Immer mehr Corona-Tests in Vietnam sind positiv.

Foto: APA / AFP / Nhac Nguyen

Die Regierung in Vietnam hat über den Süden des Landes einen Lockdown verhängt und reagiert so auf die steigenden Corona-Zahlen. Die Lage sei "ernst, besonders angesichts der Verbreitung der rascher übertragbaren Delta-Variante", sagte Ministerpräsident Pham Minh Chinh am Wochenende. Am Freitag hatte das Land 2.600 neue Fälle und 69 neue Corona-Tote gemeldet, erst vor weniger als zwei Wochen war die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf über 1.000 geklettert.

Vietnam entwickelt sich vom Musterland in der Bewältigung der Corona-Pandemie zum Problemfall. In der mit neun Millionen Einwohnern größten Stadt des Landes, Ho-Chi-Minh-Stadt, ist die Situation außer Kontrolle. Dort haben die Behörden viele Industrieunternehmen geschlossen und weitere vor die Wahl gestellt, entweder die Beschäftigten im Werk oder daneben übernachten zu lassen, oder aber die Produktion einzustellen. Die Bewohner bekommen Gutscheine, mit denen sie zweimal pro Woche das Haus für Einkäufe verlassen dürfen. Da es in Vietnam keine Sozialhilfe gibt, sind die Auswirkungen für die Bevölkerung enorm.

Das 96 Millionen Einwohner zählende Land in Südostasien ist bisher glimpflich durch die Pandemie gekommen. Seit Anfang 2020 gibt es lediglich 41.000 Infizierte. Dreimal war das Land für Zeiträume von mehreren Monaten völlig Corona-frei. Während viele europäische Länder unter einem Lockdown standen, wurde in Vietnam gearbeitet und gefeiert.

Dabei hat Vietnam alles andere als ein leistungsfähiges Gesundheitssystem. Die Krankenhäuser sind so schlecht, dass sich wohlhabende Vietnamesen in Taiwan oder Singapur behandeln lassen. Das funktioniert natürlich in Corona-Zeiten nicht. Doch Vietnam hatte bei der Corona-Abwehr auf das gesetzt, was es hat: eine disziplinierte Bevölkerung, die widerspruchslos den staatlichen Anweisungen folgt und die zudem seit Jahren ohnehin als Schutz gegen Verkehrs- und Industrieabgase Masken trägt. Dazu die Abschottung: Seit dem Frühjahr 2020 ist die Einreise in das Land nur sehr wenigen Menschen gestattet, und die müssen ausnahmslos drei Wochen Quarantäne in staatlichen Isoliereinrichtungen absitzen. Schulen und Universitäten wurden trotz geringer Infektionszeiten über Monate geschlossen. Kontaktpersonen von Infizierten werden bis zum vierten Grad isoliert. Wer sich nicht an die Regeln hält, wird zu hohen Haftstrafen verurteilt. Es gibt keine Verwaltungsgerichte, vor denen Betroffene klagen könnten.

Keine Budgetmittel für Impfstoff

Doch die derzeitige Corona-Welle, die an vielen Stellen gleichzeitig ausbrach, trifft Vietnam mit solcher Wucht, dass die Abwehrmaßnahmen versagen. Es ist schlicht nicht möglich, so viele Infizierte und ihre Kontaktpersonen in staatlichen Absonderungseinrichtungen unterzubringen oder eine Millionenstadt abzuriegeln. Im besonders betroffenen Ho-Chi-Minh-Stadt wurden zwar drei neue Feldlazarette in Betrieb genommen, doch die waren im Nu gefüllt.

Jetzt rächt sich, dass Vietnam keine Haushaltsmittel für den Ankauf von Impfstoffen bereitgestellt hat. Vietnam setzte auf die Eigenentwicklung eines Vakzins, das aber noch in der Testung steckt, und hoffte zudem, über die Covax-Initiative kostenlos Impfstoff von Industriestaaten zu bekommen. Doch Covax hat Entwicklungsländer zum Ziel. Vietnam ist ein Schwellenland. Erst sechs Millionen Dosen Impfstoff sind im Land. Die Regierung nötigt die Bevölkerung und Unternehmen, für den Kauf von Impfstoffen zu spenden. (Marina Mai, 19.7.2021)