Kitschig, aber auch Symbol für die Künste: Das geflügelte Pferd Pegasus.

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Es gehört zur guten alten Militär- und Geheimdienstsitte, sich für Operationen jedweder Art an Begriffen aus Geschichte und Mythologie zu bedienen. Und oft genug sagen diese Bezeichnungen bereits mehr über das Vorhaben aus, als den Operierenden selbst lieb sein kann.

So auch im Falle jener Spionagesoftware der israelischen Firma NSO Group, die auf den lateinischen Namen Pegasus hört, der wiederum auf ein Pferd mit verwickelter Geschichte zurückgeht. Medienrecherchen zufolge soll das Programm im großen Stil zur Überwachung der Mobiltelefone von unter anderem Regimekritikern, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Politikern in aller Welt eingesetzt worden sein – und keineswegs "nur" zur Ausspähung potenzieller und tatsächlicher Terroristen. Gut oder böse ist eben eine Frage des Blickwinkels. Das weiß man seit Homer.

Die Firma NSO Group hat ihre Spyware nach dem mythologischen geflügelten Pferd benannt, das im altgriechischen Original "Pegasos" heißt – ein Mischwesen aus Huftier und Vogel, dessen kulturelle Ursprünge im alten Orient liegen. Psychologisch betrachtet dürfte das Tier dem menschlichen Wunsch entsprechen, schneller, höher und weiter hinaus zu wollen – eine Allzweckwaffe, nach der freilich auch so manches Regime strebt.

Zum Trojaner gemacht

Mit der Schlacht um Troja und dem Holzpferd des listigen Odysseus hat Pegasus zwar nichts zu tun, die Spyware ist dennoch ein klassischer sogenannter Trojaner, wie man sie seit dem Internetzeitalter nur zu gut kennt.

Schon die Geburt des Pegasus ist in Wahrheit eine Tragödie: Er soll dem Nacken der Medusa entsprungen sein, als diese von Perseus geköpft wurde. Ein Pferd ist er deswegen, weil der Meeresgott Poseidon als Hengst getarnt einst die schöne Medusa vergewaltigte, was wiederum deren Unglück als schlangenhaariges Ungeheuer in Gang setzte.

Geritten wurde der scheue und friedvolle Pegasus, der sich still an der Quelle der Weisheit labt, später vom unabsichtlichen Brudermörder Bellerophon. Der tötete auf Pegasus’ Rücken zwar die wirklich böse Chimäre, war andererseits aber auch zu den Amazonen-Feministinnen ganz und gar nicht nett und versuchte zudem, Pegasus zum Ritt auf den Olymp zu missbrauchen.

Apropos Missbrauch: Populärkulturell gilt Pegasus als Inbegriff des Kitschs. In der Manga-Serie Sailor Moon etwa wird dem armen Gaul sogar noch ein Einhorn auf die Nase gebunden. Wir lernen: Nicht das Pferd ist das Problem, sondern der, der es reitet. (Stefan Weiss, 20.7.2021)