Ungarns Premier Viktor Orbán steht in der Kritik, weil seine Regierung Spyware gegen kritische Journalisten eingesetzt haben soll.

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Die Liste der möglichen Zielpersonen für das Ausspähen durch die Spyware des israelischen Herstellers NSO Group umfasst in Ungarn 300 Namen. Unter ihnen sind Journalisten, Geschäftsleute, Rechtsanwälte und politische Aktivisten, wie die ungarische Rechercheplattform "Direkt 36" am Sonntagabend berichtete. Die Plattform ist einer von 17 Partnern, die als Teil eines internationalen Medienkonsortiums den weltweiten Missbrauch der an meist schlecht beleumundete Regierungen verkauften Spyware Pegasus aufgedeckt haben.

"Direkt 36" ist in Ungarn eines der wichtigsten Aufdeckermedien und leuchtet in die teils korrupten Machenschaften des Umfelds des mächtigen rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán hinein. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass zwei Reporter der Plattform, Szabolcs Panyi und András Szabó, nachweislich mit Pegasus ausgespäht wurden. Technische Analysen ihrer iPhones ergaben, dass ihnen die Spyware aufs Gerät gespielt worden war.

Vor allem Panyi hat sich als Autor einen Namen gemacht, der die politischen und wirtschaftlichen Verstrickungen der Orbán-Regierung mit den Regimen in Russland und China enthüllte. Viel Beachtung fand aber auch seine Analyse, wie sich Orbán durch die großzügige Förderung deutscher Investoren und durch Bestellungen bei der deutschen Rüstungsindustrie das politische Wohlwollen der Berliner Regierung sichert.

Journalist als Risikofaktor

Panyis iPhone wurde von April bis Dezember 2019 ausgespäht. Zu dieser Zeit recherchierte der ehemalige Fulbright-Stipendiat zu der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin wiederbelebten russischen Internationalen Investitions-Bank (IIB), die ihr Hauptquartier wenig später auch tatsächlich in Budapest aufschlug. Orbán tat Putin damit einen Gefallen, weil seitdem dutzende russische Banker im EU-Land Ungarn Diplomatenstatus haben. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Betreiber des (Spyware-)Systems daran interessiert waren, was diese ungarischen und amerikanischen Journalisten über diese russische Bank schreiben werden", sagte er dem Portal forbiddenstories.org, das die Arbeit des Medienkonsortiums koordinierte. Zugleich zeigte sich Panyi zutiefst besorgt. "Wenn du als Journalist überwacht wirst, wenn selbst deine vertraulichsten Nachrichten kompromittiert sind, wer zum Teufel wird mit dir dann noch in Zukunft sprechen? Jeder wird glauben, dass wir toxisch sind, dass wir ein Risikofaktor sind."

Auch der wohlhabende Unternehmer Zoltán Varga, Eigentümer des unabhängigen Nachrichtenportals 24.hu, dürfte ein Opfer von Pegasus-Lauschangriffen gewesen sein. Er zeigte sich darüber wenig verwundert. Er werde schon seit Jahren unter Druck gesetzt, das Portal zu verkaufen oder wenigstens den kritischen Ton zu mildern. Konkret ausgespäht wurde ein Abendessen in seiner Villa wenige Wochen nach der Wahl 2018, zu dem Varga mehrere Orbán-Kritiker eingeladen hatte, darunter dessen früheren Wirtschaftsminister Attila Chikán. "Direkt 36" sagte Varga, dass er auch regelmäßig auf "klassische" Weise observiert werde: aus Autos, die vor seinem Haus parken, von Nachbartischen in Restaurants aus. Zum abgehörten Abendessen meinte er sarkastisch: "Das war eine Freundesrunde, kein Staatskomplott."

Weit gesteckte rechtliche Bestimmungen

Die ungarische Regierung hält sich bislang bedeckt. Auf Anfrage von "Direkt 36" hieß es lediglich, dass "wir keine Kenntnis von der in Ihrer Anfrage erwähnten Datensammlung haben". Ungarn sei ein "Rechtsstaat" und verfahre in jedem Fall entsprechend den geltenden rechtlichen Bestimmungen. Diese sind allerdings – worauf Menschenrechtler hinweisen – in Ungarn für staatliche Späher und Schnüffler weit gesteckt, vor allem wenn es um sogenannte "Interessen der nationalen Sicherheit" geht. (Gregor Mayer aus Budapest, 19.7.2021)