SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil führen einen Kampf auf offener Bühne.

Foto: Matthias Cremer

In Kreisen führender SPÖ-Politiker wird eine Schnurre erzählt, die – so finden manche – ein charakteristisches Bild des burgenländischen Landeshauptmannes Hans Peter Doskozil zeichnet. Vor einiger Zeit hatte der innerste Kreis der SPÖ-Spitze eine Whatsapp-Gruppe gegründet, um rote Positionen besser und schneller abzustimmen. Es dauerte nicht lange, und einer war wieder weg: Hans Peter hat die Gruppe verlassen.

"Er ist halt kein Teamplayer", sagt man selbst im Burgenland leise kritisch, auch wenn hier die Partei wie ein Fels hinter ihm steht. Seit seinem Wahlerfolg – ein Plus von acht Prozent und die absolute Mehrheit bei den Landtagswahlen 2020 – ist ihm zu Hause allgemeine Hochachtung gewiss. Bloß: Doskozils Selbstbewusstsein, manche sagen "Ego", ist mit dem roten Balken bei der Wahl mitgewachsen. Kein parteiinterner Gegner, keine Gegnerin ist ihm mittlerweile zu groß. Und Doskozil hat dabei nur einen Weg vor Augen, auf dem die SPÖ auch bundesweit wieder zum Erfolg geleitet werden kann: seinen.

Der führt zurück zu alten sozialdemokratischen Heimstätten, rein in die Fabriken, dorthin, wo sinnbildlich noch die Schlote rauchen, wo die alten Genossen seinerzeit in Scharen zur FPÖ und später zur türkisen ÖVP übergelaufen sind. Es passt ins Bild, dass der steirische rote Rebell Max Lercher, mit dem Parteichefin Pamela Rendi-Wagner in der Bundesgeschäftsführung nicht mehr weitermachen wollte, sich inhaltlich-emotional zum Lager Doskozils hingezogen fühlt. Auch Lercher, zu Hause in der alten Industrieregion der Obersteiermark, wähnt sich als Anwalt des Proletariats – als einer der letzten in der SPÖ, die noch die Sprache der Basis sprechen.

"Er ist inkonsequent und unehrlich. Das ist schade für einen einstigen Hoffnungsträger unserer Partei." Pamela Rendi-Wagner über Hans Peter Doskozil

Rendi-Wagner, die Antithese

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ist da fast die Antithese. Sie lebt als Kind einer Alleinerzieherin, das im Gemeindebau aufgewachsen ist, zwar den sozialdemokratischen Aufstiegsgedanken, wird von ihren Gegnern heute jedoch mehr als Vertreterin des Großbürgertums gesehen.

Auch wenn sich Rendi-Wagner bemüht, ursozialdemokratische Themenfelder wie jene der Arbeitsplatzprobleme beim oberösterreichischen MAN-Betrieb zu beackern. Auch wenn sie sich durch ihre Forderung nach einer Vier-Tage-Woche mit der verbliebenen Arbeiterschicht solidarisiert. Rendi-Wagner bleibt die gepflegt-urbane Rote durch und durch: Links-grün, authentisch ist sie vor allem als Gesundheitsexpertin, wohl auch in Genderfragen, dem Thema Lebensqualität, vielleicht bei Klima und Umwelt. Rendi-Wagner hat damit wohl Chancen, jenen 193.000 ehemaligen SPÖ-Wählern, die zuletzt zu den Grünen abgewandert sind, wieder ein Angebot zu machen. Aber es ist eine Gratwanderung, denn je stärker Rendi-Wagner auf links-grüne Themen setzt, desto stärker kommt sie mit der konservativen Klientel ihrer Partei in Konflikt. In Asylfragen hatte ihr Doskozil einst ganz offen "grün-linke Fundi-Politik" vorgeworfen.

Es bleibt die zentrale Frage: Für wen soll die SPÖ nun eigentlich Politik machen?

Schwerpunktsetzung

Bei gewissen Themen zieht sich durch die Sozialdemokratie ein ähnlicher Graben wie durch die türkis-grüne Regierung, wenn auch in anderen Facetten. Gendern? Migration? Auto fahren? Da scheiden sich die roten Geister. Auf der einen Seite steht der urbane linke Flügel, der selbstverständlich gendert, solidarisch mit Flüchtlingen ist und den Klimawandel als eines der größten Probleme erkennt. Auf der anderen Seite finden sich jene Funktionäre abseits der Innenstädte, die sich im Wirtshaus etwas anhören können für allzu progressive rote Politik.

Man muss dazu sagen: In manchen, vielleicht sogar vielen, Fragen sind die Parteichefin und der Burgenländer, das linke und das rechte Lager der SPÖ, weder gespalten noch im Clinch. Themen, auf die sich alle – oder die meisten – einigen können, sind eine Millionärssteuer, vieles im Bereich Wohnen, Arbeitnehmerrechte, soziale Gerechtigkeit. Oft geht es mehr um die Schwerpunktsetzung, die Außenwirkung, was vermittelt werden soll.

Ehemalige, alte Rote, die zur FPÖ abgewandert sind, gelten unter Rendi-Wagner in der SPÖ als verloren. Es würde ihrem persönlichen und politischen Naturell widersprechen, plötzlich nach rechts abzubiegen; linke Politik mit rechter Polemik: Diesen Spagat kann Rendi-Wagner nicht hinlegen – aber Doskozil. Mit seiner Sprache ist Doskozil längst bei Sebastian Kurz und Herbert Kickl. Auch Doskozil kennt keine Gnade mit Flüchtlingskindern aus Moria. Recht muss Recht bleiben. Österreich habe genug Asylwerber. Er praktiziert im Burgenland linke Politik – Stichwort Mindestlohn für Landesbedienstete –, schert aber, wenn es sein muss, kompromisslos nach rechts aus.

Könnte Doskozil im Bund funktionieren?

Aber wäre das auch ein Konzept für die rote Bundespolitik? Könnte Doskozil da funktionieren? Dazu gibt es noch keinen Feldversuch – aber einen internationalen Hinweis, ein sozialdemokratisches Vorbild Doskozils: Dänemark. Die dortigen Sozialdemokraten sind mit einem harten, restriktiven Asylkurs zurück in die Erfolgsspur gekommen. Mit dem Motto: Wenn man die Rechten nicht schlagen kann, übernimm ihre Positionen.

Die deutsche FAZ nannte es "Schmusekurs der dänischen Sozialdemokratie mit rechtspopulistischen Wählern". Ihr momentanes Potenzial liegt bei 30 Prozent. Carsten Jensen, ein dänischer Professor für Kulturanalyse an der Süddänischen Universität, schreibt dazu: "Um von der äußersten Rechten Arbeiterstimmen zurückzugewinnen, sollten echte Sozialdemokraten von nun an reden und klingen wie die äußersten Rechten." Dänemark habe von 2017 bis 2020 mit sozialdemokratischem Einverständnis nicht einen einzigen Quotenflüchtling der Vereinten Nationen aufgenommen.

Der Politologe Anton Pelinka meint, die SPÖ könnte mit dem dänischen Modell bei der nächsten oder übernächsten Wahl punkten. Aber dann sei Schluss, denn es sei kein Zukunftskonzept. Die SPÖ müsse langfristig auf die wachsenden Bevölkerungsschichten setzen, die jüngeren, besser Gebildeten – und vor allem die Frauen. Der Arbeiteranteil werde weiter schrumpfen.

"Das ist eine Posse, ich höre mir das nicht mehr an. Das ist ja eine Beflegelung, Kindergartenniveau." Hans Peter Doskozil über Pamela Rendi-Wagner

Burgenländer stehen parat

Wenn Doskozil nun tatsächlich den dänischen Weg für die SPÖ vorbereitet, steht ihm aber auch noch ein ganz anderes Hindernis im Weg. Der eigentliche Gegner sitzt nämlich nicht in der Parteizentrale in der Wiener Löwelstraße, sondern im Bundeskanzleramt. ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat das dänische sozialdemokratische Modell längst zu dem seinen gemacht. Da müsste sich Doskozil womöglich in der Rolle als Schmiedl bescheiden.

Die große Frage ist vorerst natürlich erst einmal: Will Doskozil überhaupt die Partei übernehmen? Würde er das nach mehreren Operationen an den Stimmbändern gesundheitlich überhaupt schaffen? Seine burgenländischen Sozialdemokraten machen jedenfalls schon mobil. Die beiden roten Mandatare, Nationalratsabgeordneter Maximilian Köllner und Bundesrat Günter Kovacs, kündigten an, dass sie auf Bundesebene "die Linie des burgenländischen Landesparteichefs Hans Peter Doskozil" vertreten werden. Der Landeshauptmann könne sich darauf verlassen, dass die Burgenländer im Bundesrat "immer loyal" seien.

In der SPÖ sind sich inzwischen viele ziemlich sicher: Er stünde zur Verfügung – vor allem als Spitzenkandidat im Fall einer Wahl. Bis dahin den Oppositionsführer machen? Das wohl eher nicht. (Katharina Mittelstaedt, Walter Müller, 18.7.2021)