Nicht erst seit der Corona-Pandemie gibt es ein Wechselspiel zwischen Verschwörungstheorien und Politik, insbesondere bei populistischen Parteien. Constanze Jeitler untersucht nun in einem Forschungsprojekt dieses Wechselspiel in Österreich.

STANDARD: Politik und Verschwörungstheorien interagieren. Welche Charakteristika sind dabei von Bedeutung?

Jeitler: Verschwörungstheorien haben immer ein starkes Schwarz-Weiß-Denken. Es gibt die Guten – das Volk – und die Bösen – die Eliten, die sich gegen das Volk verschworen haben. Es sind einfach gestrickte Erklärungen und Botschaften, die vage bleiben und sich gut für die Mobilisierung eignen. Sie sind aber auch partizipativ, Menschen können auf der Suche nach Antworten quasi in einen Rausch reinkippen. In Krisenzeiten treten sie gehäuft auf – auch jetzt mit Corona.

Politik trifft auf Verschwörungstheorien: der nunmehrige FPÖ-Chef Herbert Kickl bei einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen im März 2021.
Foto: APA/MICHAEL GRUBER

STANDARD: Was sind Unterschiede zwischen Populismus und Verschwörungstheorien?

Jeitler: Populismus ist eine Art, Politik zu machen. Im Zentrum steht das Volk, das tüchtig ist und von den bösen, mächtigen Eliten betrogen wird. Der Populist ist dann derjenige, der diesem System den Kampf ansagen will. Eine Verschwörungstheorie ist ein spekulatives Narrativ, das Vermutungen über Ereignisse anstellt und offizielle Darstellungen anzweifelt. Es passiert nichts durch Zufall, alles hängt zusammen. Der Populismus funktioniert auch ohne Verschwörungstheorien.

STANDARD: Und wie sieht es mit Gemeinsamkeiten aus?

Jeitler: Auch Populisten setzen auf Gut gegen Böse und nutzen Krisen aus oder erfinden solche – das macht zum Beispiel Viktor Orbán gern. Das Wahlverhalten und der Glaube an Verschwörungstheorien haben weniger mit den tatsächlichen Lebensbedingungen als mit einem Gefühl zu tun, dass etwas falsch läuft. Abstiegsängste, Unsicherheit, ein Gefühl von Machtlosigkeit – das hat sich in der Corona-Zeit besonders gezeigt – und ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Politik spielen eine große Rolle.

STANDARD: Der Populist kommt und sagt: Ich habe die – meist einfache – Lösung. Sind Verschwörungstheorien komplexer?

Constanze Jeitler forscht im Rahmen ihrer Dissertation zu Verschwörungstheorien an der Universität Tübingen. Davor studierte sie in Wien und Budapest und arbeitete im Neos-Parlamentsklub. Zuletzt hielt sie einen Vortrag an der Akademie der Wissenschaften. Ihre Dissertation ist Teil des Projektes "PACT: Populism and Conspiracy Theory" ist, das vom europäischen Forschungsrat ERC finanziert wird.
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Jeitler: Manche Verschwörungstheorien sind komplex, andere sind einfach nur kompliziert, aber sie zeigen selten eine konkrete Lösung für ein Problem auf. Verschwörungstheorien finden in der frühen Neuzeit nach der Reformation und der Erfindung des Buchdrucks verstärkt Verbreitung. Zum ersten Mal ist nicht alles, was passiert, eine göttliche Strafe; eine Krise kann auch menschengemacht sein. Dann hat man sich auf die Suche nach Schuldigen begeben, so sind dann diese Theorien entstanden und durch den Buchdruck auch verbreitet worden.

STANDARD: Sie beschäftigen sich vor allem mit der Politik der letzten 35 Jahre. Wo spielten Verschwörungstheorienin Österreich eine wichtige Rolle?

Jeitler: 1986 im Zuge der Waldheim-Affäre, aber es ist auch das Jahr, in dem Jörg Haider zum FPÖ-Chef gewählt wird. Mit Haider verändert sich die Politik, es wird alles personalisiert und populistischer.

STANDARD: Und wenn wir in die jüngere Vergangenheit schauen?

Jeitler: Bei der Bundespräsidentenwahl 2016 hat sich aufgrund der Länge und Heftigkeit der Auseinandersetzung noch einmal grundsätzlich etwas verändert, weil erstmals von den beiden großen Parteien niemand in der Stichwahl war. Und dann gibt es natürlich auch noch die Ibiza-Affäre.

STANDARD: Bei der Ibiza-Affäre stand die Entstehungsgeschichte schnell im Fokus.

Jeitler: Bei den Skandalen geht es oft nicht um den Inhalt des Skandals – bei Waldheim, den EU-Sanktionen oder dem Ibiza-Skandal –, sondern darum, wer angeblich dahintersteckt und wer verhindern will, dass die Populisten an die Macht kommen. Da helfen Verschwörungstheorien.

STANDARD: Politik nutzt auch Verschwörungstheorien und ihre Stimmungen. Zum Beispiel FPÖ-Chef Herbert Kickl, der bei einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen auftrat. Wie sehen Sie dieses Wechselspiel?

Jeitler: Die Corona-Verschwörungstheorien sind nichts Neues. Die grundsätzliche Erzählung ist: Da hat sich eine Gruppe gegen die Bevölkerung verschworen und will sie mit dem Virus krank machen. Oder: In der Impfung sind Mikrochips, mit denen unsere Gedanken ausgelesen werden. Die Verschwörer sind alte Bekannte: Bill Gates und George Soros, die Kommunisten, die Freimaurer. Solche Verschwörungstheorien haben Mobilisierungspotenzial, und das wird von der FPÖ ausgenutzt. Wenn Herbert Kickl bei einer Corona-Demo redet, will er zeigen, dass er zuhört, für das "Volk" da ist und gegen die Eliten kämpft. Aus der Sicht von Herbert Kickl ergibt das natürlich total Sinn, weil er potenzielle, schon mobilisierte Wählerinnen und Wähler gewinnen kann.

STANDARD: Verschwörungstheorien kommen so in der Politik an.

Jeitler: Dieser sehr stigmatisierte Diskurs bekommt so über eine Partei, die im Parlament vertreten ist, eine ganz andere, quasi legitime Ebene. Es ist dann kein Nischendiskurs mehr. Wo ich eine Gefahr sehe, ist, dass sich unterschiedliche Gruppen vernetzt haben, von Identitären bis Impfgegnern. Da wurden Brücken gebaut, die nach Corona nicht so rasch wieder einstürzen. (Sebastian Pumberger, 20.7.2021)