Bild nicht mehr verfügbar.

Die israelische Firma NSO Group wehrt sich gegen die jüngst erhobenen Vorwürfe. Das Unternehmen habe eine "lebensrettende Mission" und wolle diese auch weiterhin verfolgen.

Foto: AP Photo/Daniella Cheslow,

Hamburg/Berlin/Wien – Hunderte Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und Politiker, darunter auch Staatsoberhäupter, sind offenbar ins Visier von Geheimdiensten und Polizeibehörden geraten. Das geht aus Recherchen eines Journalistenkonsortiums hervor, an dem öffentlich-rechtliche deutsche Rundfunkanstalten sowie die "Süddeutsche Zeitung" und die Wochenzeitung "Zeit" beteiligt sind. Die Ausspähziele sollen von Kunden der israelischen Firma NSO Group ausgewählt worden sein. Diese ist vor allem durch den Trojaner namens Pegasus bekannt, mit dem Telefongespräche, SMS, Mails und angeblich sogar verschlüsselte Chats überwacht werden können. Auch Kameras und Mikrofone können damit unbemerkt aktiviert werden. Pegasus gilt unter Fachleuten als das derzeit leistungsfähigste Spähprogramm für Handys und ist als Cyberwaffe eingestuft.

Offiziell verkauft NSO seine Spionagesoftware nur an staatliche Stellen, die diese nur für den Kampf gegen den Terror und schwere Kriminalität einsetzen sollen. Recherchen des Pegasus-Projekts deuten allerdings darauf hin, dass autoritäre Regime damit auch politische Gegner, Oppositionelle, Menschenrechtsaktivisten und kritische Journalisten überwachen.

Spionage in Ungarn, kein Dementi von Orbán

Auf einer geleakten Liste, die dem Journalistenkonsortium vorliegt, finden sich rund 50.000 Telefonnummern, darunter jene von mehr als 180 Journalistinnen und Journalisten, etwa den Reporterinnen von "Le Monde", "Mediapart" und "Le Canard enchaîné" in Frankreich, einer Reporterin des US-Fernsehsenders CNN, ungarischen Investigativreportern sowie bekannten Journalistinnen aus Aserbaidschan.

Zu den Journalisten, auf deren Smartphones Spuren erfolgreicher Pegasus-Angriffe nachgewiesen wurden, zählen zwei Reporter des ungarischen Investigativmediums "Direkt 36". Die Recherche legt den Verdacht nahe, dass diese Angriffe von staatlichen Stellen in Ungarn ausgeführt wurden. Die ungarische Regierung widersprach dem auf Nachfrage nicht. Ein Sprecher des Büros von Ministerpräsident Viktor Orbán teilte mit, staatliche Stellen in Ungarn setzten "verdeckte Methoden" stets nur im gesetzlichen Rahmen ein.

Khashoggis Umfeld betroffen

Zu den Betroffenen der Handyüberwachung zählt laut den Recherchen des Journalistenkonsortiums auch Hatice Cengiz, die Verlobte des 2018 ermordeten saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi. Ihr Handy wurde nur vier Tage nach dem Mord laut den Cyberexperten von Amnesty International mit der Schadsoftware Pegasus infiziert. NSO teilte dazu mit, die Technologie des Unternehmens sei "in keiner Weise" mit dem Mord an Khashoggi in Verbindung gestanden.

Mithilfe forensischer Untersuchungen konnten in 37 Fällen versuchte oder erfolgreiche Angriffe mit Pegasus auf den Handys von Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, deren Familienangehörigen sowie Geschäftsleuten nachgewiesen werden.

Ziele unbekannt

Wie die ARD-"Tagesschau" online berichtete, hat ein Anwalt im Auftrag von NSO bereits eine Stellungnahme zu den Vorwürfen verfasst. Ihr zufolge könne die Erfassung von Telefonnummern auf der Liste, auf die sich die Veröffentlichung beruft, durchaus legitime Anwendungsmöglichkeiten haben, die nichts mit Überwachung oder mit NSO zu tun hätten. Die Firma habe zudem keine Kenntnis von den Aufklärungszielen ihrer Kunden, hieß es.

Zudem teilte NSO demnach auf Anfrage mit, ihre Technologien hätten geholfen, "Terrorangriffe, Waffengewalt, Autoexplosionen und Selbstmordanschläge zu verhindern".

Reaktionen

Die französische Regierung hat "extrem schockiert" auf die Enthüllungen reagiert. Sollten sich die Anschuldigungen bewahrheiten, dann "wiegen sie extrem schwer", sagte am Montag Regierungssprecher Gabriel Attal dem Rundfunksender Franceinfo. Frankreich sei der Pressefreiheit verpflichtet. "Deshalb ist es sehr schlimm, wenn es Manipulationen gibt und Techniken, die die Freiheit von Journalisten einschränken und ihre Freiheit, zu recherchieren und zu informieren", sagte der Sprecher.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) fordert indes Aufklärung darüber, ob Pegasus auch in Deutschland verwendet wurde. "Für die Sicherheitsbehörden muss es jetzt heißen: Karten auf den Tisch", erklärte der DJV-Vorsitzende Frank Überall am Montag. "Wir wollen Fakten sehen und keine Ausflüchte." Die bisher bekannt gewordenen Informationen zur Verwendung der Spähsoftware nannte er einen "nie da gewesenen Überwachungsskandal". (red, 18.7.2021)

Der Artikel wurde zuletzt am Montag um 12.25 Uhr ausgebaut.