Wien will Klimamusterstadt werden. Bis 2040 soll die Stadt eine neutrale CO2-Bilanz aufweisen. Zugleich muss sich die Stadt den steigenden Temperaturen anpassen. Neue Ideen, diese Ziele zu erreichen, holte sich Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) diesen Sommer in Paris.

Ein Schulhof, wie ihn sich Kinder gewünscht haben: der Oasis Courtyard im 20. Bezirk in Paris.
Foto: ook

Klimabudget: Partizipation auf Französisch

Es ist ein krasser Gegensatz: Nur wenige Meter neben einem zubetonierten Schulhof findet sich die kleine Grünoase: Kräuter wachsen in Beeten zwischen Laubbäumen, rund um einen Klettergarten stehen aus Ästen geflochtene Tipis, an denen sich in Zukunft Pflanzen hochschlingen werden. Ein Rinnsal zum Planschen trennt die nebeneinanderliegenden Außenbereiche von Kindergarten und Volksschule. Im Zuge des Projekts Oasis werden in Paris zehn Schulhöfe umgestaltet und an den Klimawandel angepasst. Jener der beiden Maryse-Hilsz-Schulen im 20. Arrondissement ist einer von ihnen.

Finanziert wird das Projekt von der Stadt Paris; es ist eines jener Vorhaben, die für das "Budget Participatif" ausgewählt wurden. Der Projekttopf ist mit 100 Millionen Euro pro Jahr eines der größten partizipativen Budgets, die bisher umgesetzt wurden. Einzelprojekte können bis zu zwei Millionen Euro erhalten. Die Idee: Bürgerinnen und Bürgern reichen ihre Pläne ein, die auf Umsetzbarkeit geprüft werden und über die später abgestimmt wird. Wird ein Projekt ausgewählt, sollen die Ideengeberinnen und -geber später bei der Umsetzung miteinbezogen werden, wie die zuständige Pariser Vizebürgermeisterin für Partizipation, Anouch Toranian, erklärt.

Wien will 2022 starten

Wien will Anfang 2022 den ersten Aufruf für dieses Mitmachbudget starten – allerdings ausschließlich für Klimaideen. Bis dahin soll ein Kriterienkatalog stehen, welche Projekte eingereicht werden können. Die Pilotphase, in der es um sechs Millionen Euro geht, wird in Margareten, Simmering und Ottakring sein. Ausgewählt wurden die Bezirke auf Basis mehrerer Indikatoren, wie Wencke Hertzsch von der Stadtbaudirektion betont. Herangezogen wurden dafür die Hitzekarte der Stadt, Daten über sozioökonomische Ungleichheiten und der Grünflächenanteil pro Kopf. "In den Pilotbezirken besteht große Bereitschaft mitzumachen", sagt Hertzsch. Über eine Zusammenarbeit mit Stakeholdern und Initiativen – wie etwa Jugendzentren – sollen auch Gruppen erreicht werden, die "bei bisherigen Beteiligungsprozessen oft unterrepräsentiert sind".

In einem "gemeinsamen und co-kreativen Prozess" sollen aus den Ideen umsetzungsfähige Projekte werden, sagt Hertzsch. Eine Jury aus Bürgerinnen und Bürgern entscheidet schließlich über jene Projekte, die umgesetzt werden.

Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky kann sich große Dachfarmen auch in Wien vorstellen.
Foto: ook

Begrünung: Gemüseproduktion Mitten in der Stadt auf Dachfarmen

Erdbeeren, Basilikum und Grünkohl sprießen aus den weißen Säulen, die auf einem Dach mitten in Paris stehen. Um die Farm herum ragen Hochhäuser in den Himmel. Mehr als 20 verschiedene Sorten Gemüse, Obst, Beeren und Kräuter werden seit Anfang des Jahres 2020 hier im 15. Bezirk über einem Veranstaltungszentrum angebaut. Hochbeete finden sich neben den Säulen, durch die ständig Wasser in einem Kreislauf tröpfelt, um die Wurzeln darin zu versorgen. Auf Erde wird verzichtet – zu schwer würden die Beete dadurch. Nature Urbaine nennt sich das Dachfarmprojekt, das im Endausbau mit 15.000 Quadratmetern Fläche das größte seiner Art in ganz Europa werden möchte. Dann soll in der Hochsaison rund eine Tonne an Lebensmitteln pro Tag geerntet werden. Bereits jetzt wird die Ware an einen Supermarkt, nahegelegene Restaurants und Hotels verkauft und bei einem kleinen Bauernmarkt feilgeboten.

Landwirtschaft auf dem Dach gibt es auch in Wien. Etwa seit vergangenem Jahr auf dem ehemaligen Sophienspital. Allerdings nicht in dieser Größe: Mit 234 Quadratmetern misst die Gärtnerei in Neubau nur einen Bruchteil von jener in Paris. In Wien bleibt die Landwirtschaft derzeit am Boden. 5700 Hektar weist die Stadt als Landwirtschaftsflächen aus.

Begrünung statt Landwirtschaft

"An Paris sieht man, wie herausfordernd Dichte ist", sagt Klimastadtrat Czernohorszky. Die französische Metropole ist viermal so verbaut wie Wien und hat nicht ganz ein Siebentel des Grünanteils der Bundeshauptstadt. In puncto Landwirtschaft müsse man also nicht in höhere Lagen ausweichen, sagt Czernohorszky. Aber: "Wegen der Herausforderungen des Klimawandels müssen wir überlegen, wie unsere Dächer entweder für die Energieversorgung, den Zugang für Bürgerinnen und Bürger oder landwirtschaftlich genutzt werden können." Hier wolle man von Paris lernen, "wie in dichtverbauten Teilen der Stadt oder in jenen mit vielen Hitzeinseln" Grünraum geschaffen werden kann. Helfen sollen Förderprogramme der Stadt. Im ersten Halbjahr 2021 wurden laut Czernohorszky mehr als vier Millionen Euro für Begrünungen und Entsiegelungen genehmigt.

Im dichtverbauten Paris befindet sich rund um stillgelegte Gleise das Viertel Batignolles.
Foto: ook

Stadtentwicklung: Nachbarschaften mit eigenen Kraftwerken

Von der Idee her erinnert vieles an das neue Nordbahnhofviertel mit der Freien Mitte in der Wiener Leopoldstadt. Ein neues Stadtviertel, das rund um stillgelegte Bahngleise aufgezogen wurde; mit viel Grün und neuen Wohnungen. Der Ökostadtteil Clichy-Batignolles in Paris umfasst 54 Hektar mit Weihern, Alleen, Skatepark und Grünanlage. Fertiggestellt soll das Projekt im 17. Pariser Arrondissement 2023 werden – dann sollen dort 7500 Menschen leben und 12.700 Personen ihren Arbeitsplatz haben.

Das Zentrum des Viertels – der rund zehn Hektar große Park – dient als urbane "Klimaanlage"; die Gebäude sind zumindest "in der Theorie" CO2-neutral, wie die Pariser Architektin Catherine Haas Adler erklärt. Heißt: Die Häuser brauchen wenig Energie, 15.000 Quadratmeter Solaranlagen finden sich auf deren Dächern und Wänden, und Wärmepumpen arbeiten in der Erde – so soll ausreichend Strom und Wärme erzeugt werden, um das Viertel zu versorgen. Die restliche Energie kommt per Fernwärme von der nahegelegenen Müllverbrennungsanlage. Eine Bilanz, ob die Rechnung aufgeht, gibt es allerdings noch nicht.

In Wien entsteht auf dem ehemaligen Nordbahnhofgelände mit der Freien Mitte bis 2025 eine 93.000 Quadratmeter große Natur- und Parkfläche.

Energieerzeugung auf dem Dach

In puncto Energiewende will man sich aber nicht nur auf einzelne Viertel beschränken. "Wir haben uns in Wien vorgenommen, jedes Jahr so viele Photovoltaikflächen zu bauen wie in den vergangenen 15 Jahren zusammen", sagt Czernohorszky, Bis 2025 soll die solare Stromproduktion verfünffacht werden. Dann sollen 250 Megawatt Peak erzeugt werden – bis 2030 sollen zehn Prozent des benötigten Stroms aus Solarenergie kommen – das sind 800 Megawatt Peak. Dafür sollen die infrage kommenden Flächen der Stadt zur Gänze genutzt werden. "Aber damit wir das Ziel erreichen, müssen wir weit darüber hinausgehen." Denn das Potenzial auf eigenen Gebäuden der Stadt liegt lediglich bei 50 Megawatt Peak. Die Stadt allein kann das also nicht stemmen. Das meiste Potenzial haben "Flächen, die nicht genutzt sind", sagt Czernohorszky. Und: Dafür könnten etwa große Supermarkt- oder Parkplatzdächer herhalten. (ook, 22.7.2021)