Intelligenz ist laut dem US-amerikanischen Psychologen David Wechsler die Fähigkeit “zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken und sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll auseinanderzusetzen“. Um die Persönlichkeitsdimension oder Dimensionen je nach Intelligenzmodell zu validieren, braucht es Außenkriterien, die die Gültigkeit des Konstrukts unter Beweis stellen. Denn das zweckvolle Handeln, vernünftige Denken und vor allem die wirkungsvolle Auseinandersetzung mit seiner Umwelt hängt immer von den damit verbundenen Rahmenbedingungen ab und ist immer wieder neu zu evaluieren. Bei der Corona-Problematik wird es je nach betroffener Zielgruppe zusehends schwerer, den “intelligenten“ Weg zu finden. Es scheinen sich grob zwei Lager zu formieren. Jene, die die Krankheit mehr als bedrohlich sehen und für die die Impfung quer durch die Gesellschaft die Lösung der Pandemie bedeutet und jene, die die Krankheit entweder gänzlich leugnen, sie relativieren oder die Maßnahmen für vollkommen überzogen und undifferenziert halten. Doch wo liegt nun die Antwort auf dieses Dilemma und gibt es eine derart einfache dazu überhaupt?

Am Ende bleibt die Angst

Fast könnte man diagnostizieren, dass das “Posttraumatische Corona Syndrom“, kurz PCS, um sich greift. Die Angst regiert. Impfen oder nicht impfen? Testen, testen, testen. Discos auf und Discos zu und vieles mehr. Nicht nur, dass wir im privaten Leben bis hin zu unserer wirtschaftlichen Existenz durch das Coronavirus signifikant betroffen sind, kommt nun eine spannende Phase auf uns zu. Der Eindruck, den augenscheinlich viele Menschen haben, ist, sich öffentlich entscheiden zu müssen. Gehört man zum Lager der Impfbefürworter oder bewegt man sich in den Sphären der Corona-Skeptiker und Impfverweigerer? Ist man gesellschaftlich destruktiv, wenn man sich nicht impfen lässt und umgekehrt ein Held, wenn man dies tut? Das spaltet die Gesellschaft.

Das Gefühl, keine kritischen Fragen stellen und sich nicht umfassend informieren zu dürfen, greift um sich. Viele fragen sich, wo eine differenzierte Aufklärung über die Gefahren von Corona für welche Zielgruppen und über die verschiedenen Impfungen bleibt? Wo ist die gute alte klassische Medizin geblieben, bei der der Hausarzt des Vertrauens, den man vielleicht über Jahre kennt, über die neue Viruserkrankung informiert und diese in Relation zur Impfung mit möglichen Nebenwirkungen und eventuellen Problematiken setzt? Der mündige Bürger soll am Ende des Prozesses ohne Druck und Zwang eine freie Entscheidung auf Basis von Informationen zu seiner Individualgenese treffen können, ohne hierfür bestraft oder gelobt zu werden. Sogar Sebastian Kurz hat nun, wahrscheinlich gestützt auf die Analyse von Umfragedaten und der damit erhobenen Stimmung in der Bevölkerung, den Terminus der Eigenverantwortung entdeckt.

Corona und die Impfung spaltet die Gesellschaft.
Foto: AP/Nathan Papes

Corona: Die Währung ist Vertrauen

Das größte Problem mit der Bewältigung der Corona-Krise ist die Polarisierung der Gesellschaft. “Wissenschaftserklärer“ und Experten haben hier eine zentrale Funktion in Bezug auf das mangelnde Vertrauen den Interventionen gegenüber. Anstatt einfach einmal zuzugeben, dass man etwas nicht weiß, haben zwar nicht alle, aber doch einige schnelle Erklärungen und Lösungen parat. Ein infantiler Wissenschaftsglaube, funktionalistische Denkweisen und die Fähigkeit zur Selbstkritik und Reflexion spielen hier nicht nur in der Bevölkerung, sondern bei vielen Verantwortungsträgern eine zentrale Rolle. Die Anatomie des Menschen ist nicht mit der komplexen Anatomie des Geistes gleichzusetzen. Bei so einer Vorgehensweise ist es nur verständlich, dass manche in Corona lediglich das Symptom einer größeren, die ganze Gesellschaft betreffende Erkrankung sehen, die von Medien und Politik gerne dazu genutzt wird, andere Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit, Klimaveränderungen und gesellschaftliche Spannungen zu überlagern.

Therapeutische Tugenden und der Kardinalsfehler der Klassifikation

Die Corona-bedingte Kollektivneurose gilt es zu behandeln. Kein Mensch gleicht dem anderen. Dieser Tatsache ist Rechnung zu tragen, will man Akzeptanz und Offenheit erzielen. Ein kritischer Abstand zur eigenen Fachrichtung und den eigenen Annahmen ist - soweit möglich - immer notwendig und zu vermitteln. Wie bei allen Professionen gibt es auch bei Ärzten, Psychologen, Politikern mehr und weniger reflektierte Vertreter ihrer Zunft. Im Sinne einer Differentialdiagnostik könnte man in transparenter Weise erklären, welche Zielgruppen von Corona wie stark betroffen und welche Vor- sowie Nachteile mit der Corona-Impfung verbunden sind. Dies möglichst ohne dogmatische Ansätze, Propaganda oder Angstmache, egal von welchem Lager. Ansonsten sind die Eingriffe in unser humanes Ökosystem so stark, dass am Ende die Feststellung "Operation gelungen, Patient tot" zutrifft und eine Überreaktion des gesellschaftlichen Immunsystems erfolgt. (Daniel Witzeling, 26.7.2021)

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