Im Gastkommentar spricht sich Robert Lechner vom Österreichischen Ökologie-Institut für das Straßenbauprojekt aus und Nationalpark-Rangerin Eva Maria Bachinger dagegen.

Grafik: DER STANDARD

Von Robert Lechner

Vorneweg: Den Lobautunnel mag niemand, denn niemand bohrt freiwillig in 60 Meter Tiefe Löcher für eine Straße. Die Schaffung von Wohnungen und Arbeitsplätzen für 150.000 Menschen braucht aber Wien, die Ostregion und deshalb die ganze Republik. Und nur deshalb braucht es diesen dämlichen Straßentunnel als zusätzliche Donauquerung zwischen Praterbrücke und Hainburg, wie sie sich auch in allen Wiener Regierungsprogrammen von Rot-Grün fand.

Infrastrukturbauten erregen landauf, landab die Gemüter, unabhängig davon, ob es sich um die Bahn (Semmering!), Straße oder den Ausbau erneuerbarer Energiesysteme handelt. Der Umweltschutz steht richtigerweise im Fokus: Jede gebaute Infrastruktur braucht Fläche, prägt die Landschaft und das Ökosystem.

Wer also heute für den noch benötigten Infrastrukturausbau eintritt, sollte sich "warm anziehen": Der Widerstand kommt garantiert. Die Errichtung einer Nordostumfahrung Wiens liefert schon deshalb den aufgelegten Elfmeter für den öffentlichen Aufschrei. Stadtstraße und S 1 seien als "Prestigeprojekte" abzulehnen, gehörten einer "ewig gestrigen" Planungsphilosophie ("Betonierer") an; der Planungsanlass sei nicht mehr aktuell. Dass die rund 30-jährige Geschichte des Wiener Außenrings mit einer (demokratiepolitisch berechtigten) Fülle an Einsprüchen bis in die letzten Instanzen zusammenhängt, wird gerne vergessen. Wenn die zwischenzeitlich vorliegenden Ergebnisse der Verfahren als inhaltlicher Maßstab dienen sollen, konnten die österreichischen Behörden bislang keinen Versagungsgrund anerkennen. Sei’s drum, der Instanzenweg ist noch nicht abgeschlossen.

"Die Haupterschließungsstraßen in der Donaustadt sind am Limit."

Wenn aber nun damit begonnen wird, dass der eigentliche Anlass für diesen schon eingangs als dämliche Notwendigkeit bezeichneten Straßenbau infrage gestellt wird, verlässt man den Boden der Realität. Die Donaustadt hatte 1990 knapp über 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner, heute sind es über 200.000, bis 2030 wird man gemeinsam mit den Nachbargemeinden wohl auf weit über 300.000 Menschen kommen. Die Haupterschließungsstraßen in der Donaustadt sind am Limit, immer häufiger wird in Wohngebiete ausgewichen.

Wien hat mit der frühzeitigen U-Bahn-Erschließung in die Seestadt eine wichtige Vorleistung erbracht, die endlich fixierte Wien-weite Parkraumbewirtschaftung ist ein nächster Schritt zur Verkehrsvermeidung, mehrere Straßenbahnprojekte sind in der Pipeline. In der Seestadt Aspern und in Entwicklungsgebieten wie Hausfeld und Berresgasse droht nun trotzdem Baustopp, im Falle der Seestadt gilt aufgrund eines UVP-Bescheids: Bevor keine Anbindung an das höherrangige Straßennetz realisiert ist, darf nicht mehr weiter besiedelt werden. Auch dafür haben Gegnerinnen und Gegner eine "Erklärung" parat: Dass die Umsetzung mit dem Vorhandensein hochrangiger Straßeninfrastruktur verknüpft ist, sei "konstruiert" und am Ende selbstverschuldet. Warum sich ausgerechnet Europas größtes Stadtentwicklungsgebiet eine Auflage herbeiwünschen soll, die zum Projektabbruch führt, hat wohl eher mit Verschwörungstheorien zu tun als mit der Realität.

Gesamthaft scheitern?

Unter der grünen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou wurde vor drei Jahren eine Alternativenprüfung mit folgendem Ergebnis veröffentlicht: Bei 50 Maßnahmen und Empfehlungen im Bereich des öffentlichen Verkehrs (in und rund um Wien), der Verkehrsberuhigung und Rückeroberung des öffentlichen Raums gibt es zwei für den Straßenbau, und diese lauten Stadtstraße und Lobautunnel. Auch Fragen zum Klimaschutz wurden behandelt, Kurzergebnis: Wird der benötigte Wohn- und Arbeitsraum ausschließlich im nordöstlichen Umland errichtet, sind erhöhte Zersiedelung, vermehrter Energiebedarf und daher mehr Treibhausgase die logische Konsequenz. Und werden die in der Alternativenprüfung angeführten Maßnahmen nicht gesamthaft umgesetzt, dann droht man gesamthaft zu scheitern. So wie es derzeit aussieht, ist man kurz davor. (Robert Lechner, 20.7.2021)

Foto: Imago Images / Isabelle Ouvrard

Von Eva Maria Bachinger

Große Aufregung herrscht vor allem bei der SPÖ, weil das Umweltressort Verkehrsprojekte evaluieren lässt, unter anderem auch die geplante Nordostumfahrung inklusive eines 8,2 Kilometer langen Tunnels unterhalb der Lobau, Teilgebiet des Nationalparks Donau-Auen. Wenn der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig meint, mit einem möglichen Projektstopp riskiere man "Milliardenschäden" und einen starken Einschnitt in die Entwicklung der Ostregion, dann fragt man sich, bitte, welche Art von Entwicklung? Auch in Zukunft immer mehr Autoverkehr, immer mehr Lkws, die Produkte aus aller Herren Länder liefern, immer mehr Luftverschmutzung, immer mehr Lärm?

Die ehemalige Umweltstadträtin Ulli Sima, die bis vor kurzem bei jeder Gelegenheit mit Blumen und Tieren von Plakaten lächelte, ist nun Verkehrsstadträtin und tut sich damit hervor, kurzsichtige Klientelpolitik zu betreiben. Offenbar hat die SPÖ seit den Protesten gegen das Kraftwerk Hainburg, als sie gegen die letztlich erfolgreiche Au-Besetzung mit der Industrie marschierte, gar nichts gelernt.

Noch sinnvoll?

Selbstverständlich muss überprüft werden, ob Projekte, die vor allem den emissionsreichen, motorisierten Individualverkehr forcieren, überhaupt noch sinnvoll sind – angesichts der ökologischen Lage und der vereinbarten Klimaschutzziele auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Doch verantwortliche Politikerinnen und Politiker und manche ihrer Wählerinnen und Wähler haben offenbar noch immer nicht den Aufruf, unsere Lebensweise zu ändern, gehört.

Nach all den Versprechungen, es nun wirklich ernst mit dem Klimaschutz zu meinen, ein derartiges Projekt nach wie vor umsetzen zu wollen, ist nicht zu fassen. Das würde die verkehrspolitische Ausrichtung erneut für Jahrzehnte einzementieren und ebenfalls "Milliardenschäden" fabrizieren. Eine zukunftsweisende, an die nächsten Generationen denkende Verkehrspolitik würde konsequent den öffentlichen Verkehr ausbauen und Fahrkarten deutlich günstiger anbieten. Sie würde den Fußgängerinnen und Fußgängern sowie den Radfahrerinnen und Radfahrern den öffentlichen Raum zurückgeben. Sie würde dazu beitragen, dass Menschen nicht mehr ausschließlich auf ein Auto angewiesen sind, um gut zur Arbeit zu kommen, und sie würde endlich den Lkw auf die Schiene bringen.

"Das Schutzgebiet steht jetzt schon unter Druck."

In mühsamen, zwölf Jahre andauernden Verhandlungen wurden die Donau-Auen östlich von Wien zu einem Nationalpark. Das Schutzgebiet versucht seitdem dazu beizutragen, dem massiven Artensterben Einhalt zu gebieten. Durch Bildungsarbeit soll die eklatante Naturentfremdung des modernen Menschen ein wenig zurückgedrängt werden. Möglichst intakte Ökosysteme sind widerstandsfähiger und könnten uns auch helfen, die Klimakrise zu meistern.

Doch offenbar ist nicht einmal ein Nationalpark tabu: Durch derartige Projekte werden die Ziele eines Nationalparks, vorgegeben von der Weltnaturschutzorganisation IUCN, infrage gestellt. Das Schutzgebiet steht jetzt schon unter Druck, durch die wachsenden Städte Wien und Bratislava, durch intensive Landwirtschaft, Flug- und Schiffsverkehr. Vor allem die Lobau ist von Austrocknung betroffen, die Grundwasserspiegel sinken – das ist nicht nur schlecht für die Natur, sondern auch für die Trinkwasserversorgung und die Landwirtschaft. Eine schöne Bescherung zum 25. Geburtstag des Nationalparks, auch für die Stadt Wien, die das Gebiet gemeinsam mit dem Land Niederösterreich und dem Bund finanziert.

Mehr Verkehr

Ja, Autofahren ist praktisch, für viele cool, und es macht Spaß. Doch so spaßig kann es oft nicht sein, wenn man mit dem Rad an Kolonnen vorbeifährt und grantige Autofahrerinnen und Autofahrer erblickt, weil sie wieder einmal im Stau stehen. Die Antwort darauf kann nicht sein, noch mehr Hochleistungsstraßen zu bauen, denn laut Studien weiß man längst, dass sie mehr Verkehr bedeuten. Eine Autobahn zu errichten und unter der Lobau einen Tunnel zu bohren ist insofern Verkehrspolitik von vorgestern. (Eva Maria Bachinger, 20.7.2021)