Mitglieder der oppositionellen Kongresspartei demonstrieren in der Hauptstadt Neu-Delhi gegen die Überwachungsvorwürfe.

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Premier Narendra Modi muss sich gegen die Anschuldigungen verteidigen.

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Auch Rahul Gandhis Nummern finden sich auf der Liste.

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Die Anschuldigungen wiegen schwer: Die indische Regierung unter Premierminister Narendra Modi soll Journalisten, politische Gegner und Wahlstrategen der Opposition abgehört haben – und das über einen langen Zeitraum. Ihre Nummern tauchten in einem Datenleak von mehr als 50.000 Telefonanschlüssen auf, die seit 2016 dem israelischen Sicherheitsunternehmen NSO Group als Zielpersonen gemeldet worden sein sollen. Die NSO Group verkauft Spähsoftware an Regierungen weltweit, die diese laut offiziellen Angaben zur Terror- und Verbrechensabwehr einsetzen.

Doch das Spähprogramm Pegasus, das nun im Zentrum von Enthüllungen mehrerer großer Medienunternehmen steht, soll auch auf Mobiltelefonen von politischen Widersachern und unliebsamen Personen im eigenen Land eingesetzt worden sein.

Gegen Opposition und Wahlstrategen

Im Fall von Indien unter anderen gegen die Galionsfigur der Opposition, Rahul Gandhi. Zwei seiner Handynummern finden sich im Datensatz. Außerdem auch die Nummern von mindestens fünf seiner engsten Freunde sowie hoher Funktionäre seiner Kongress-Partei. Diese schäumt und spricht am Dienstag von Verrat und "unverzeihlichem Frevel" durch Modis Regierung. Offenbar wurde Gandhi im Jahr vor der schlussendlich verlorenen Parlamentswahl 2019 abgehört – sowie in den Monaten danach. Nachweisbar ist solch eine Aktion aber nur, wenn die Mobiltelefone selbst forensisch untersucht werden. Im Fall von Gandhi fand solch eine Nachschau nicht statt.

Dafür aber sehr wohl auf dem Handy von Prashant Kishor, einem Wahlstrategen, der eine große Rolle im Wahlkampf für Modis BJP-Partei im Jahr 2014 gespielt hat. Damals wurde Modi Premierminister. Doch seitdem hat Kishor auch für andere Parteien gearbeitet. Heuer half er Mamata Banerjee, die BJP in Bengal zu schlagen. Sein Telefon zeigte Spuren eines Hacks, der am 14. Juli stattgefunden hat. "Wir haben immer wieder Überwachung befürchtet, aber noch nie eine Hackerattacke bemerkt", sagte Kishor im Interview mit dem TV-Sender NDTV am Montag: "Obwohl ich mein Mobiltelefon fünfmal gewechselt habe, haben die Eingriffe weiterhin stattgefunden, wie es die Hinweise nahelegen."

Journalist auf der Liste

Auch der Mitbegründer der unabhängigen indischen Nachrichten- und Meinungsseite "The Wire", Siddharth Varadarajan, soll Opfer eines Spähangriffs gewesen sein. "Man fühlt sich verletzt, daran gibt es keinen Zweifel", sagte er zur britischen BBC: "Das ist ein unfassbarer Eingriff. Niemand sollte davon betroffen sein." "The Wire" ist auch eine der 16 internationalen Medienorganisationen, die die geleakten Datensätze mit den Telefonnummern untersucht haben, die durch Pegasus überwacht worden sein sollen.

Die indische Regierung wehrt sich gegen die Vorwürfe und spricht davon, dass diejenigen, die die Berichte über die Überwachungsmaßnahmen verbreiten, eine "antiindische Agenda" verfolgen. Indiens IT-Minister Ashwini Vaishnaw nannte die Anschuldigungen einen "Versuch, die indische Demokratie und ihre etablierten Institution schlechtzumachen". Dass sich eine Nummer auf der Liste befinde, heiße nicht, dass eine Überwachung stattgefunden habe. Vaishnaws Handynummer fand sich ebenso in dem Datensatz. Er soll 2017 ausgespäht worden sein, bevor er Parlamentarier wurde.

NSO verspricht Aufklärung

Es ist nicht das erste Mal, dass Pegasus für Schlagzeilen in Indien sorgt. Bereits 2019 bestätigte der Nachrichtendienst Whatsapp, dass manche seiner Nutzer zum Ziel von Abhörsoftware geworden seien. Insgesamt 121 Personen aus Indien waren betroffen, darunter auch damals Aktivisten, Journalisten und Wissenschafter. Experten sprachen davon, dass es sich um eine staatliche Aktion handeln müsse, da das Softwareunternehmen NSO Group nur an Regierungen verkauft. Das Unternehmen wies damals wie heute alle Schuld von sich: "Wir werden weiterhin alle glaubhaften Hinweise auf Missbrauch untersuchen und basierend auf den Erkenntnissen angemessen handeln", heißt es von einem Sprecher.

In Indien können Telefone dann abgehört werden, wenn das Vorgehen "im Interessen der Souveränität oder Integrität des indischen Staats ist". Angeordnet können solche Aktionen nur von höchster Stelle im Innenministerium oder den bundesstaatlichen Regierungen werden. Etwa zehn Behörden können legal Abhörmaßnahmen setzen, die mächtigste davon ist der Inlandsgeheimdienst, das Intelligence Bureau. Abgesehen von der Jagd auf Terroristen ist dieses auch für die Überprüfung von politischen Kandidaten und Richtern zuständig.

Keine Kontrolle

Bereits in der Vergangenheit führten Abhöraktionen von politischen Gegnern zu Skandalen. So trat 1988 der Ministerpräsident des Bundesstaats Karnataka zurück, weil ihm vorgeworfen wurde, mindestens 50 Parteifreunde und Rivalen abgehört zu haben. Immer wieder tauchen seitdem Listen in den Medien auf, auf denen sich angeblich abgehörte Telefonnummern von Politikern und Journalisten finden. Eine gerichtliche Kontrolle von staatlich angeordneten Überwachungsmaßnahmen gibt es in Indien nicht. (Bianca Blei, 20.7.2021)