo: Deren Schicksal dürfe man vor lauter Klimaschutz nicht vergessen.

Der Arbeitsplatz ist weg

Auch jetzt in Hagen wies er darauf hin, dass Klimaschutz, etwa beim Ausstieg aus der Kohle, auch eine Kehrseite habe. "Es ist keine angenehme Situation, vor die Bergleute zu treten und zu sagen: Euer Arbeitsplatz ist weg."

Unvergessen ist sein Auftritt in der ARD-Talkshow von Anne Will nach der Europa-Wahl im Frühjahr 2019, bei der die Union stark verloren hatte. Damals erklärte er: "Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema plötzlich zu einem weltweiten Thema geworden."

Zunächst hat Laschet jetzt einmal die Gummistiefel ausgepackt und zeigte sich in selbigen im schwer betroffenen Altena. Bilder davon verbreitete die Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen selbst – wissend, dass kein anderes Schuhwerk so wahlentscheidend sein kann wie Gummistiefel.

2002 war Gerhard Schröder (SPD) seit vier Jahren Regierungschef einer rot-grünen Koalition. Doch die Deutschen hatten offensichtlich mehrheitlich genug von ihm. Im Wahlkampf hatte der Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) die Umfragen angeführt.

Entscheidende Gummistiefelbilder

Dann kam das verheerende Hochwasser in Ostdeutschland, und Schröder regierte schnell. In Gummistiefeln watete er durchs sächsische Grimma, während Stoiber noch auf Urlaub an der Nordsee war und von der SPD als "Kandidat im Liegestuhl" verhöhnt wurde. Schröder sammelte entscheidende Punkte und konnte die Wahl mit ganz knappem Vorsprung gewinnen. Demoskopen und Politologen waren sich einig, dass ihn die Flut ins Kanzleramt zurückgespült hatte. Und Schröder selbst räumte später ein, die Gummistiefelbilder hätten "sicherlich nicht geschadet". Stoiber hatte den entscheidenden Moment verpasst.

Darauf wurde Laschet angesprochen und gefragt, ob sein Auftritt nicht an jenen von Schröder erinnere. Seine Antwort: "Mich erinnert das daran nicht. Sie können sicher sein: Jeder Ministerpräsident, der sein Amt ernst nimmt, ist in einem solchen Moment vor Ort. Wahlkampf hin oder her."

Direkt nach Katastrophen profitieren meist die Amtsinhaber, weil sie sich zupackend geben und konkrete Hilfen versprechen können. Da haben die Grünen nun das Nachsehen, Habeck hat auch schon erklärt, er werde nicht ins Krisengebiet reisen: "Ich würde dort nur stören." Anbieten können er und Baerbock ohnehin nichts. Doch wenn der erste Schock verdaut ist und es an die Ursachenforschung geht, dann werden die Grünen wohl darauf hinweisen, dass extreme Wetterlagen mit dem Klimawandel zu tun haben.

Grüne Kernkompetenz

Dass sie dann profitieren können, wenn Wetterphänomene sicht- und fühlbar sind, zeigte sich im heißen Dürresommer des Jahres 2018. Bei der Bundestagswahl 2017 hatten die Grünen nur 8,9 Prozent erreicht, ihre Fraktion ist im Bundestag die kleinste. Doch als wochenlang unerträgliche Temperaturen herrschten, begann ihr Aufstieg in Umfragen.

Bei den Landtagswahlen im Herbst 2018 wirkte sich dies in konkreten Wahlergebnissen aus. In Bayern konnten sie neun Punkte zulegen und kamen auf 17,6 Prozent, was dazu beitrug, dass die CSU ihre absolute Mehrheit verlor. Ähnlich waren die Gewinne in Hessen. Die Ökopartei verzeichnete ein Plus von 8,7 Punkten und erreichte 19,8 Prozent.

Der Höhenflug hat dann in bundesweiten Umfragen lange angehalten – bis Baerbocks Pannenserie als Kanzlerkandidatin kam. Die Fehler könnten jetzt, wenn keine neuen hinzukommen, in den Hintergrund treten. Der deutsche Wahlkampf hat sein Klimathema. (Birgit Baumann, 17.7.2021)