Für ihn gab es im Großen Festspielhaus donnernden Applaus: Lars Eidinger als Jedermann.

APA/Barbara Gindl

Es ist die Buhlschaft, die Jedermanns erste Worte spricht. Aufrecht thront sie auf den Schultern ihres Geliebten, sein Gesicht hat er in ihrem Schoß versteckt: "Ein köstlich Frühmahl befehl ich an", ruft sie dem Koch zu. Wer in dieser Beziehung die Hosen anhat, daran lässt diese Frau keinen Zweifel. Sie trägt einen knallroten Hosenanzug, ihr Jedermann ist bis auf eine schlabbrige Unterhose nackt.

Als Tobias Moretti vor nunmehr fünf Jahren die Rolle des reichen Mannes auf dem Salzburger Domplatz übernahm, musste innerhalb kurzer Zeit das gesamte Regieteam ausgetauscht werden. Michael Sturminger übernahm und stellte eine mehr als solide Fassung auf die Beine. Im heurigen Jahr gibt Lars Eidinger zum ersten Mal den Jedermann, und wieder ist es der Hauptdarsteller, der den Anstoß zu einer Neuinszenierung gibt.

Mehr Gegenwart

In Sturmingers Moretti-Inszenierung hätte Eidinger beim besten Willen nicht gepasst. Also musste eine Sturminger-Inszenierung für Eidinger her: eine modernere, weiblichere, weniger betuliche Fassung dieses nicht gerade für seine Gegenwärtigkeit bekannten Stückes. Über viele Jahre musste man den Jedermann für einen Anachronismus halten, gefangen in einer Folklore, die die Festspiele ansonsten längst auf den Prüfstein gestellt hatten. Mit Sturmingers Eidinger-Inszenierung ist jetzt auch der Jedermann stärker in der Gegenwart angekommen.

Oder sollen wir sagen: im Boxring der Muskelspiele und Neurosen, der Selbstgefälligkeiten und Selbstüberschätzungen, in der sich Jedermann und seine allegorischen Kumpane wie viele Zeitgenossen gegenüberstehen. In einer der Anfangsszenen ist dieses Bild durchaus wörtlich zu verstehen. Die Bitte des Schuldknechts (Mirco Kreibich) um Schuldenerlass endet mit einem K.-o.-Schlag im Boxring. Eidinger trägt einen Fatsuit mit teurem Pelzbesatz, der Nachbar hat dagegen sein letztes Hemd verkauft, außer seinen Bauchmuskeln ist ihm nichts geblieben. Doch diese Währung ist in Jedermanns Welt aus Protz und Prahlerei wenig wert.

Im Festspielhaus

Es ist immer noch der Mammon, der auf Renate Martins und Andreas Donhausers wild zusammengezimmerter Bretterbühne vor der Fassade des Doms dominiert (die Premiere wurde wegen des schlechten Wetters im Festspielhaus gegeben). Daran hat sich auch in Sturmingers Neuinszenierung nichts geändert, die genauso mit der Schablonenhaftigkeit der Figuren spielt, wie sie sich mit psychologischem Feingefühl dagegenstemmt. "Mein Sohn, ich hab ein Ahnen / ich werd dich nimmer lang ermahnen", sagt die Mutter zu Jedermann, bevor er sich an sie kuschelt. Statt Edith Clever spielt heuer Angela Winkler diese zentrale Rolle in Hofmannsthals 1919 geschriebenem Mysterienspiel, Clever gibt den Tod.

War Clever noch das personifizierte Alter Ego, ausgerüstet mit bedrohlicher Handtasche, ist Winkler mädchenhaft besorgt. Auch der Tod ist kaum wiederzuerkennen: Wie aus dem Nichts steht Clever plötzlich da, nachdem die Jedermann-Rufe im Festspielhaus verklungen sind. An der langen Tafel nehmen sie und Jedermann Platz, verhandelt wird mit sanfter Stimme die Frage nach Leben und Tod. Aus der schlangenhaften Androgynität von Peter Lohmeyer (er war der Tod in den vergangenen Jahren) ist eine dunkle, bedrohliche Ahnfrau geworden, die den Jedermann am Ende wie eine Pietà in den jetzt weiß gekleideten Schoß bettet.

Teufel auf allen vieren

Zwischen diesen beiden Momenten steht das verzweifelte Aufbäumen dieses Jedermann, der die Mätzchen an diesem Abend bald bleiben lässt. Merkte man Sturmingers Neuinszenierung in der Anfangsphase den unbedingten Willen an, neue Regiebilder für die von Traditionen überfrachteten Szenen zu finden, wird das Spiel nun stringenter und konzentrierter.

Beim guten Gesellen (Anton Spieker) blitzt Jedermann genauso ab wie bei seinen beiden Vettern, die Werke treten als Schleiereulen gewandet und in vielfacher Gestalt auf, Mavie Hörbiger liefert als Teufel auf allen vieren eine Trippelnummer ab, der Glaube der Kathleen Morgeneyer umgarnt den todgeweihten Mann mit ätherischer Milde: "Streif ab die Welt wie ein buntes Gewand", fordert sie, nachdem auch die Buhlschaft der Verena Altenberger Reißaus genommen hat.

Buhlschaft: Torero

Noch einmal trifft diese in einer stummen Szene und vor der Klangkulisse von Wolfgang Mitterers neu arrangierter Musik auf ihren Jedermann. Es gibt nichts mehr zu sagen: Gab sie am Anfang des Stücks noch einen weiblichen Torero, trifft man sich jetzt zum Abschiedssex. Diese Buhlschaft, das macht die agile Verena Altenberger in jeder Sekunde deutlich, mag zwar nur wenige Textzeilen haben, das Beziehungszepter hält aber sie in der Hand.

In einer anderen Konstellation hätte das den Jedermann vielleicht schwach aussehen lassen, nicht aber bei Lars Eidinger. Sein Jedermann ist genauso übermütig wie neurotisch, seine Männlichkeit lotet er immer wieder neu aus. Hofmannsthals rumpelnde Knittelverse spricht Eidinger mit einer Selbstverständlichkeit, wie man sie in Salzburg noch nie gehört hat. Theaterbefragung ersetzt Theaterfolklore. Dafür gab’s im Großen Festspielhaus donnernden Applaus. (Stephan Hilpold, 18.7.2021)