Über die Einstufung des Great Barrier Reef als "gefährdet" ist ein Konflikt entbrannt.

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Seit letzter Woche tagt das Welterbekomitee der Unesco im chinesischen Fuzhou per Videokonferenz. Folgt die Organisation der Empfehlung ihrer Experten, könnte das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens am Freitag auf die sogenannte Rote Liste der gefährdeten Kulturgüter gesetzt werden. Die Folgen des Klimawandels hätten in den letzten Jahren zum Absterben von rund 50 Prozent der Korallen am 2.400 Kilometer langen Riffgebilde geführt, so ein Vorbericht. Der Zustand des Riffs müsse deshalb von "schlecht" auf "sehr schlecht" korrigiert werden. Wenn Australien nicht besser auf dieses Naturwunder vor seiner Küste achte und Klimaemissionen nicht drastisch reduziert würden, sei der größte Teil des Riffs bis 2050 abgestorben, fürchten Forscher wie Terry Hughes von der James-Cook-Universität.

Verbalkrieg zwischen Unesco und Australien

Die Expertenkommission der Unesco hatte die Rückstufung im Juni empfohlen. Seither tobt zwischen der Sonderorganisation der Vereinten Nationen und der australischen Regierung ein Verbalkrieg. Die australische Umweltministerin Sussan Ley wirft der Körperschaft vor, Canberra nicht über die Empfehlung der Kommission informiert zu haben. Sogar der seit Monaten schwelende Handelskonflikt zwischen Peking und Canberra wurde von australischen Politikern als Grund zitiert: die Rückstufung sei ein Racheakt Chinas, das in diesem Jahr dem Welterbekomitee vorsteht, so der konservative Senator James Paterson.

Alle Vorwürfe wurden von der Unesco vehement zurückgewiesen. In der Hoffnung, die Mitgliedsstaaten noch umstimmen zu können, reiste Ley letzte Woche nach Europa, um politische Entscheidungsträger vom "guten Zustand des Riffs" zu überzeugen. Gleichzeitig lud die australische Regierung die Botschafter von 13 Ländern zu einem Schnorchelausflug am Riff ein. Die Diplomaten sollten sich selbst einen Eindruck verschaffen können, wie es um das Naturwunder steht.

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Die Tagungseröffnung des Welterbekomitees in Fuzhou, China.
Foto: AP / Xinhua / Song Weiwei

Hitzewellen unter Wasser

Es ist zu bezweifeln, dass sich die Botschafter von der Schönheit der Korallen täuschen ließen. Solche gibt es an vielen Orten des Great Barrier Reef weiterhin. Ein immer größer werdender Teil des 348.700 Quadratkilometer großen Riffs aber gleicht einer Wüste aus grauem, schleimigem Korallenschrott.

Hauptursache der Zerstörung sind drei Unterwasser-Hitzewellen, die das Riff 2016, 2017 und 2020 heimsuchten. Korallen sind extrem temperaturempfindlich: Wenn die Wassertemperaturen steigen, kommt die fragile Symbiose aus Korallen und den Algen aus dem Gleichgewicht. Die Korallen bleichen aus. Wenn sie sich von solchen Hitzewellen nicht rasch erholen können, sterben sie ab. Grund für die häufigeren Temperaturanstiege sei die von Menschen verursachte Klimaveränderung, so Wissenschafter. Einen geringeren negativen Einfluss auf die Gesundheit des Riffs hätten Abwässer aus der Landwirtschaft. Nachhaltig durchgeführter Tourismus wird als wenig bedenklich gesehen.

Eine Abstufung auf die Rote Liste wäre für ein reiches Industrieland wie Australien eine Blamage. Sie hätte schwere Folgen für Australien als Urlaubsziel. Die Tatsache, dass das Riff seit 1981 als Weltkulturerbe gilt, ist für viele Besucher einer der Gründe für eine Reise nach "Down Under". Rund fünf Milliarden Euro verdiente das Land vor Covid-19 pro Jahr mit Tourismus am Riff. 63.000 Arbeitsplätze hängen davon ab.

Schmutzige Energie

Mehrere führende Meeresbiologen haben in den letzten Tagen die Unesco in einem Schreiben aufgefordert, dem Druck Canberras nicht nachzugeben und das Riff auf die Rote Liste zu setzen. Der drastische Schritt könne die Regierung vielleicht zu einem Richtungswechsel in der Klimapolitik veranlassen, glauben die Wissenschafter.

Die konservative Regierung unter Premierminister Scott Morrison will im Rahmen des Pariser Abkommens nur das absolute Minimum an Emissionen reduzieren. Die Gründe seien eigennützig, sagen Kritiker: Stärkerer Klimaschutz bedrohe zwei von Australiens wichtigsten fossilen Exportprodukten: Kohle und Erdgas. Australien ist einer der weltgrößten Förderer und Exporteure dieser Brennstoffe, die maßgeblich für klimaschädigende Emissionen verantwortlich sind. Umweltministerin Sussann Ley bestreitet nicht, dass globale Klimaveränderung "die größte Bedrohung für die Riffe dieser Welt ist. Aber es ist unserer Ansicht nach falsch, das weltweit am besten gehandhabte Riff für eine Liste gefährdeter Stätten herauszugreifen."

Obwohl Australien eine der höchsten CO2-Emissionsraten pro Kopf hat, sollen im Land die Kohle- und Gasindustrien massiv ausgebaut werden. Mehrere neue Minen sind geplant oder im Bau. Die Regierung pumpt hunderte Millionen Dollar an Steuergeldern in den Gassektor, da die Privatindustrie wegen des global wachsenden Widerstands gegen fossile Energien immer weniger bereit ist, in diese zu investieren. Dabei könnte Australien seinen Strombedarf komplett mit Solar und Windkraft decken, sagen Experten, und mit dem Ausbau der erneuerbaren Energieformen tausende neue Arbeitsplätze schaffen. (Urs Wälterlin aus Canberra, 22.7.2021)