Zeitweise sehr emotional wurde es am siebten Verhandlungstag des Terrorprozesses im Großen Schwurgerichtssaal.

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Wien – Als Prediger "Ebu Tejmar" soll Mirsad O. laut Anklage seine Mitangeklagten und andere Muslime dazu gebracht haben, in Syrien aufseiten islamistischer Gruppen in den Krieg zu ziehen. Das bestreitet der 39-Jährige auch nicht, er will sich aber mittlerweile gewandelt haben. Zum Beleg lässt Verteidiger Leonhard Kregcjk am siebten Verhandlungstag vom Vorsitzenden Stellungnahmen des Vereins Derad und zweier katholischer Gefängnisseelsorger verlesen, die dem im Jahr 2016 zu 20 Jahren Haft verurteilten O. ein denkbar gutes Zeugnis ausstellen.

Derad, eine Organisation, die sich um die Deradikalisierung verurteilter Islamisten bemüht, kommt zum Schluss, dass der Zweitangeklagte von ehemaligen Gesinnungsbrüdern mittlerweile als "Abtrünniger" bezeichnet werden würde. Tatsächlich distanziere er sich in der Justizanstalt, in der er inhaftiert ist, auch von radikalen Mitgefangenen, weshalb diese schlecht über ihn reden würden. O. habe sich bei den Gesprächen, die er zweimal pro Woche besucht, auch über den Anschlag vom 2. November "erschüttert und wütend" gezeigt. Er habe Angst, dass solche Aktionen dazu führen könnten, eine feindselige Stimmung gegen Muslime zu schaffen, was seiner Familie Nachteile bringen könnte.

Seelsorger von Sinneswandel überzeugt

Auch zu den katholischen Betreuern suchte O. Kontakt, und auch diese äußern sich sehr positiv über ihn. Aus der Haftanstalt, die übrigens in einem ehemaligen Stift und Kloster angesiedelt ist, berichtet der Seelsorger von wöchentlichen einstündigen Gesprächen über Theologie, Islam und Christentum. Dabei zeige O. sich mittlerweile durchaus tolerant gegenüber abweichenden religiösen Überzeugungen. Ohne "sozialromantische" Interpretation ist der Seelsorger überzeugt, dass ein Sinneswandel beim Zweitangeklagten stattgefunden habe. Einen katholischen Mithäftling habe O. auch bei den Exerzitien des heiligen Ignatius, die der spirituellen Vertiefung dienen, unterstützt.

Dass O.s Gesinnung im Jahr 2013 noch eine ganz andere war, verdeutlichen davor Zeugenaussagen. Jene der drei Brüder K. beispielsweise. Einer von ihnen wurde selbst 2014 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Ein Fehlurteil, erklärt er nun dem Vorsitzenden: "Ich war nie in Syrien. Ich war in der Türkei." – "Und was haben Sie in der Türkei gemacht?", erkundigt der Vorsitzende sich höflich. "Das ist mein Land. Ich habe Urlaub gemacht."

Bruder wollte Familie Fernsehen verbieten

Von dem er allerdings seiner Familie offenkundig nicht erzählte, für die war er nämlich von einem auf den anderen Tag verschwunden, und sie holten Erkundigungen über ihn ein. Auch in der Moschee, in der Zweitangeklagter O. predigte. Einer der nun als Zeuge aussagenden Brüder erinnert sich, dort einmal einen "Vortrag des Meisters" – er meint O. – gehört zu haben. In dem ging es darum, dass man nach Syrien gehen solle, um zu kämpfen. Sein Bruder, der dann verschwand, sei durch den Besuch der Moschee zusehends radikaler geworden – so wollte er der gesamten Familie Fernsehverbot erteilen, da in der Televisionsempfangseinrichtung auch unbekleidete Frauen zu sehen seien.

Einen interessanten Aspekt bietet auch die Verlesung der Aussage des mittlerweile verstorbenen Vaters des Erstangeklagten. Auch er suchte seinen plötzlich verschwundenen Sohn Turpal I., und erfuhr schließlich, dass dieser angeblich in der Türkei sei – und Geld brauchte. Worauf I.s Mutter ihre Wohnungen in Tschetschenien verkaufte und dem Erstangeklagten via Western Union der Erlös von 73.000 Euro überwiesen wurde. Die Eltern sollten sich eigentlich mit den fünf anderen Angeklagten nun wegen Terrorismusfinanzierung verantworten, sind aber nicht im Großen Schwurgerichtssaal: Der Vater starb, die Mutter ging zurück nach Tschetschenien.

Vorsitzender kann nichts zum Verbleib des Sohnes sagen

Was an diesem Prozesstag auch deutlich wird: dass es eben nicht süß und ehrenvoll ist, für das Vaterland zu sterben, wie Horaz in den Raum gestellt hatte – sondern Krieg furchtbar ist. Man merkt es, wenn der Vater eines Foreign Fighters erzählt, dass auch sein Sohn plötzlich verschwunden sei und er ihn nur einmal aus dem Gebiet des "Islamischen Staates" angerufen haben. Das sei vor Jahren gewesen. "Herr Richter, wissen Sie, wo mein Sohn ist?", fragt dieser Mann am Ende seiner Zeugenaussage den Vorsitzenden. Der muss bedauernd verneinen.

Die Mutter der Viertangeklagten berichtet, wie einer ihrer Söhne sie nach seinem Verschwinden angerufen habe: "Er hat gesagt, es sei alles in Ordnung und ich solle mir keine Sorgen machen." Am 21. Mai 2013 erhielt sie die Nachricht, dass ihr Sohn getötet worden sei. Dass der Erstangeklagte, der mit ihrer Tochter verheiratet ist, danach in Syrien das Grab des angeheirateten Verwandten suchen wollte, wie er behauptet, habe sie nicht gewusst, sagt die Frau auch.

Tränenreiche Entschuldigung bei den Eltern

Emotional wird es auch beim Auftritt des Vaters von Bernd T., dem Drittangeklagten. Der Vater macht als Zeuge von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch. Dann bittet der Drittangeklagte darum, sich bei den Eltern entschuldigen zu dürfen. T. bricht in Tränen aus und stammelt, wie sehr er die ganzen Probleme, die er ihnen in den vergangenen Jahren bereitet habe, bedauere. "Es tuat ma so laad", schluchzt er.

Am Montag wird fortgesetzt. (Michael Möseneder, 22.7.2021)