Noch haben sich die Nebelschwaden über dem Mondsee nicht ganz in die umliegenden Berge zurückgezogen. Für Reinhard Ammer ist es dennoch schon an der Zeit, das Netz einzuholen. Heute waren die Fische schneller da als sonst. Ammer zieht mit seinen tellergroßen Händen kräftig an dem Netz. Armlänge für Armlänge landet das geknüpfte Netz mit einer Maschenweite von acht Zentimetern im Boot. Reinanken, Zander und Hechte hat er heute gefangen.

Mit einem Mal werden die bärigen, kraftvollen Bewegungen des Fischers ganz sanft. Fast schon zärtlich und vor allem gekonnt fädelt er die Reinanken aus dem Netz. Der Fisch darf nicht verletzt werden. Sonst sieht das der Koch später an den Blutergüssen im Fleisch. In diesem Fall wäre das Lukas Nagl, Chefkoch des Restaurants Bootshaus am Traunsee.

Lukas Nagl vom Restaurant Bootshaus am Traunsee zeigt, wie er Aal, Hechtblase und Karpfenmilch verarbeitet
Foto: Helge Kirchberger/Kochcampus

Nagl: "Mich fasziniert die Symbiose von Reinhard und dem See. Schaut aus wie Rambo – so ein Netz muss man erst einmal an Land ziehen – und behandelt die Fische mit einer Zärtlichkeit, die ihresgleichen sucht. Von Fischern wie ihm habe ich unglaublich viel gelernt", so der Koch. Wie man die fiesen Y-Gräten gekonnt aus dem Hecht schneidet, hat allerdings der Koch dem Fischer gezeigt.

Beim brancheninternen Wissensaustausch-Event "Kochcampus" zeigen die Köche Lukas Nagl, Hannes Müller und Manuel Ressi, wie man die Vielfalt aus den heimischen Seen richtig in Szene setzt.
Foto: Helge Kirchberger / www.kochcampus.at

Toller Hecht

Denn diese Grätenform, die sich durch das Fleisch des Fisches zieht, ist einer der Gründe, warum selten jemand Hecht verarbeitet. Zu umständlich die Verarbeitung, zu mager die Ausbeute, bei einem Tier, bei dem der Kopf mitunter bis zu 30 Prozent des Gesamtgewichts ausmacht. Dabei wäre gerade dieser Raubfisch in einigen österreichischen Seen unbedenklich zu fangen. Die Bestände sind groß genug beziehungsweise müssten zum Teil sogar reduziert werden.

Lukas Nagl dämpft seinen Hecht zu Pak Choi, Vogelmiere und Bärlauchkapern. Aus den Zanderbäckchen macht er Sulz, die Aalruten-Leber kombiniert er mit Zwiebel-Cranberry-Preiselbeer-Chutney, und aus der Hechtblase kocht er ein an Kutteln erinnerndes Gericht.

"Man muss eben wissen, dass das Hechtfleisch, wenn es einen Tag abgehangen hat, viel besser schmeckt", sagt Lukas Nagl. Wissen wie dieses, aber vor allem über die Verarbeitung von Fisch, und zwar von allen Teilen, habe er sich bei seinen Stationen im Ausland wie beispielsweise in Sansibar angeeignet. "Da wird Fisch sowieso immer nur im Ganzen verarbeitet."

Zurück in der Heimat zeigt Nagl seit einigen Jahren auf, wie sich diese Techniken und das Know-how auf österreichische Fische anwenden lassen. "Niemals kann ein Thunfisch, der tiefgekühlt oder auf langen Transportwegen zu uns kommt, mit einem Karpfen in Sushi-Qualität mithalten. Weder in der Konsistenz noch im Geschmack", sagt Nagl und rührt den Aalfonds für den über Kirschholz geräucherten 40-jährigen Aal an.

Lukas Nagls Gericht vom Seesaibling mit Salzsellerie, Hollunderblüten, Koji und Macadamia
Foto: Helge Kirchberger / www.kochcampus.at

Wir wüssten in Österreich nur zu wenig, welche kulinarischen Schätze in unseren Seen herumschwimmen und wie essenziell es sei, die richtigen Fische aus Wildfang richtig zu verarbeiten. Es liege an den Gastronomen, durch den gekonnten Umgang mit heimischem Fisch im Restaurant Bewusstsein zu schaffen, so Nagl.

Alle in einem Boot

Das war mitunter der Grund für Lukas Nagl, so wie für die Köche Manuel Ressi vom Bärenwirt in Hermagor und Hannes Müller vom Restaurant Forelle in Techendorf zum "Kochcampus"-Event am Weißensee in Kärnten zu laden.

Wissen mit den besten Gastronomen des Landes zu teilen und Bewusstsein für die Allgemeinheit zu schaffen, das ist stets Ziel des Kochcampus, der zu den verschiedensten Themen in Fachkreisen stattfindet. Erzählte Sternekoch Heinz Reitbauer noch vor einem Jahr, wie man mit Innereien richtig umgeht (der STANDARD berichtete), so zeigen Müller, Nagl und Ressi heuer alles, was sie über Fisch wissen.

Hannes Müller von der Forelle bittet seinen Fischer des Vertrauens zu Wort. Martin Müller ist der einzige Berufsfischer vom Weißensee und Ökologe mit Spezialgebiet Fische, also Limnologe. "Will man als Ökologe die Welt verbessern, hat man es schwer", sagt der Fischer Müller. "Gemeinsam mit Gastronomen als Sprachrohr erreicht man mehr Menschen."

Fischer Martin Müller (li.) und Koch Hannes Müller (re.) erzählen vom Weißensee und seinen Fischen
Foto: Helge Kirchberger/Kochcampus

Hannes Müller sei einer seiner größten Abnehmer der 1,5 Tonnen Fisch, die er im Jahr aus dem See fische. Meeresfisch kommt dem Kärntner Koch nicht in die Küche. Die beiden arbeiten im Schulterschluss, um Aufklärungsarbeit über die Fische aus dem Weißensee zu leisten.

Erst seit 2005 fischt Martin Müller als Berufsfischer im Weißensee. Zuvor waren die Populationen im türkisblauen Wasser den Hobbyanglern und deren Gutdünken überlassen. Als ein Beispiel für die Konsequenz daraus erzählt Ökologe Müller von der Größe der Tiere: "Wenn immer nur die großen Fische herausgefischt werden, wird die Art in Summe kleiner, weil nur die kleinen Fische sich vermehren können." Und den Hecht, von dem es aber zu viel im See gebe, hätten sowieso die meisten wieder über Bord geworfen – Verarbeitung, Y-Gräten und so.

Ein Fisch namens Seeforelle

Wobei der Hecht im Weißensee ursprünglich nicht heimisch war. "Der Mensch wollte den Fischbestand in den Seen sichern und hat fremde Arten eingesetzt", erklärt Ökologe und Fischer Müller. Was den Weißensee betrifft, haben die Neuankömmlinge wie die Reinanke und der Hecht inzwischen ursprünglich heimische Fische wie den Gründling, die Elritze und die Seeforelle verdrängt.

Daher ist es auch die Reinanke, die Koch Hannes Müller in Huflattichblatt wickelt, grillt und mit Wiesenblüten, Wipfelöl, Pilzen und Tomatenwasser serviert. Wobei die Reinanke natürlich ein großartiger Fisch sei, räumen Köche wie Fischer ein. Nur eben am Weißensee ursprünglich nicht heimisch.

In trockenen Tüchern

Essenziell ist es, die richtigen Fische aus dem Wildfang richtig zu verarbeiten.
Foto: Helge Kirchberger / www.kochcampus.at

Manuel Ressi vom Restaurant Bärenwirt in Hermagor ist unterdessen vor einigen Wochen das Whole Fish Cookbook des neuseeländischen Autodidakten Josh Niland untergekommen. Dieser fragt sich darin nicht nur, wie man wirklich alle Teile von allen Fischen verarbeiten kann, sondern auch, warum Köche Fisch weltweit nicht wie Fleisch behandeln.

Manuel Ressi aus dem Bärenwirt in Hermagor bei seiner Fisch-Dry-Age-Masterclass
Foto: Helge Kirchberger/Kochcampus

Da würde doch auch niemand auf die Idee kommen, Fleisch auf Unmengen von Eiswürfeln zu betten. Und wieso kann man eigentlich nur Fleisch von Landtieren "dry-agen", also langsam trocknen und so den Geschmack des Fleisches intensivieren und mit Konsistenzen spielen? In dem Kapitel ist Ressi schließlich hängengeblieben.

Weißenseer Reinanken im Dry-Ager von Manuel Ressi
Foto: Jürgen Schmücking/Kochcampus

Und so präsentiert er seinen Kochkollegen unter anderem acht Tage alten Stör, aus einer Zucht aus der Nähe des Weißensees, und 21 Tage alten Wildfangkarpfen. Das Fleisch ist butterweich, der Geschmack merklich nussig und leicht erdig. "Nicht nur im intensiven Geschmack nützt einem der Dry-Ager. Man kann Kleinmengen frisch daraus verarbeiten und muss sie nicht in Plastik vakuumiert lagern", sagt Ressi und setzt den Chip aus getrockneter Fischhaut auf das Ensemble aus Amurkarpfen, Senfsamen und Feldgurke. (Nina Wessely, RONDO, 21.7.2021)