Die Skyline der Agentenstadt Wien. Spionage ist in Österreich de facto erlaubt, solange sie sich nicht gegen das Land selbst richtet.

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Vor rund fünf Jahren machten unerklärliche Erkrankungen von US-Diplomaten in Kuba erstmals Schlagzeilen. Betroffene des sogenannten "Havanna-Syndroms" spüren nach eigenen Angaben eine Art Druckwelle in ihrem Kopf. Zu den Beschwerden gehören unter anderem Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafstörungen und Tinnitus. Die Ursache gilt als ungeklärt. Als Reaktion zogen die USA damals mehr als die Hälfte ihres Botschaftspersonals aus Havanna ab.

Nach Angaben des "New Yorker"-Magazins dürften seit Jahresbeginn nun auch in Wien mehrere US-Entsandte an dem "Havanna-Syndrom" erkrankt sein. Rund zwei Dutzend US-Geheimdienstmitarbeiter, Diplomaten und andere Regierungsbeamte sollen unter geheimnisvollen Beschwerden leiden, wie sie zunächst Ende 2016 in der kubanischen Hauptstadt aufgetreten waren.

Der erste Fall sei einige Monate nach dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden aufgetreten. Man habe die Fälle zunächst geheim gehalten, um die Ermittlungen der US-Behörden nicht zu behindern, schreibt das US-Magazin. Inzwischen sei in Wien die zweitgrößte Anzahl an Fällen außerhalb Havannas gemeldet worden, "New Yorker" stellt Wien als internationale Drehscheibe der Spionage dar.

USA vermuten russische Angriffe

CIA-Direktor William Burns nehme die Vorfälle sehr ernst und setze sich persönlich für die Behandlung der Betroffenen und Aufklärung der Ursache ein, hieß es von einem Sprecher des US-Geheimdienstes. Laut "New Yorker" halte Burns die Vorfälle für "Angriffe" und nicht "Erkrankungen". Er habe eine spezielle Einheit zusammengestellt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Auch andere US-Behörden und das US-Außenministerium sollen der Sache nun wieder verstärkt nachgehen.

Auch US-Behördenvertreter in China, Großbritannien, Kolumbien und Usbekistan waren bereits von dem Syndrom betroffen. Dieses Jahr wurden auch mehrere Fälle aus dem Umfeld des Weißen Hauses in Washington gemeldet. Die genaue Verbreitung ist unklar, der "New Yorker" berichtet von etwa 130 gemeldeten Fällen.

Mutmaßungen über Ursache

Behörden in den USA und Kanada, deren Botschaftsmitarbeiter ebenso in Kuba betroffen waren, hatten bislang mysteriöse "Akustikattacken" als Ursache vermutet. Später wurde spekuliert, dass Pestizide die Gesundheitsvorfälle ausgelöst hätten.

Hochrangige Beamte der Regierungen von Ex-Präsident Donald Trump und Biden vermuten laut dem "New Yorker" jedenfalls, dass der russische Geheimdienst verantwortlich ist. Sie gehen davon aus, dass russische Militärgeheimdienstagenten Geräte, die Mikrowellenstrahlung aussenden, auf US-Beamte gerichtet haben, möglicherweise um Daten von ihren Computern oder Smartphones zu stehlen. Eindeutige Beweise konnten bislang allerdings nicht vorgelegt werden.

Einige ungenannte Mitglieder der US-Regierung von Präsident Biden gehen dem US-Magazin zufolge davon aus, dass Russland hinter den Ereignissen stecken könnte. Spekuliert wird in dem Bericht über Zusammenhänge mit US-Versuchen, das traditionell Russland gegenüber freundliche Österreich stärker auf die Seite der westlichen Allianz zu ziehen. Erinnert wird auch an einen Cyberangriff auf das österreichische Außenministerium in Wien im Vorjahr, der von Russland ausgegangen sein könnte. Auswirkungen auf die US-Botschaft dürften die Ereignisse vorerst nicht haben. Ein Abzug von Personal, wie in Havanna, sei derzeit nicht zu beobachten, berichtet der "New Yorker".

Das FBI kam offenbar zu einem anderen Schluss: Und zwar, dass die Betroffenen an einer psychogenen Massenkrankheit leiden. Das sei ein Umstand, bei dem eine Gruppe von Menschen, die glaubt, etwas Gefährlichem ausgesetzt gewesen zu sein, sich gleichzeitig krank fühlt. Allerdings hat das FBI die Betroffenen nie selbst interviewt. Laut "New Yorker" dürfte die Behörde ihre These revidieren.

Spionage in Wien

Das Wiener Büro der CIA gilt als eines der größten weltweit. Einer der Gründe dafür ist wohl, dass Wien auch nach dem Ende des Kalten Krieges eine Spionage-Welthauptstadt blieb. Viele große UN-Agenturen, die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) und die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) sind hier ansässig. Neben einer beträchtlichen Anzahl amerikanischer, britischer, chinesischer, französischer und russischer Spione sollen unter anderem auch die Iraner, die Syrer und die Nordkoreaner Agenten vor Ort haben. Die heimischen Behörden haben den Ruf, sich in internationale Spionage-Angelegenheiten nicht einzumischen, solange sie nicht Österreich betreffen.

Ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte laut einer der APA am Samstagabend übermittelten Stellungnahme: "In Zusammenarbeit mit unseren Partnern in allen Ressorts der US-Regierung arbeiten wir mit höchster Priorität an der Aufklärung möglicher ungeklärter Krankheitsfälle unter der Belegschaft der US-Botschaft in Wien, oder wo immer über solche Fälle berichtet wurde." Alle Mitglieder der Botschaft, die einen ungeklärten Krankheitsfall vermuteten, hätten "umgehend angemessene medizinische Betreuung" erhalten. "Allgemein gesagt haben diese Krankheitsfälle oberste Priorität für Außenminister (Antony) Blinken. Er hat genaue Richtlinien für die Health Incident Response Task Force festgelegt, um die Kommunikation mit den Mitarbeitern zu verstärken, die Betreuung aller betroffenen Mitarbeiter und deren Angehörigen zu garantieren, und um besseren Schutz vor zukünftigen Fällen bieten zu können." Es werde "eng mit allen Ressorts" gearbeitet, "um die Ursache für diese ungeklärten Krankheitsfälle zu klären".

Das Außenministerium in Wien schreibt in einer Reaktion gegenüber der APA, man nehme "diese Berichte sehr ernst" und arbeite "gemäß unserer Rolle als Gaststaat mit den US-Behörden an einer gemeinsamen Aufklärung. Die Sicherheit der nach Österreich entsandten Diplomaten und ihrer Familien hat für uns oberste Priorität." (fmo, APA, 17.7.2021)