Edward Snowden ist nicht gut auf die Pegasus-Entwickler zu sprechen.

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Als ehemaliger Mitarbeiter von einem der größten und mächtigsten Geheimdienste der Welt sollte Edward Snowden von wenig zu erschüttern sein, trug er doch als NSA-Whistleblower entscheidend dazu bei, die umfassenden Abhöraktivitäten seines Ex-Arbeitgebers aufzudecken. Doch die Affäre bewegt auch ihn sehr, wie er in einem Interview mit dem Journalistenkonsortium The Pegasus Project ("Die Zeit") erklärt.

Er sei schlicht "schockiert" vom Umfang der Überwachung, auch weil es vor allem Menschenrechtsaktivisten, Oppositionelle und Journalisten trifft. Und er sieht sich neuerlich in dem Verdacht bestätigt, "dass Missbrauch mit Überwachungsmöglichkeiten getrieben wird".

Profit als oberste Maxime

Seine Kritik richtet sich aber nicht nur an jene Regierungen, die mithilfe des Pegasus-Spähtools die Überwachung betrieben haben, sondern auch an die israelische NSO Group, die die Software entwickelt und seit mindestens 2013 verkauft. Sie sei ein "Repräsentant" einer neuen Art des Malware-Handels. Regeln und Gesetze seien nicht von Bedeutung, das Unternehmen habe nur Interesse daran, sein Produkt an möglichst viele Kunden zu verkaufen, ohne dabei erwischt zu werden.

Tatsächlich hält NSO seinen Kundenstamm unter Verweis auf vertragliche Verpflichtungen geheim. Bekannt ist, dass Pegasus von Saudi-Arabien, mehreren anderen Golfstaaten und Mexiko eingekauft wurde. Die jüngsten Fälle deuten aber auf einige weitere Abnehmer, darunter Ungarn, hin.

"Industriezweig, der nicht existieren sollte"

Faktisch wirft Snowden allen Anbietern sogenannter Intrusion-Software Heuchelei vor. Unter dem Deckmantel der Verbrechensbekämpfung würden diese ihre Werkzeuge verkaufen, in vollem Wissen, dass tagtäglich damit Personen bespitzelt werden, die "keine legitimen Ziele" seien, diese mitunter im Gefängnis landen und auch zu Tode kommen.

"Es handelt sich um einen Industriezweig, der überhaupt nicht existieren sollte", so Snowden weiter. Pegasus und ähnliche Tools würden nichts zu Schutz oder Vorbeugung beitragen, sondern lediglich ein Computervirus. Das Vorgehen der Journalisten in der aktuellen Causa lobt er. Diese würden sensibel arbeiten, etwa indem sie Betroffene identifizieren, ohne sie "zwingend kontaktieren" zu müssen – und ließen sich auch nicht von der Sensibilität der Daten abschrecken.

Keine Entwickler, sondern "Infizierer"

Das Maß der Bespitzelung übersteige deutlich das, was mit kommerziellen Absichten bereits durch Facebook und Co praktiziert werde. Denn mit Pegasus wird die "volle Kontrolle" über ein Smartphone übernommen, das Gerät gegen seinen Nutzer gerichtet und ihm so im Prinzip sein Besitz entzogen. Und weil das Knacken eines (aktuellen) iPhones bedeutet, dass man mehr oder weniger alle knacken könne, sei dies in Wahrheit ein Angriff gegen kritische Infrastruktur, der alle betrifft.

Die Entwickler von Spähsoftware stellt er im aktuellen Kontext mit bösartigen Wissenschaftern gleich. Es seien "Infizierer", die "eine Art Krankheit" für Handys erschaffen und gezielt nach Schwächen suchen würden. Es sei, wie wenn man "maßgeschneiderte Covid-Varianten" entwickeln würde, die immun gegen alle Impfstoffe sind. Sie würden auch nicht grundsätzlich anders vorgehen als Ransomware-Entwickler, mit dem Unterschied, dass keine offensichtliche Erpressung stattfindet.

Verbot als einzige Lösung

Die NSO und der Markt, auf dem sie sich bewegt, sollten den Menschen jedenfalls "mehr als alles andere Angst machen". Man müsse alle zur Rechenschaft ziehen, die sich an diesem Markt beteiligen, sagt Snowden, und fordert ein weltweites Moratorium auf den kommerziellen Handel mit Sicherheitslücken. Außerdem müsse man "Schutzforschung" betreiben, um diesem Geschäft seine Profitabilität zu entziehen. Ein globales Verbot ist seiner Ansicht nach der einzig gangbare Weg, nachdem Exportkontrollen "voll und ganz" versagt hätten.

Dies sei auch wichtig, da die Bürger selbst sich vor Cyberwaffen wie Pegasus eben so wenig schützen könnten wie vor nuklearen, biologischen oder chemischen Waffen. Im Gegensatz zu diesen werde aber etwa der kommerzielle Handel mit Atomsprengköpfen nicht geduldet, während beim Geschäft mit Angriffsvektoren "rein gar nichts" unternommen werde. "Wir müssen den Verkauf dieser Intrusionstechnologie stoppen", sagt der NSA-Aufdecker. "Das ist der einzige Weg, wie wir uns schützen können." (red, 20.7.2021)