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Einar Schleef (1944–2001) hat das Theater radikal neu gedacht.

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Nach einem Wien-Aufenthalt 1976 ist Einar Schleef nicht mehr in die DDR zurückgekehrt. Hundertmal am Tag, so sagte der damals am Burgtheater beschäftigte Regisseur, möchte er nicht mehr dorthin und hat doch zeitlebens unstillbares Heimweh empfunden. Der Konflikt des Einzelnen mit der Masse, so könnte man aus seiner Biografie folgern, hat Schleefs Kunstverständnis geprägt und stand im Zentrum seiner Theaterarbeit. In dieser wurde der Chor zum zentralen Element.

Schleef, der am 21. Juli vor zwanzig Jahren starb, hat den Chor für die Bühne rückerobert und damit dem postdramatischen Theater, das den identifikatorischen Sprecherfiguren zu misstrauen begonnen hatte, neuen Bewegungsraum verschafft. Heiner Müller verortete es "zwischen Aischylos und Popkultur".

Der Wassermaler

Rasche, Bosse

So unterschiedlich chorisches Theater heute auch ausgeprägt ist – von Ulrich Rasches wuchtigen Sprechpartituren bis hin zu Claudia Bosses diversifizierendem Chorkörper – der 1944 in Sangerhausen geborene Einar Schleef war dafür Pionier. So viel Chor war lange nicht, auch weil die Dramentexte das entindividualisierte Sprechen einverlangen, man denke an Stücke Thomas Köcks.

Suhrkamp Verlag

Mit der Uraufführung von Elfriede Jelineks Ein Sportstück 1998 am Burgtheater hat Schleef die Notwendigkeit des Chors endgültig besiegelt. Sagenhafte 43 Minuten Applaus für 142 Spielerinnen und Spieler gab es damals. Der Chor steht für die manipulierte, aber auch die manipulierende Masse, er ist die vergesellschaftete Rede der Gegenwart.

In Deutschland wurden die Inszenierungen Schleefs damals als faschistoid diffamiert und ideologisch missgedeutet. Auch sonst gab es mit dem kompromisslosen Solitär des deutschsprachigen Theaters oft Zoff. Ein beachtlicher Teil der geplanten Arbeiten konnte nicht realisiert werden, auch aus betriebstechnischen Gründen. Denn Schleef, der gelernte Bühnenbildner, war angetreten, auch den Theaterraum aufzulösen – er hat das Publikum in seine leeren Bühnen hineingeholt.

Theaterskandale

Schleef entwickelte seine Kunst, als es noch veritable Theaterskandale gab und Stücke mehr oder weniger abgesetzt wurden, etwa 1975 Fräulein Julie am Berliner Ensemble, als Schleef vom Bühnenbildner ins Regiefach wechselte und die SED-Spitzen verunsicherte. Zehn Jahre später inszenierte er in Frankfurt die Antikenparaphrase Mütter, in der er 50 Frauen mit Migrationsbiografien besetzte.

Schleef war als Regisseur maßgeblich, aber noch viel mehr. Er hat aus verschiedenen Richtung auf seine Theaterkunst zugearbeitet. Er war Schauspieler und Fotograf und vor allem Schriftsteller (Prosa und Drama), der übrigens 1982 beim Bachmannpreis-Wettlesen den dritten Platz belegte. Sein künstlerisches Credo ist im Essayband Droge Faust Parsifal nachzulesen. (Margarete Affenzeller, 20.7.2021)