Inhalte des ballesterer #162 (August 2021) – Seit 16. Juli im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

SCHWERPUNKT: VAR

EIN KAMMERL IM ZWÖLFTEN
Der VAR kommt in die Bundesliga

ARCHIVMATERIAL
Die lange Debatte um den Videoschiedsrichter

GROSSER SPORT
Der Videobeweis im Football, Kricket und Tennis

ÜBERREGULIERT
Bundesliga-Vorstand Ebenbauer über Schiedsrichter, die EM und die Super League

Außerdem im neuen ballesterer:

EM-RÜCKBLICK
Wie spielt das wahre Österreich?

1909 GRAD KELVIN
Sturms Yeboah im Porträt

GEZEICHNET FÜRS LEBEN
Max Sax von der Wiener Austria

ADIEU AUSWÄRTSTORREGEL
Die doppelten Tore im Europacup

DAS AUFFANGBECKEN
Ein Anstoß zur Conference League

PANDEMIE UND PROTESTE
Die Copa America in Coronazeiten

TRAFFICKING TRANSFER
Die Geschichte von Silas

AUSVERKAUF IN DER TOSKANA
Livorno nach dem Abstieg

NACHBAR IM NORDEN
Einblicke in die tschechische Liga

SPRENGMEISTER
Der Fall der Türme von Rugeley

SPIEL DES LEBENS
Matchberichte aus Deutschland, England und Österreich

Cover: Ballesterer

Werder-Legenden unter sich: Wynton Rufer im Gespräch mit Thomas Schaaf.

Foto: Imago/Nordphoto

Wynton Rufer gewann mit dem SV Werder Bremen die Meisterschaft und den Europacup, mit dem neuseeländischen Nationalteam war er bei der erstmaligen WM-Teilnahme 1982 dabei. Heute leitet der 58-jährige frühere Stürmer die Wynton Rufer School of Excellence in Auckland, die Kindern und Jugendlichen sowohl Vor-Ort-Programme als auch Onlineunterricht in Sachen Fußball bietet. Seine Freizeit verbringt er gerne mit dem Fischen. Als ihn der ballesterer erreicht, bereitet er sich gerade auf einen Angelausflug mit seinem Bruder vor, nutzt das Warten auf das Einsetzen der Flut aber gleich für das Interview.

ballesterer: Wie sind Sie zum Fußball gekommen?

Wynton Rufer: Durch meinen Vater und meinen älteren Bruder Shane, der ein super Sporttalent war. Später war er Nationalteamspieler im Softball, Volleyball und Fußball. Als Kind hat er in einem Verein gespielt, mit sechs oder sieben Jahren bin ich dann auch hingegangen. So wie alle in Neuseeland habe ich jede Woche die Sportsendung "The Big Match" geschaut, in der das Topspiel aus England übertragen worden ist. Mit zehn habe ich gewusst, dass ich einmal Profifußballer werden möchte.

Wie ist es zum Durchbruch gekommen?

Rufer: Der Klub meines Bruders hat gute Kontakte zu Norwich gehabt. 1981 haben sie uns beide zu einem Probetraining eingeladen. Nach einem Monat wollten sie mich unter Vertrag nehmen, leider habe ich aber keine Arbeitsbewilligung bekommen und nur in der Reserve gespielt. Zur gleichen Zeit bin ich erstmals ins Nationalteam einberufen worden. Die Mannschaft hat in der WM-Qualifikation Schwierigkeiten gehabt, also hat sich unser Teamchef bei Norwich nach mir erkundigt. Ich bin für die letzten drei Spiele zur Mannschaft gestoßen, habe super gespielt und vier Tore gemacht. Wir haben in Kuwait in einem ausverkauften Stadion 2:2 gespielt, und ich habe das 2:1 erzielt. Dann war das Play-off-Spiel in Singapur gegen China vor 60.000 Zuschauern. Das war ein Traum. Ich war gerade erst 19 Jahre alt und habe das Siegestor geschossen. Dadurch sind wir zur WM nach Spanien gefahren.

Wie war es dort?

Rufer: Ein Wahnsinn. Schon das ganze Drumherum war unglaublich. Und dann spielst du auch noch gegen Brasilien, Schottland und die Sowjetunion. Das Brasilien von 1982 war eine der besten Mannschaften der Geschichte, die nicht Weltmeister geworden ist.

Wie ist es danach weitergegangen?

Rufer: Ich habe schon vor der WM beim FC Zürich unterschrieben. Die haben erfahren, dass ich einen Schweizer Pass habe – mein Vater ist 1957 von dort nach Neuseeland ausgewandert. Meinen Bruder haben sie auch gleich geholt. Obwohl er davor Stürmer war, haben sie ihn in die Verteidigung versetzt, auf der Position ist er dann die nächsten zwölf Jahre geblieben.

1989 sind Sie von den Grasshoppers zu Werder Bremen gewechselt.

Rufer: Ja, eigentlich hätte mich Jupp Heynckes zu Borussia Mönchengladbach holen wollen. Als sich das zerschlagen hat, habe ich bei Werder unterschrieben. Es war fantastisch in Deutschland und die Zusammenarbeit mit Otto Rehhagel sensationell.

Was war an ihm so besonders?

Rufer: Otto war wie ein Vater für uns. Er hat die Mannschaft menschlich geführt, mir als Ausländer hat er noch einmal speziell geholfen. Wir haben heute noch eine sehr enge Beziehung und treffen uns jedes Jahr.

Wie blicken Sie auf die Zeit in Bremen zurück?

Rufer: Das war absolut traumhaft. Wir haben jedes Jahr etwas gewonnen: die Bundesliga, den Pokal, den Europacup. Ich habe viele lukrative Angebote bekommen, aber wegen der Beziehung zum Verein, zur Mannschaft und zu Otto wollte ich nie weggehen.

1992 sind Sie im Finale des Cup der Cupsieger gegen Monaco gestanden. Wie war das?

Rufer: Für mich war es schon ein Erlebnis, das Finale erreicht zu haben. Ich bin mit einer Art Touristenmentalität hingefahren, ich habe alles bewundert, alleine schon das große Stadion. Ich habe überhaupt keinen Druck gespürt, sondern wollte einfach Fußball spielen. Otto hat uns sensationell vorbereitet, und wir haben das Spiel gemacht. Dass ich dann auch noch das 2:0 schieße, war die Draufgabe. Ein paar Jahre später hat mir Arsene Wenger einmal erzählt, wie ihn Otto ausgetrickst hat. Zum Beispiel, indem er Klaus Allofs aufgestellt hat.

Sie waren auch für Ihre Elfmeter berühmt. In Deutschland haben Sie von mehr als 20 nur einen verschossen.

Rufer: Das war auch der einzige, den ich nicht auf meine Art geschossen habe. Sonst bin ich immer ganz locker angelaufen und habe den Tormann angeschaut, nicht den Ball. Jeder Tormann springt, bevor der Schütze schießt. Das hört sich einfach an, aber man muss unglaublich konzentriert sein. Ich habe jedes Mal die Hosen voll gehabt, aber es hat immer funktioniert. Unser Co-Trainer Karl-Heinz Kamp hat mir das einmal im Spaß beigebracht. Ich habe mir gedacht, dass ich das irgendwann umsetzen werde. Die Chance hat sich zum ersten Mal im DFB-Pokal-Halbfinale gegen Hannover 96 ergeben. Ich war eigentlich nicht als Schütze vorgesehen, aber wir haben damals seit einem Jahr keinen Elfmeter zugesprochen bekommen, also habe ich mir einfach den Ball geschnappt und das so gemacht wie im Training.

Wie würden Sie sich als Spieler beschreiben?

Rufer: Pele war mein Idol. Ich habe immer versucht, wie ein Brasilianer zu spielen, schon als kleines Kind wollte ich immer tricksen. Viele Trainer waren mir am Anfang böse, weil ich immer die schwierigsten Dinge probiert habe. Otto ist einmal gefragt worden, wer sein bester Spieler war, immerhin habe er mit Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann und Rudi Völler gearbeitet. Er hat gesagt: "Wynton Rufer. Er war kopfballstark, beidfüßig und hat mit dem Ball alles machen können."

Sie haben bei Werder mit Andreas Herzog zusammengespielt. Wie erinnern Sie sich an ihn?

Rufer: Er war ein genialer Fußballer, wir haben uns auf dem Platz sofort ineinander verliebt. Als Andi zur Mannschaft gekommen ist, habe ich ihn gleich verdorben. Wir haben montags immer Waldläufe gemacht, das war eine Katastrophe. Andi und ich sind zusammen gelaufen, und ich bin langsamer geworden, auf einmal waren wir die Letzten. Ich bin in einen Busch gesprungen, der Andi mir nach. Er hat mich schockiert angeschaut und gefragt, was ich mache. Ich habe gewusst, dass die Strecke im Kreis geht, wir sind also durchs Gebüsch auf die andere Seite gegangen und haben gewartet, bis die anderen vorbei gelaufen sind. Dann sind wir aus dem Busch gesprungen und ins Ziel gesprintet, damit wir etwas verschwitzt sind. Ein paar haben wir noch überholt, damit wir nicht als Letzte ankommen. Das haben wir dann immer gemacht. Ein paar Spieler haben das mitbekommen, aber keiner hat uns verraten. Wenn man uns einmal bei irgendetwas erwischt hat, habe ich immer gesagt: "Der Andi war es." Ich war ja nur die Unschuld aus Neuseeland.

Wie ist es nach Bremen weitergegangen?

Rufer: 1992 ist in Japan die J-League eingeführt worden, Pierre Littbarski hat damals weitere Stars aus Deutschland engagieren sollen. Er hat auch mich angefragt. Zuerst habe ich abgelehnt, doch die Japaner haben nicht lockerlassen – im vierten Jahr habe ich dann zugesagt. Dort habe ich eine sehr schöne Zeit gehabt, 1997 hat mich Otto angerufen. Und wenn Otto anruft, fahre ich um die ganze Welt. So habe ich dann noch in Kaiserslautern gespielt.

Sie haben 23-mal für Neuseeland gespielt. Warum sind Sie nur auf so wenige Einsätze gekommen?

Rufer: Ich habe in Europa gespielt. Die Anreise war lang und teuer, weil ich die Flüge meistens selbst zahlen musste. Später habe ich nur unter der Bedingung zugesagt, dass mir der Flug gezahlt wird. Bis heute sind noch 20.000 Euro ausständig. Jeder Verbandschef hat mich vertröstet, nach zehn Jahren habe ich schließlich aufgegeben.

Nach Ihrer aktiven Karriere waren Sie auch kurz Trainer.

Rufer: Ja. Ich war bei ein paar kleineren Vereinen, aber das war nichts für mich. Das Wichtigste ist die Jugendarbeit, deswegen arbeite ich für meine Fußballschule. Neuseeland ist keine große Macht im Fußball, daher ist die Basis so wichtig. Die Situation wird langsam besser. Chris Wood stürmt für Burnley, und Sapreet Singh steht beim FC Bayern unter Vertrag, ist aber derzeit an Nürnberg verliehen. Der Profiverein Wellington Phoenix spielt in der A-League in Australien mit, da sind fünf Jungs aus meiner Schule dabei.

Das heißt, Neuseeland ist auf einem guten Weg?

Rufer: Aus der Jugend kommen immer mehr nach, auch bei den Profimannschaften tut sich etwas. Die Entwicklung ist aber zu langsam. Der Verband könnte viel mehr machen.

Wird sich Neuseeland für die Weltmeisterschaft qualifizieren?

Rufer: Wenn wir es zur WM 2022 nicht schaffen, sind wir bei der übernächsten ziemlich sicher dabei. Ab 2026 hat Ozeanien nämlich einen Fixplatz. In unserem Verband spielen sonst nur kleine Inseln wie Fidschi und Papua-Neuguinea, die sind leider noch Lichtjahre zurück.

Wie gehen Sie damit um, der berühmteste Fußballer Neuseelands zu sein? Werden Sie oft auf der Straße erkannt?

Rufer: Das ist hier keine große Geschichte. Wir haben nur fünf Millionen Einwohner, da macht keiner ein großes Theater. Auch Peter Jackson, der Regisseur von "Herr der Ringe", kann hier ganz normal herumlaufen. (Hubert Herzog, 20.7.2021)

Zur Person:

Wynton Rufer (58) betreibt eine Fußballschule in Auckland. Den größten Teil seiner Stürmerkarriere verbrachte er beim SV Werder Bremen, mit dem er den Cup der Cupsieger, einen Meistertitel und zweimal den DFB-Pokal gewann. 1989, 1990, und 1992 wurde er zu Ozeaniens Fußballer des Jahres gewählt.