Nach dem Anschlag in Gerasdorf im Sommer 2020 demonstrierten Exiltschetschenen vor der russischen Botschaft in Wien.

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Ende Juni 2021 bekam der tschetschenische Flüchtling Said-Huseyn Magomadow ungewöhnlichen Besuch. Zwei Polizisten waren aus Wien zu ihm nach Bregenz angereist, um spektakuläre Neuigkeiten zu überbringen: Zwei Wochen zuvor hatten sie in Wien-Simmering einen anderen Tschetschenen festgenommen, der Magomadow ermorden wollte. "Sie erzählten mir, dass sie den Mann monatelang verfolgt und jedes Wort, das er sagte, mitgehört hatten. Sie entdeckten, dass er plante, eine Bombe unter meinem Auto zu installieren, um mich zu töten", sagt Magomadow dem STANDARD.

Die Staatsanwaltschaft Wien bestätigt auf Anfrage, dass hierzu "ein Ermittlungsverfahren anhängig" sei: "Nähere Auskünfte können derzeit nicht erteilt werden." Auch die Landespolizeidirektion Wien kann keine personenbezogenen Auskünfte geben, bestätigt aber, "dass es im Vormonat einen Einsatz gegeben hat, der mit der Schilderung ihres Sachverhaltes teils übereinstimmt. Der Beschuldigte ist bereit der Justiz übergeben."

Wer war der mutmaßliche Attentäter, und warum hatte er es auf Magomadow abgesehen? Die Spur führt zu einem früheren Anschlag auf einen Kritiker des tschetschenischen Diktators Ramsan Kadyrow. Am 4. Juli 2020 war der Dissident Anzor Umarow in Gerasdorf bei Wien erschossen worden. Wenige Wochen später publizierte der in Vorarlberg lebende Magomadow ein Youtube-Video, in dem er drei Personen nannte, die bei dem Attentat in Gerasdorf involviert gewesen sein sollen.

Drohungen gegen Verwandte

Dabei handelte es sich um drei Tschetschenen, die als Flüchtlinge nach Österreich gekommen waren und in der Community einen zweifelhaften Ruf als Waffenhändler und Verbündete des Kadyrow-Regimes erlangt hatten. Rasch nach der Veröffentlichung des Videos sollen Magomadows Verwandte in Tschetschenien bedroht worden sein. "Sie drohten damit, die Kehle meiner vierjährigen Nichte durchzuschneiden, wenn ich keine Entschuldigung publiziere", erzählt Magomadow.

Er stimmte zu, entschied sich dann aber anders: "Ich nahm noch ein Video auf, in dem ich Kadyrow beleidigte." Als Reaktion darauf sollen sein Bruder und sein Onkel in Tschetschenien in einen Folterkeller verschleppt worden sein. Dort sollen sie gezwungen worden sein, eine Videobotschaft an Magomadow aufzunehmen, in der sie ihn verstoßen und sich bei Kadyrow entschuldigen. "Dann wurden sie freigelassen", sagt Magomadow. Seine Verwandten baten ihn, mit seinen regimekritischen Videos aufzuhören, aber er weigerte sich. Plötzlich sei Ruhe eingekehrt – bis ihn die österreichische Polizei von dem geplanten Attentat auf ihn informierte.

"Zum Schweigen gebracht werden"

Dessen Drahtzieher soll M.K. sein – einer der drei Männer, die Magomadow in seinem Video nannte. Die Nachricht über K.s Verhaftung verbreitete sich innerhalb der Community rasch, erzählt Magomadow, der 2003 als Flüchtling nach Österreich gekommen war: "Alle Tschetschenen wussten, dass er verhaftet wurde, aber keiner wusste, warum." Die Verbindungen zwischen dem Kadyrow-Regime und K. sollen in der Diaspora bestens bekannt gewesen sein.

Engen Kontakt soll K. mit Sha-a Turlaew gehabt haben. In einem Youtube-Video bezeichnet Turlaew den nun verhafteten K. als "Freund und Bruder". Er gilt als rechte Hand von Kadyrow und soll für die Planung von Attentaten in Europa zuständig sein. Die österreichische Polizei nannte ihn schon in ihren Mordermittlungen rund um den Anschlag auf Kadyrows ehemaligen Bodyguard Umar Israilow als Verdächtigen. Israilow sollte 2009 in Wien entführt werden; als er flüchten wollte, erschossen ihn die Attentäter. Turlaew soll auch bei dem erwähnten Anschlag auf Anzor Umarow eine Rolle gespielt haben; er forderte in Aufnahmen, der Regimekritiker müsse "zum Schweigen gebracht werden".

Magomadow ist dankbar, noch am Leben zu sein: "Kadyrow bekam von Russland grünes Licht dafür, den Tschetschenen in Europa alles anzutun, was er möchte." Die österreichische Polizei habe sehr gut gearbeitet, so Magomadow: "Täte sie das nicht, würde es hier viel mehr ermordete Tschetschenen geben." (Kate Manchester, 20.7.2021)