Auf seinem neuen Album verarbeitet der Fünfhauser Raphael Ragucci alias Raf Camora, was der Erfolgsdruck mit einem macht.

"War der leicht tot?", fragten sich einige mit Hip-Hop-Gepflogenheiten nicht ganz so vertraute Menschen, die in den letzten Wochen am Wiener Westbahnhof vorbeikamen. Kaum übersehbar war dort ein ganzes Eckhaus in Schwarz gehüllt. In weißen Lettern prangte darauf der Schriftzug: "Raf Camora lebt". Durchaus eindrucksvoll.

Foto: Amira Ben Saoud

Raf Camora, Musiker, Geschäftsmann und mittlerweile auch Autobiograf (Der Pakt, 2021), weiß von sich reden zu machen. Der Ort der PR-Aktion mutete bedeutungsschwanger an. Der gebürtige Schweizer, aber Wahlwestwiener Raphael Ragucci, Österreichs erfolgreichster Rapper, markierte damit sein Revier. Fünfhaus, sein Bezirk, da wo er zu Hause ist, sein Bezirk, der ihm "gehört", sein Bezirk, den er berühmt machte.

Zurück mit Musik

Tot war Raf nicht. Viel mehr bedeutete "Raf Camora lebt" nichts anderes, als dass er neue Musik veröffentlichen wird. 2019 hatte Ragucci seine Solomusikkarriere mit seinem Album Zenit für beendet erklärt. Geglaubt hat das niemand. Sich im Mainstream-Hip-Hop selbst zu "rest-in-peacen", um dann wenig später zurückzukehren, gehört zum guten Marketington. Von US-Kollegen wie Jay-Z bis zu Deutschrappern wie UFO361 haben bereits viele das Sterben inklusive Auferstehung durchgespielt, verkauft man doch bei der Veröffentlichung des Abschiedswerks sehr gut, und bei der Rückkehr noch besser.

RAF Camora - Topic

Aus Rafs Mund – man muss sich hier auf Interviews, die er Medien seiner Wahl gibt, verlassen – klingt das natürlich anders. Er habe tatsächlich vorgehabt aufzuhören, der Erfolgs- und Erwartungsdruck sei zu groß gewesen, sagt er dem GQ-Magazin, er konnte nicht mehr frei von der Leber weg Musik machen, ohne ständig darüber nachzudenken, ob das eh charttauglich ist. 2018 belegten Raf und sein Kollege Bonez MC mit Palmen aus Plastik 2 13 der ersten 14 Plätze in den Charts. Der Mann hat etwas zu beweisen.

Bis auch der Pizzamann ihn kennt

Ob kalkuliert oder nicht, der Grund für Raf Camoras Rückkehr mit seinem kürzlich erschienenen Album Zukunft dürfte nicht in erster Linie das Geldverdienen sein, wie man es manchmal bei in die Jahre gekommenen Rockbands auf Reunion-Tournee beobachtet. Bei dem frugalen 37-Jährigen, dem ein Ferrari eh reicht, handelt es sich eher um eine gewisse Geltungssucht, die sich nicht nur in den Lyrics, sondern auch in Aktionen wie der mit den Pizzen äußert. Ach so, die Sache mit der Pizza sollte man vielleicht erklären: Ragucci war pikiert, dass der Besitzer der legendären Pizzeria Mafiosi in Rudolfsheim-Fünfhaus ihn nach all den Jahren nicht als Stammkunde erkannte, also legte er das Geld für 1150 Pizzen aus, die seine Fans dort gratis abholen konnten, wenn sie dem Besitzer ein Foto von Raf zeigten. Auch das eine gelungene Marketingaktion, die aber doch tief blicken lässt.

Raguccis Streben um (An-)Erkennung, ein sehr gutes Händchen für Selbstinszenierung und diszipliniertes Arbeiten haben den Rekordbrecher mit drei Millionen monatlichen Hörern auf Spotify zu der Größe im Deutsch-Rap gemacht, die er heute ist. Denn der beste Rapper ist er wirklich nicht. Tatsächlich hat man schon bellende Rottweiler mit mehr Rhythmusgefühl und Flow gehört. Raf skandiert seine Reime eher stumpf und variationslos, hat aber ein Händchen für eingängige Hooks, außerdem hat er sehr früh erkannt, dass Rap auch in der Großraumdisco funktionieren muss.

RAF Camora - Topic

Schwer beeinflusst von melodiösen Spielarten aus dem weiten Feld des French Rap und von Dancehall-Beats, brachten Raf Camora und Bonez MC mit ihrem gemeinsamen Album Palmen aus Plastik den poppig-bunten, aber mit Testosteron angereicherten Sound 2016 bei uns in die Charts. Dass sich Raf Camora viel darauf einbildet, hier Vorreiter gewesen zu sein, ist schon recht und billig.

Nicht weniger als die Nummer eins

Zwar findet sich auf dem Comeback-Album Zukunft wieder schneller Sound für den Club, zum Beispiel auf dem titelgebenden Track oder auf Kapuze im Club, richtige Fröhlichkeit kommt aber nicht auf. Zum blümeranten Blau des Albumcovers, auf dem Raf dreinschaut, als würde er demnächst über Sartre dissertieren, passen auch die Inhalte von Zukunft. Vom Tod des Großvaters, in die Brüche gegangenen, schmerzvollen Beziehungen reichen sie bis zu Selbstzweifeln, Depressionen und Reue. Mit Zeilen wie "Man sieht an meinen Augen, dass mir irgendwas fehlt" (Realität) bis zu "War plötzlich mit Bonzen am Tisch / Die ihr Goldsteak fressen, so als koste es nix" (Intro) spricht Raf Camora öfter angeekelt von den Schattenseiten des Erfolgs, als er seine Vorzüge lobt. Auch dieses Narrativ ist nicht gerade eine Seltenheit unter seinesgleichen, doch wirken die Zeilen authentisch und weitaus sympathischer, als es der eher belanglose Vorgänger Zenit tat. Man merkt deutlich, dass Raf wieder etwas zu sagen hat, auch wenn man’s nicht unbedingt zur Gänze hören will.

RAF Camora - Topic

Wenn am Freitag die heimischen Single-Charts bekanntgegeben werden, wird Raf Camora gebannt vor dem Laptop sitzen. Mit weniger als der Nummer eins wird er sich nicht zufriedengeben. Denn so sehr er auch zu hassen scheint, was der Erfolg aus ihm macht, so sehr braucht er die Bestätigung. Solange das so ist, wird er mit der Musik nicht aufhören. (Amira Ben Saoud, 22.7.2021)