Griechenland feiert heuer das 200-jährige Jubiläum seiner Revolution gegen die osmanische Herrschaft und damit auch den Beginn des modernen griechischen Staates. Vor 200 Jahren war die Frage, wer Grieche oder Griechin sei, offen — offen im Spannungsfeld von revolutionären und gegenrevolutionären Kräften, von Imperien und Nationen. Dieses komplexe Zusammenspiel zeigt sich am Beispiel der ägäischen Katholiken. Wie diese in den neuen griechischen Nationalstaat territorial eingegliedert wurden, kann im Falle der Insel Syros eindrücklich nachvollzogen werden, die mitten im ägäischen Archipel gelegen einen Treffpunkt für Händler, Piraten, diplomatische Agenten, Krieger und Abenteurer aller Art darstellte. Innerhalb eines Jahrzehnts wurden die einstigen "Lateiner" dieser und anderer Ägäisinseln zu "Griechen der westlichen Kirche" und von Untertanen des Sultans zu Bürgern eines neuen Nationalstaats.

Katholiken im östlichen Mittelmeer

Die katholischen Gemeinden der Ägäis haben ihre Wurzeln in der Zeit des Vierten Kreuzzugs und des nach der Plünderung Konstantinopels 1204 errichteten, wenn auch kurzlebigen Lateinischen Reiches in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts geriet die in zahlreiche Kleinstaaten zergliederte Ägäis mit Ausnahme weniger Inseln unter osmanische Kontrolle. In diesem Gefüge lebten Katholiken auf zahlreiche Enklaven verteilt, während die orthodoxe Kirche ihren von den osmanischen Herrschern gewährten privilegierten Status nutzte, um ihren Einfluss auf den Inseln der Ägäis auszuweiten. Der Katholizismus wurde so allmählich zurückgedrängt und beschränkte sich nunmehr vor allem auf die Kykladeninseln Naxos, Tinos, Santorin und Syros. Dabei wurden die Mitglieder der katholischen Gemeinden der Ägäis als Folge der sogenannten Kapitulationen, die zwischen dem Sultan und den christlichen Staaten Europas (insbesondere Frankreichs) abgeschlossen wurden, unter französischen Schutz gestellt.

Syros mit seiner überwältigenden katholischen Mehrheit wurde zu einer Bastion des katholischen Glaubens und galt als "die Insel des Papstes". Während die Mehrheit der Bevölkerung im Alltag Griechisch verwendete, fand der Unterricht in den katholischen Schulen aus historischen Gründen auf Italienisch statt. Darüber hinaus schuf die kulturelle und politische Präsenz der Schutzmacht Frankreich de facto eine Situation geteilter Souveränität und gemischter Loyalitäten.

Die Kykladen mit Syros in der Mitte der Inselgruppe, nach Boissonnas/Baud-Bovy, "Des Cyclades en Crète au gré du vent", Geneva 1919.
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Die Revolution und die Katholiken der Ägäis

Als im Frühjahr 1821 der griechische Aufstand gegen die osmanische Herrschaft losbrach, sahen die europäischen Herrscherhäuser darin zunächst die Fortsetzung einer Welle von Revolten, die mit den liberalen anti-bourbonischen Aufständen in Neapel und Spanien im Vorjahr begonnen hatten. Entsprechend fand der zur Krisenbewältigung einberufene Kongress der Großmächte in Laibach (1821) noch im Geist des Wiener Kongresses von 1815 statt: Der österreichische Staatskanzler Metternich und Zar Alexander verurteilten die Erhebung gegen die Osmanen, während Frankreich und Großbritannien den Aufstand als eine innere Angelegenheit des Osmanischen Reiches erachteten und ebenso wie der Heilige Stuhl ihre Neutralität erklärten. Bemerkenswerterweise erkannten die orthodoxen griechischen Aufständischen in ihren Petitionen an die europäischen Mächte am Kongress von Verona (1822) die Autorität des Papstes als "Oberhaupt der Christenheit" (Capo del Cristianesimo) an.

Die ägäischen Katholiken wiederum erklärten, der Politik Frankreichs und des Heiligen Stuhls folgend, ihre Neutralität. In der Praxis bedeutete dies, dass die katholischen Bischöfe und Prälaten immer wieder die französische Flagge auf den Kirchen hissten, um durch diesen Appell an den französischen Schutz der Besteuerung und Einberufung durch die griechische Revolutionsregierung zu entgehen. Diese Reaktionen irritierten die orthodoxen Aufständischen und lösten Spannungen zwischen den katholischen "Lateinern" (Latínoi) und den "Römern" (Rom[a]ioí als Selbstbezeichnung der Griechisch-Orthodoxen) aus, vor allem dort, wo die beiden Gemeinschaften nebeneinander existierten. Da jedoch die Beziehungen zu den ägäischen Katholiken für die Kommunikation der Revolutionsregierung mit dem Vatikan und den europäischen Mächten von Bedeutung waren, war diese um Annäherung bemüht. Die ersten aufständischen Appelle an die "westlichen Christen", sich dem Aufstand anzuschließen, stellten den Katholiken Garantien für bürgerliche Gleichheit und Religionsfreiheit im neuen griechischen Staat in Aussicht. Die ersten Verfassungstexte des jungen griechischen Staates legten die Freiheit der Religionsausübung und die Staatsbürgerschaft für diejenigen fest, die "an Jesus Christus glauben". Auf diese aufbauend versuchte man, die "Griechen der Westkirche" in den neuen Staat zu integrieren, das heißt auch zu besteuern und als Wehrpflichtige einzuberufen.

Der erste systematische Versuch der jungen Revolutionsregierung, den Archipel unter Kontrolle zu bringen, fand im Frühjahr 1822 statt. Die neue administrative Aufteilung sah die Einrichtung eines Steuer- und Verwaltungsapparats auf allen Kykladeninseln mit Ausnahme von Syros vor. Diese Zurückhaltung der griechischen Revolutionsregierung gegenüber der einzigen Insel, die vollständig unter der Jurisdiktion einer katholischen Gemeinde stand, zeugt vom Bewusstsein für die Verhältnisse auf der Insel und die ausgeprägte konfessionelle Identität ihrer Bewohner.

Der Hafen von Syros wurde in der Folgezeit zu einer Drehscheibe für alle Art von lukrativen Unternehmungen legaler wie illegaler Art, einschließlich des Handels mit Piratenbeute, gefälschten Münzen und Sklaven. Die relative Sicherheit des neutralen Gebietes und die Anhäufung von Kapital auf Syros zog in kurzer Zeit viele orthodoxe Flüchtlinge an, die vor den osmanischen Repressalien an der kleinasiatischen Küste, auf Kreta und den Inseln der Ostägäis (zum Beispiel Chios) sowie anderen Regionen des Reiches flohen. Diese Flüchtlinge boten die notwendigen Arbeitskräfte für die Entwicklung sowohl des Seehandels als auch der Schiffbauindustrie unter Kriegsbedingungen. Bis 1826, als eine neue Handelsstadt, Hermupolis, an der Küste der Insel gegründet wurde, hatte die Ansiedlung von 30.000 Flüchtlingen im Hafen von Syros das demografische Gleichgewicht und die Machtbalance zwischen den beiden konfessionellen Gemeinschaften völlig umgekehrt – ganz im Sinne der Orthodoxen.

Griechische Übergriffe und Spaltungen unter den Katholiken

Aus Mangel an fiskalischen Ressourcen auf dem kriegsgebeutelten Festland war die griechische Regierung danach bestrebt, ihren Anteil am Aufschwung der Insel zu nehmen. Bereits am Heiligabend 1822 versuchte eine militärische Einheit unter dem Kommando von Nestor Faziolis, einem Schiffskapitän aus Kefalonia, in die Zitadelle von Syros einzudringen, was jedoch durch die Intervention eines französischen Kriegsschiffs vereitelt wurde. Kurz darauf unternahm Faziolis einen zweiten Invasionsversuch, der erneut durch das Eingreifen der französischen Marine im Keim erstickt wurde. Es stellte sich bald heraus, dass Faziolis in Absprache mit der griechischen Regierung gehandelt hatte. Im Mai 1823 wurde Syros schließlich offiziell zu griechischem Territorium erklärt und Faziolis zum Polizeichef der Insel ernannt. Seine Ankunft auf der Insel provozierte die sofortige Reaktion des französischen Admirals, der den "Banditen" verhaften ließ, seine Truppeneinheit auflöste und eine strenge Warnung an die griechische Regierung aussprach. Dennoch gelang es dem vom griechischen Staat anschließend eingesetzten Präfekt bis Ende 1823 eine erste Volkszählung der Einwohner des Hafens durchzuführen und eine Polizeistation einzurichten, deren Kompetenz vom französischen Vizekonsul und der katholischen Gemeinde weiterhin angefochten wurde.

Die schnelle Expansion des griechischen Handels im östlichen Mittelmeer in den drei Jahrzehnten nach der Französischen Revolution förderte die Entstehung lokaler Handelseliten und verschärfte die bestehenden sozialen Ungleichheiten im Archipel. Auf den von Orthodoxen und Katholiken besiedelten Inseln nahmen die Konflikte religiöse Töne an, auch wenn die Grenzen zwischen den Gemeinschaften durchlässig blieben und nicht zwangsläufig mit den politischen Optionen übereinstimmten. In manchen Fällen stellten sich Mitglieder der gesellschaftlichen Eliten unverhohlen auf die Seite der Revolutionsgegner, wie etwa auf Santorin, wo sich orthodoxe und katholische Großgrundbesitzer gegen die Aufständischen verbündeten. Die unteren Bevölkerungsschichten schlossen sich dagegen eher den revolutionären Kräften an, wie im Falle eines katholischen Bauern auf Syros, der 1826 im Auftrag der griechischen Regierung den Zehnten eintrieb und vom katholischen Bischof mit der Exkommunikation bedroht wurde.

Ansicht von Syros nach Choiseul-Gouffier, "Voyage pittoresque de la Grèce", Bd. 2, Paris 1809.
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Alte und neue Geografie

Vor dem Hintergrund sich ändernder Kräfteverhältnisse im östlichen Mittelmeerraum kam Syros bereits 1822–1823 die Rolle eines Gradmessers für die Außenpolitik des Heiligen Stuhls zu. So wurden zwischenzeitlich Verhandlungen zwischen griechischen Regierungsvertretern und dem Johanniterorden aufgenommen mit dem Ziel, Syros zum Hauptquartier des Ordens zu machen. Wenige Jahre später wurde mit L. M. Blancis da Ciriè, ein Franziskaner, der bis dahin im Dienst des Vikariats von Konstantinopel gestanden hatte, Apostolischer Administrator des Bistums Syros. Seine Ernennung war Ausdruck einer seit den napoleonischen Kriegen betriebenen Politik des Heiligen Stuhls, die Hierarchie mit italienischen Priestern zu besetzen. Wie aus seiner intensiven Korrespondenz hervorgeht, war Blancis besonders um den Erhalt der Steuerimmunität der Kirche bemüht. Zudem appellierten die Katholiken der Ägäis ihrerseits mehrfach um die Unterstützung französischer Diplomaten und katholischer Hierarchen in Konstantinopel und Smyrna (Izmir), um die traditionellen Schutzmächte Frankreich und den Vatikan in die Abwehr der Ansprüche des griechischen Staats aktiver einzubinden.

Die Vertreter der katholischen Kirchenhierarchie waren der Auffassung, der neue griechische (orthodoxe) Staat werde sich anders als der osmanische den Katholiken gegenüber als intolerant erweisen. Als Konsequenzen ihrer Eingliederung in den neuen Staat standen ihnen die Szenarios von Konversion und Abwanderung vor Augen. Zugleich überwog in den Gemeinden des Archipels noch eine Weile die Hoffnung, die Wunden, die der Krieg geschlagen hatte, seien nur von kurzer Dauer. Doch die vollständige Zerstörung der osmanischen Flotte bei Navarino durch eine britisch-französische-russische Flotte im Herbst 1827 und kurz darauf das Scheitern einer osmanischen Expedition zur Rückeroberung von Chios, dessen geflüchtete Bewohner die Hälfte der orthodoxen Gemeinde von Syros ausmachten, bedeuteten das Ende der Illusion einer Rückkehr zum Status quo ante.

Anfang 1826, schrieb Blancis einen detaillierten Bericht über Syros, in dem er die Anerkennung der Insel als Freihafen befürwortete. Noch drei Jahre später, während der Verhandlungen über die Grenzen Griechenlands im Jahr 1829, wurde in einer im "Courrier de Smyrne"" veröffentlichten Petition des katholischen Klerus und der Prälaten von Syros der Wunsch geäußert, nicht Teil des neuen griechischen Staates zu sein. Obwohl die Authentizität dieses Dokuments angezweifelt wurde, entspricht diese Behauptung den Szenarien, die von den katholischen Bischöfen mit den französischen Vertretern in der Region diskutiert und gefordert wurden. In anderen Berichten, in denen unter anderem die von den orthodoxen Siedlern an den Katholiken begangenen Verbrechen aufgezählt wurden, schlug Blancis schließlich vor, dass Syros einen Status ähnlich dem der Republik San Marino erhalten solle, das heißt autonom und direkt mit dem Heiligen Stuhl verbunden; auch die Zusammenführung aller Katholiken des griechischen Archipels auf einer dieser Inseln mit besonderem Status wurde diskutiert. Die San-Marino-Idee blieb jedoch wie viele andere Projekte nur ein Gedankenspiel, da Position und Status der Katholiken im neuen griechischen Königreich letztlich mit dem Vertrag von London 1832 und der Krönung eines katholischen Königs, Otto, des Zweitgeborenen des bayerischen Königs Ludwig I., entschieden wurden. (Dimitris Kousouris, 28.7.2021)