Tausende verloren durch die Hochwasserkatastrophe in Deutschland ihr Haus, ihr Geschäft, ihre Wohnungen ihr Auto, die Existenz.

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Am Sonntag strahlte wieder die pralle Sonne vom Himmel über Nordrhein-Westfalen und den Beneluxstaaten. Millionen Menschen nutzten das schöne Wetter zum Ausspannen in den Gärten ihrer Häuser, fuhren an die Nordsee. Es sind ja auch Ferien. Die im Frühjahr noch strengen Corona-Maßnahmen wurden deutlich gelockert. Und auf dem Land ist alles saftig grün.

So sah das Leben am Wochenende zumindest in jenen Gegenden dieser Großregion – einer der reichsten Europas – aus, die Tage davor nicht von den Folgen des Starkregens, Überflutungen und Zerstörungen betroffen waren. Also durchaus im Großteil des gesamten Gebiets.

Umso dramatischer der Anblick dort, wo die Hochwasserkatastrophe ganze Dörfer in engen Tälern und Zentren von mittleren Städten regelrecht verwüstete, hauptsächlich in Belgien und Deutschland, insbesondere in der Eifel, rund um Köln, in den Ardennen. Die vorläufige Bilanz sagt alles: fast zweihundert Tote, die meisten in Deutschland – und viele Menschen noch immer vermisst. Tausende verloren ihr Haus, ihr Geschäft, ihre Wohnungen, ihr Auto, die Existenz.

Bizarrer könnten die Kontraste kaum sein: Zwischen jenen Orten, an denen nach dem Abziehen der Wassermassen fast nichts mehr an Schaden zu sehen ist, und jenen Stellen oder ganzen Stadtteilen, in denen die Bewohner alles verloren haben, sind es oft nur ein paar Hundert Meter, die über "Glück gehabt" oder Tragödie entschieden haben.

Das ist wohl die erste Lehre, die man aus den dramatischen Ereignissen ziehen muss, ausgerechnet fast zeitgleich mit den Plänen der EU-Kommission für ein gesamteuropäisches Klimaschutzpaket: In der Beurteilung der Katastrophe ist Differenzierung angesagt, politisch und in der Sache. Es ist keineswegs so, dass man allein den Klimawandel als solchen für die Zerstörungen da und dort verantwortlich machen kann.

Zum Teil hat es sehr lokale Ursachen, warum kleine Bäche zu reißenden Flüssen wurden, ganze Wohnviertel überschwemmt wurden, weil bei Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser gespart wurde. Das kann man zum Beispiel in Eschweiler bei Aachen gerade gut beobachten, wo die Inde spielend leicht die Ufer überschreiten konnte.

Oder: Besonders grotesk ist, wenn der Chef des Katastrophenschutzes in Deutschland nun beklagt, dass er sich Sirenenwarnungen bei Hochwasser wieder zurückwünschen würde. Man hatte sich offenbar zu sehr auf digitale Signale verlassen. Wer nicht online ist, kriegt nicht mit, wenn es gefährlich wird? Was für ein Versäumnis!

Damit kein Missverständnis aufkommt: Selbstverständlich ist der Klimawandel für die Starkregenphänomene in Europa verantwortlich. Aber es wäre ein großer Fehler, wenn jetzt manche so tun, als könne man mit den (berechtigten) milliardenschweren Investitionen in den Klimaschutz alle Probleme auf einen Schlag lösen. So ist es eben nicht, auch wenn Politiker nun die Dinge gerne vereinfachen und popularisieren. Wenig sinnvoll ist es umgekehrt auch, wenn die zuständige Agrarministerin Elisabeth Köstinger nun reflexhaft die Naturschützer für Überflutungen in Österreich verantwortlich macht. Da schreit eine: "Haltet den Dieb!"

Vielmehr müssen Regierungen und Bürgermeister ihre Hausaufgaben beim Katastrophenschutz machen. Siehe die Niederlande: Dort gab es große Überschwemmungen, aber keine Toten. (Thomas Mayer, 19.7.2021)