Will die SPÖ wieder die Nummer eins sein, dann muss sie der Wählerschaft Mitte-rechts ein Angebot machen., sagt der ehemalige SPÖ-Bundesgeschäftsführer Josef Kalina im Gastkommentar.

Kann Pamela Rendi-Wagner alle Flügel der Partei hinter sich versammeln? Die jüngste interne Debatte lässt erneut Zweifel daran aufkommen.
Foto: Imago Images/ Sepa Media / Martin Juen

"Gestern stand die SPÖ am Rande des Abgrunds. Heute ist sie schon einen Schritt weiter." So und nicht anders muss man Ratschläge und Meinungen einschätzen, die zuletzt vermehrt in der entgleisten innerparteilichen Debatte der traditionsreichen, stolzen, erfolgsverwöhnten österreichischen Sozialdemokratie zu vernehmen waren. Wer ernsthaft sagt, der derzeitige Konflikt könne langfristig "etwas Gutes bedeuten, nämlich Klarheit, wofür steht die Sozialdemokratie: Ist sie die Partei des verkleinbürgerlichten Proletariats von gestern oder eine europäisch orientierte offene Partei?", wie Politologe Anton Pelinka in der ZiB 2 (13. 7.), der meint es nicht gut mit der SPÖ.

Denn die Erfolge der Sozialdemokraten in ihrer gesamten, mehr als 130-jährigen Geschichte wären nicht denkbar gewesen, wenn sie sich als Partei des "Entweder-oder" positioniert hätte. Sie war immer dann am stärksten, wenn sie ihre integrative Kraft als Volkspartei für möglichst viele Menschen klar unter Beweis gestellt hat. Für Arbeiter und Angestellte; für Junge und Alte, für Frauen und Männer; für einfache Menschen und Intellektuelle, für Arbeitnehmer und Wirtschaftstreibende.

Eisernes Gesetz

Der gegenwärtige Konflikt hat in Wahrheit zwei große treibende Ursachen: aktuelle Erfolglosigkeit und wenig Aussicht auf baldige Besserung. Denn in der Politik wie in der Natur gibt es ein eisernes Gesetz: An der Spitze des "Rudels" kann sich nur halten, wer stark ist, wer Erfolge hat und wem man für die Zukunft zutraut, erfolgreich zu sein. Die harte Währung in der Politik ist ein Wahlergebnis, zwischen Wahlen sind es Umfragen, die Hinweise auf zu erwartende Erfolge oder Misserfolge geben. Das muss man nicht mögen, es ist aber so.

Die SPÖ wurde immer dafür gewählt, dass sie reformiert, durchgelüftet, modernisiert, den Sozialstaat ausgebaut hat. Kurz: für alle vom Arbeiter bis zum Intellektuellen das Leben erleichtert und schöner gemacht hat. Dabei war den Parteichefs von Bruno Kreisky über Fred Sinowatz, Franz Vranitzky, Viktor Klima bis hin zu Alfred Gusenbauer, Werner Faymann und Christian Kern stets klar: Dankbarkeit ist keine politische Kategorie. Es geht nämlich in der Politik immer um die Zukunft.

Emotionale Ebene

Die Bindung an eine Partei hat seit den Anfängen unserer Zweiten Republik dramatisch abgenommen. Immer mehr Menschen können sich vorstellen, je nach inhaltlichem und immer stärker je nach personellem Angebot einmal diese, einmal jene Partei zu wählen. In diesem Umfeld auf Dauer erfolgreich zu sein verlangt dem Spitzenpersonal in der Politik heute enorm viel ab. Die politische Spitze muss den Wählerinnen und Wählern auf einer emotionalen Ebene vermitteln können, dass sie die Richtigen für sie sind. Dass man ihnen die Zukunft anvertrauen kann, dass sie die höchst differenzierten Erwartungen am ehesten erfüllen werden. Eben, dass sie die richtige Frau, der richtige Mann für das Land sind.

Und damit sind wir auch schon bei jenen 25 Prozent, die Pamela Rendi-Wagner beim Parteitag gestrichen haben. Sie haben wohl nicht mehr die Erwartung, mit ihr an der Spitze auf Bundesebene zu neuen Erfolgen zu kommen. Und sie haben die Befürchtung, dass dieser Umstand auch sie selbst, auf ihrer Ebene, dem jeweiligen Bundesland oder der Gemeinde, bremsen könnte – statt sie, wie in der glorreichen Vergangenheit, zu beflügeln.

Große Erfolge

Hans Peter Doskozil hat im Jänner 2020 im Wahlkampf großes politisches Geschick bewiesen und mit einem klassisch sozialdemokratischen Kurs – in sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen links, in sicherheitspolitischen Fragen rechte Mitte – einen großen Erfolg, eine absolute Mehrheit erzielt. Ähnlich im November 2020 Michael Ludwig, der nach einer historisch einmaligen schwierigen Kampfabstimmung über den Parteivorsitz die SPÖ Wien geeint und zu einem Zuwachs bei der Landtagswahl gegenüber der "Legende Michael Häupl" geführt hat. Wie er die Flügel und Gruppen der Landespartei seither integriert und hinter sich vereint hat, gehört zu den ganz großen Erfolgen eines Politikers in Österreich.

Rendi-Wagner hat die Bundes-SPÖ 2018 nach dem Verlust des ersten Platzes, des Bundeskanzlers und nach dem Ausscheiden aus der Regierungsverantwortung in einer noch schwierigen Ausgangslage übernommen. Und diese ist mit der türkis-grünen Bundesregierung nach dem krachenden Scheitern der Regierung Kurz-Strache noch komplexer geworden. Denn nun leiten nicht nur rechte Politiker die Ministerien, sondern auch von den Österreichern als links wahrgenommene Grüne, was die Differenzierung nicht einfacher macht. Doch die Aufgabe, die SPÖ in dieser schwierigen Konstellation erfolgreich zu positionieren, konnte Rendi-Wagner bisher nicht erfüllen.

Polarisierung von oben

Und jetzt zeigt die aktuelle, aus dem Ruder gelaufene Diskussion, dass Rendi-Wagner, scheint’s, auch kein Verständnis für die wichtigste Aufgabe einer Parteivorsitzenden (gleich welcher Partei) hat: Integration und Zusammenhalt aller Kräfte. Denn Flügel und Grüppchen, Landesfürsten, mächtige Gewerkschafter und stolze Bürgermeister gab’s auch in der SPÖ schon immer. Deren durchaus unterschiedliche Interessen zu bündeln, sich eine "Hausmacht" zu schaffen, mit der sie führen und einen klaren Kurs vorgeben kann, ist nicht geglückt.

Jetzt droht die Diskussion vollends zu eskalieren, weil von der Parteispitze herab sogar polarisiert statt integriert wird. Das versuchen nun einzelne Gruppen für sich zu nutzen, quasi darin ein "reinigendes Gewitter" zu sehen, um endlich "das verkleinbürgerlichte Proletariat" hinter sich zu lassen. Es ist anzunehmen, dass damit auf die lange schwelende Debatte über den Kurs des Landes in der Asyl- und Zuwanderungspolitik Bezug genommen wird. Ein ganz gefährliches Unterfangen. Denn wirklich alle Studien der letzten Jahre zeigen klar auf, dass eine eindeutige große Mehrheit der Österreicher spätestens seit 2015 hier einen sehr restriktiven Kurs verlangt. Und selbst jene grosso modo 30 Prozent, die für einen liberaleren Zuwanderungskurs eintreten, äußern – wie zuletzt nach der Tötung der 13-jährigen Leonie – immer wieder Zweifel.

Links oder rechts?

Wer also der SPÖ rät, die Frage links oder rechts über die Haltung zur Zuwanderung zu definieren, erweist ihr einen Bärendienst. Die strategische Ausrichtung muss auf eine bessere Ansprache der Wählerschaft Mitte-rechts gerichtet werden, wenn die SPÖ wieder zur Nummer eins werden will, um den Kanzleranspruch stellen zu können. Sich auf Dauer mit Grünen und Neos um das Potenzial links der Mitte zu matchen verändert nämlich strategisch nichts an der seit Jahrzehnten unveränderten Mehrheit für ÖVP und FPÖ. Und damit kann es dann schon rein rechnerisch nichts werden mit der Suche nach "neuen Mehrheiten".

Schließlich sollten alle, die ob der im U-Ausschuss aufgetauchten Chats und des zweifelhaften türkis-grünen Corona-Krisenmanagements erstaunt vor den stabilen Umfragewerten der ÖVP stehen, wissen, dass diese zu großen Teilen der mangelnden personellen Alternative zu Sebastian Kurz als Bundeskanzler geschuldet sind. Weder Rendi-Wagner noch Beate Meinl-Reisinger und schon gar nicht Herbert Kickl konnten sich letztlich entscheidend in Szene setzen. Das Dümmste, was die SPÖ daher jetzt machen kann, ist, diese unselige innerparteiliche Debatte fortzusetzen. Sie braucht vielmehr für den Fall des Falles (vorgezogene Neuwahlen) eine Spitzenperson, hinter der möglichst alle Flügel wirklich stehen, weil sie ihr zutrauen, die Partei wieder zu Erfolgen zu führen. (Josef Kalina, 17.7.2021)