Beim Wolf spalten sich die Meinungen.

Foto: EPA

3-H-Regel: Hirte, Hund und Herde

Ökologe Lucas Ende sieht grobe Fehler auf politischer Seite.

Ein schmaler Feldweg führt hinein in die grüne Oase. Der dichte Wald hält die Sommerhitze angenehm fern. Lucas Ende mag es, in der Natur über die Natur zu sprechen. Der gebürtige Norddeutsche hat hier mit seiner Familie seinen Lebensmittelpunkt gefunden. Irgendwo im Bezirk Vöcklabruck. Wo genau, "ist nicht so wichtig". Denn Lucas Ende legt im Privatbereich einen großen Wert auf Anonymität. Nicht jeder kann sich mit seinem beruflichen Betätigungsfeld anfreunden – "und ich bin noch nicht so lange hier im Ort".

Ende ist beim Naturschutzbund Österreich beschäftigt. Nicht in der Abteilung "Haselmaus", vielmehr hält er die Hand schützend über Tiere, denen nicht wenige gerne das Fell über die Ohren ziehen würden: Fischotter, Biber, Bär – und eben der Wolf. Aktuell steht der Wahl-Oberösterreicher angesichts der Diskussion rund um die Rückkehr des großen Beutegreifers im naturalen Dauereinsatz.

An einer kleinen Lichtung legt Ende eine kurze Wanderpause ein und blickt nachdenklich über die großen Wiesenflächen: "Eigentlich wird ja die Diskussion völlig falsch geführt. Man redet über eine Rückkehr des Wolfes. Dabei ist er längst da. Er ist sehr anpassungsfähig, fühlt sich in den heimischen Gefilden wohl."

Der große Unbekannte

Einer der Gründe, warum der Aufschrei jetzt so groß sei, sei der zu geringe Bekanntheitsgrad des Canis lupus: "Für die Menschen ist der Wolf ein Tier, das sie noch nicht einschätzen können. Und das Image des Wolfes ist ja ohnehin angekratzt. Ich sag nur: Grimms Märchen, Werwölfe, und für die Kirche war der Wolf lange der Teufel."

Auch bilde der Zugang zu unserer Kulturlandschaft eine große Barriere in den Köpfen: "Wir wollen die Natur kontrollieren, die Kulturlandschaft gestalten. Und plötzlich kommt hier mit dem Wolf ein Tier, dem man unterstellt, dass es Wildnis braucht." Der Gedanke daran, Natur nicht mehr gestalten zu können, schrecke die Menschen ab. Dabei habe der Wolf überhaupt kein Interesse am Menschen.

"Und Wölfe brauchen keine Wildnis. Sie leben dort, wo genügend Beute vorhanden ist und sie Rückzugsmöglichkeiten zur störungsfreien Aufzucht ihrer Jungen finden, und bevorzugen Flächen, die möglichst wenig durch große Straßen unterbrochen sind."

Letztlich lehre uns der Wolf, wie wir auf die Natur schauen. "Und es geht um die großen Fragen: Sind wir die Krone der Schöpfung? Bestimmen wir, wer kommen darf und wer nicht?" Deutlich ins Wanken gerät das so ausgeglichen wirkende Naturell des Naturschützers aber, wenn man den Wolf in die Nähe eines Problems bringt: "Ich kann doch ein Tier, das seinem Instinkt folgt, nicht auf ein Problem reduzieren. Wer oder was ein Problem darstellt, ist rein abhängig von der menschlichen Betrachtungsweise."

Mittlerweile hat die Waldrunde ihr Ende auf der Feichtabank vor einem idyllischen Biobauernhof gefunden. Im Schatten eines Birnbaumes kann man die Herde Galloway-Rinder um ihren Mittagsschlaf beneiden. Aus Sicht von Ende fehlt es an politischem Willen: "Über zehn Jahren weiß man, dass der Wolf zurückkommt. Und gemacht hat man nichts, bis der Hut brennt."

Guter Hirte, guter Hund

Es gehe letztlich ja vor allem um den Schutz von Weidetieren: "Und da brauchen wir in Österreich endlich einen geförderten Herdenschutz." Den oft gebrachten Einwand, dass ein adäquater Herdenschutz vielleicht noch im Flachland mit Zäunen möglich, im hochalpinen Bereich aber unmöglich sei, lässt der Ökologe nicht gelten: "Wir haben es verabsäumt, das Hirtenwesen entsprechend zu forcieren. Ein guter Hirte und ein guter Hund sind der beste Schutz."

Kein Lösungsansatz sei jedenfalls der vermehrte Griff zur Flinte – wie etwa zuletzt von Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (VP) gefordert. Ende: "Wenn ich einen Wolf erschieße, habe ich keine Garantie, dass nicht der nächste Wolf vor der Schafweide steht." Gegen eine "Entnahme im Extremfall" ist der Ökologe aber nicht: "Wird ein Tier zu frech oder gar eine Bedrohung für Menschen, muss man natürlich was tun."

Warum Jäger ein Problem mit dem Wolf haben, sieht Ende in der Auswirkung auf das Verhalten seiner Beutetiere: "Der Wolf hält das Wild in Bewegung. Und damit wird es für den Jäger weniger berechenbar – und schwieriger zu bejagen." (Markus Rohrhofer, 18.7.2021)

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Hirte Oswald Erhard mit Border Collie Lord am Lader Heuberg.
Foto: Steffen Arora


3-S-Regel: Schießen,Schaufeln, Schweigen

Almbauern reagieren mit schwarzem Humor auf den Wolf

Steil bergauf, gute drei Stunden lang. Der Lader Heuberg im Tiroler Oberland ist nur zu Fuß erreichbar. Über einen schmalen, nicht markierten Steig nahe Pfunds geht es zum vereinbarten Treffpunkt mit Oswald "Ossi" Erhard. Auf knapp 2500 Metern wartet er oberhalb eines felsdurchsetzten Steilhanges mit Border Collie Lord. Ossi ist Hirte und wacht zusammen mit Lord über 469 Almschafe, die ihnen 21 auftreibende Bauern aus der Region den Sommer über anvertraut haben.

Der Almauftrieb von Nutztieren hat in Tirol lange Tradition. Im gebirgigen Land sind Grünflächen in Tallagen Mangelware. Daher wird nach den Wintermonaten das Vieh so schnell wie möglich auf die Alm verbracht, wo es weitläufige Weideflächen gibt. Das dient zudem der Biodiversität, weil durch die Beweidung Almwiesen entstehen, auf denen Gräser und Blumen wachsen. Reich wird davon niemand. Pro Schaf und Sommer erhält der Almpächter 7,50 Euro von den auftreibenden Bauern.

Im steilen, felsdurchsetzen Gebiet, wo die Schafe weiden, muss Ossi den Hund sparsam einsetzen. Wenn die Schafe sich bedrängt fühlen, steigt die Absturzgefahr.
Foto: Steffen Arora

Ohne das Vieh würden die Almen rasch "verbuschen", erklärt Ossi. Mit ihren Hufen sorgen die Tiere zudem dafür, dass die steilen Hänge mehr Regenwasser aufnehmen, was wiederum hilft, Naturgefahren wie Muren vorzubeugen. Ossi deutet mit seinem Hirtenstock auf eine der steil abfallenden Rinnen, die bis ins Tal hinabführen: "Was meinst, wie das da runterrauscht, wenn oben nix versickern kann?"

Die blutige Nacht im Juni

Gleich neben der Rinne liegt ein kleines Wiesen-Plateau. An der Vegetation zeigt sich, warum die Beweidung wichtig für den Erhalt der Almen ist. Ossis Schafe haben diese Fläche zu Beginn des Almsommers abgegrast. Nun wachsen junge, frische Triebe, die auch dem Wild gut schmecken. Doch das Plateau wurde Anfang Juni zum "Tatort". Ossi erinnert sich mit Schrecken an die Nacht: "Der Hund hat gemerkt, dass da was ist, und war völlig außer sich."

Das Gelände ist unwegsam, Herdenschutzkonzepte daher kaum umsetzbar, sagt der Hirte.
Foto: Steffen Arora

Tags darauf fand der Hirte elf tote Schafe auf dem beschriebenen Plateau. In den folgenden Tagen wurden weitere Kadaver entdeckt. "22 sind tot, sieben noch immer verschwunden", zieht Ossi Bilanz. Wenige Tage zuvor hatte ein Wolf im nahen Nauders zugeschlagen. "Direkt neben dem Hof, die Nähe der Menschen hat den überhaupt nicht gestört", schüttelt Ossi den Kopf. Tatsächlich passierten die Risse in Nauders nur 300 Meter neben dem Bauernhof auf einer eingezäunten Weide.

Wölfe und Bären sind im Tiroler Oberland mittlerweile Stammgäste. DNA-Analysen haben ergeben, dass der "Täter" auf Ossis Alm ein Bär gewesen ist. Doch der Hirte ist überzeugt, dass auch ein Wolf beteiligt war. Kurz nach dem Vorfall wurde am 14. Juni im nahen Tourismushotspot Serfaus-Fiss-Ladis ein Braunbär gefilmt. Wohl jenes Tier, das Ossis Herde angegriffen hat.

Links von der Bildmitte sieht man die Schäferhütte auf einem kleinen Plateau. Direkt daneben befindet sich der Nachtpferch, in den Ossi die gut 450 Schafe jeden Abend treiben sollte, um das Herdenschutzkonzept umzusetzen. Der Bergrat im Bildhintergrund markiert ungefähr das Ende des Weidegebiete. Das Foto wurde ebenfalls noch im Weidegebiet aufgenommen. Das verdeutlicht die Dimensionen.
Foto: Steffen Arora

Mittlerweile ist dieser Bär in einem Seitental bei St. Anton am Arlberg und hat dort wieder Schafe gerissen. Heuer fielen bereits 200 Schafe in Tirol Beutegreifern zum Opfer, 100 weitere Tiere werden noch vermisst. Experten gehen davon aus, dass Wölfe für drei Viertel der Risse verantwortlich sind, der Rest geht auf das Konto von Bären.

Für den Hirten ist jeder Verlust eine persönliche Tragödie. Er fühlt sich verantwortlich für die Schafe, die man ihm anvertraut: "Ich hatte Sommer mit über 700 Tieren, und die Verluste durch Absturz oder Naturgefahren waren nie höher als fünf bis zehn Stück."

Angriffe als Existenzbedrohung

Peter Frank von der Landwirtschaftskammer erklärt, warum solche Raubtierangriffe für die Bauern eine Bedrohung darstellen: "Der durchschnittliche Schafbauer hat 20 Tiere, alles im Nebenerwerb. Wenn ein Wolf oder Bär im Blutrausch zig Tiere tötet, kann das für einen Bauern das Ende sein. Die tun das nicht wegen dem Geld, da steckt viel Herzblut drin."

Am Lader Heuberg wird nun versucht, Herdenschutz in Form eines Nachtpferchs sowie eines zweiten Hirten umzusetzen. Doch im unwegsamen, hochalpinen Gelände zeigt sich, dass dieses Konzept für dieses Terrain ungeeignet ist. 560 Hektar Bruttofläche, gespickt mit Felswänden, Graten und Gipfeln. Die gut 450 verbliebenen Tiere täglich auf 2600 Meter Höhe zusammenzutreiben ist auch für zwei Hirten schier unmöglich.

Bauern und Hirten fühlen sich im Stich gelassen. Von der Politik, aber auch dem Tourismus, der in Tirol mächtig ist. Ob er sich das nächstes Jahr noch einmal antut, wisse er daher nicht, sagt Ossi. (Steffen Arora, 18.7.2021)