Menschenrechtsverletzungen am Beginn einer Lieferkette werden von Unternehmen bis zu den Endkunden weitergereicht. Lieferkettengesetze sollen das verhindern.

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Kinderarbeit in Bangladesch, unwürdige Arbeitsbedingungen in Brasilien oder illegale Abholzungen in Rumänien: Nicht selten profitieren Unternehmen indirekt von Rechtsverstößen ihrer Zulieferer. Lieferkettengesetze sollen dem einen Riegel vorschieben. Sie verpflichten Unternehmen, ihre Produktionsnetzwerke zu dokumentieren und die Einhaltung von Menschenrechten zu kontrollieren. Frankreich, die Niederlande und Deutschland haben bereits entsprechende Regelungen beschlossen. Österreich wartet auf einen Vorschlag der EU-Kommission, die derzeit an einem Rechtsakt arbeitet.

Die Sinnhaftigkeit der Regelungen stellt kaum jemand infrage. In der Umsetzung sind die gesetzlichen Vorstöße allerdings mit Problemen behaftet: Für Unternehmen und staatliche Behörden bedeutet die Dokumentation ihrer Lieferanten einen erheblichen bürokratischen Aufwand. Zudem ist deren Überprüfung oftmals schwierig. In einem kürzlich veröffentlichten "Policy Briefing" schlägt ein Forscherteam rund um Stefan Thurner vom Complexity Science Hub Vienna eine mögliche Lösung für dieses Problem vor: Bei der Dokumentation von Lieferketten sollen Staaten auf bereits vorhandene Umsatzsteuerdaten zurückgreifen.

Etablierter Mechanismus

"Wenn ich das gesamte Produktionsnetzwerk abbilde und aufgrund einer journalistischen Recherche weiß, dass ein bestimmter Betrieb Kinder beschäftigt, dann könnte ich sofort alle anderen involvierten Unternehmen informieren", sagt Thurner im Gespräch mit dem STANDARD. Die aktuellen Pläne in Deutschland sehen vor, dass Unternehmen ihre Lieferanten selbst dokumentieren und überprüfen müssen. Das sei "ineffektiv, ineffizient und dennoch mit einem riesigen Aufwand verbunden", sagt der Komplexitätsforscher: "Warum also nicht auf etablierte Mechanismen zurückgreifen?"

Die benötigten Daten stehen laut Complexity Science Hub in vielen Ländern bereits zur Verfügung oder könnten durch eine minimale Anpassung bei der Umsatzsteuererfassung leicht gewonnen werden. Das Meldesystem müsste nur insofern verändert werden, als die Steuernummern der Unternehmen in maschinenlesbarem Format ans Finanzamt geschickt werden. Damit wäre eine computerunterstützte Verarbeitung möglich.

Denkanstoß

Produktionsnetzwerke ließen sich ohne bürokratischen Aufwand für Unternehmen und staatliche Kontrollbehörden erstellen. "Firmen müssten nichts machen, außer ihre normale Steuerabrechnung", sagt Thurner. Eine Umgehung des Lieferkettengesetzes könnte so praktisch ausgeschlossen werden.

Das Konzept wäre allerdings vorerst nur auf nationaler und europäischer Ebene umsetzbar. Da Probleme in der Lieferkette häufig außerhalb Europas auftreten, wäre die praktische Bedeutung der Dokumentation zunächst gering. Thurner sieht den Vorschlag aber als Denkanstoß: "Im Bankensektor wurde der Austausch von Daten schrittweise ausgebaut und ist mittlerweile auch auf internationaler Ebene möglich." Einzelne Länder sollten daher voranschreiten und internationalen Druck aufbauen. "Man könnte damit zeigen, wie viel man mit Digitalisierung und sehr wenig Aufwand erreichen kann", ist Thurner überzeugt.

Bekämpfung von Steuerbetrug

Laut dem Complexity Science Hub hätte die Vorgangsweise zudem einen großen positiven Nebeneffekt: Die Vernetzung von Umsatzsteuerdaten würde die Bekämpfung von Steuerhinterziehung erleichtern. Ungereimtheiten entlang von Lieferketten könnten nachverfolgt und verhindert werden. Sogenannte Steuerkarussellgeschäfte verursachen nach offiziellen Schätzungen der Europäischen Union einen Schaden von rund 50 Milliarden Euro jährlich. (Jakob Pflügl, 20.7.2021)