Schwebende Hand über Fachliteratur: abstrakte Zusammenhänge in Installationen gegossen.
Foto: Yasuhiro Tani, Yamaguchi Center of Arts and Media

"We’re facing 25 years of prosperity, freedom, and a better environment for the whole world. You got a problem with that?" Mit diesem Satz eröffneten die beiden US-amerikanischen Zukunftsforscher Peter Schwartz und Peter Leyden ihren Essay The Long Boom: A History of the Future, der 1997 im Magazin Wired erschien – kurz vor dem Ausbruch der Asienkrise. Darin prophezeiten sie ein "radikal optimistisches" Szenario für ein weltweites Wirtschaftswachstum, das sich bis ins Jahr 2020 steigern würde.

Dass sich diese Vorhersage nie einlöste und die Periode sogar mit dem Ausbruch einer Pandemie endete, macht die Ausstellung von Ho Rui An mit dem Titel The Ends of a Long Boom in der Kunsthalle am Karlsplatz zum zentralen Element.

Begehbare Theorie

In seiner ersten Einzelausstellung in Europa hat der in Singapur lebende Künstler den Essay in Gesamtlänge auf drei Bahnen gedruckt und wortwörtlich auf den Boden der Realität geholt. Mit gebücktem Haupt darf man darauf den Text von oben nach unten lesend abgehen. Ja, eigentlich studieren. Denn was Ho Rui An da macht, ist intensiv recherchierte Forschungsarbeit, in künstlerische Formate zu gießen, um abstrakte Zusammenhänge zu veranschaulichen. Oder zumindest verständlich zu machen, denn visuell ist diese Ausstellung so komplex wie eine wissenschaftliche Arbeit.

Maximal reduziert werden Boden, Wände und Bildschirme mit fünf Werkkonstellationen bespielt. Motive beziehen sich immer wieder aufeinander und begegnen einem öfters. So die Hand als steuerndes Marktwerkzeug oder der "chinesische" Hafen in Piräus. Das Booklet navigiert hilfreich durch die Schau.

Hier ist die Theorie die Basis: Generell drehen sich die spannenden Arbeiten Ho Rui Ans um die Entwicklung des Neoliberalismus, Folgen des Kolonialismus und das Konstrukt von West und Ost. Einer der Meister, der andere der ewige Schüler? Konstant wird diese imaginierte Unterteilung der Welt infrage gestellt – wofür steht Asien?

Decodierte Stereotype

In der Videoinstallation Asia the Unmiraculous, die man von zwei sterilen Loungesesseln aus betrachtet, hält der Künstler selbst eine Lecture-Performance, in der er die Beziehung zwischen der Finanzkrise Ende 1990er-Jahre und dem vorhergegangenen Wirtschaftswachstums Ostasiens untersucht. Eine ironische Note schafft er, indem diese historisch-theoretischen Momente mit Popkultur gemischt werden.

Anhand ikonischer Szenen aus Hollywoodfilmen wie Entrapment oder Titelbildern des Time-Magazins legt Ho Rui An Stereotype offen und decodiert auf raffinierte Art gewohnte Sehweisen.

Im September ist eine Performance des Künstlers im Wiener Museumsquartier geplant. (Katharina Rustler, 23.7.2021)