Ministerin Leonore Gewessler appelliert an die gemeinsame Verantwortung der Regierung, Kanzler Sebastian Kurz hat davon allerdings eine ganz andere Vorstellung.

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Das eigentliche Thema der Pressekonferenz, die Bioökonomie, war nebensächlich. Statt über das Weltklima zu sprechen, wurde Leonore Gewessler (Grüne) von Journalisten beinahe ausschließlich zum koalitionsinternen Klima befragt. Denn um das steht es derzeit schlecht. Stein des Anstoßes ist ein Interview mit Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in den Vorarlberger Nachrichten. Dort sagte der ÖVP-Chef, dass Klimaschutz kein "Weg zurück in die Steinzeit sein sollte". Es sei falsch, zu glauben, dass das Klima durch Verzicht zu retten sei, sagte Kurz. "Der einzig richtige Zugang ist, auf Innovation und Technologie zu setzen."

Sebastian Kurz: "Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte. Ich halte weder von der ständigen Politik des erhobenen Zeigefingers etwas noch von Fantasien, dass man irgendwie leben könnte wie im vergangenen Jahrhundert."

Konkret geht es um den Bau der umstrittenen S18, der durch eine von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler angeordnete Evaluierung erst einmal aufgeschoben wurde. Kurz machte klar, dass die S18 allen Einwänden zum Trotz gebaut werde. Dass seine eigene Partei, die ÖVP, dem grünen Antrag auf Evaluierung aller Asfinag-Bauprojekte zugestimmt hatte, verstehe Kurz selbst nicht, wie er sagte. Er wisse nicht, was hier passiert sei. "Ich kann nur für mich sprechen. Ich stehe auf der Seite der Bevölkerung und an der Seite des Landeshauptmannes."

Nicht vom alten Denken bremsen lassen

Der Konter der grünen Klimaschutzministerin fiel diplomatisch aus: Sie sei bei Kurz, ein Zurück in die Vergangenheit sei keine Option. Für sie bedeute das allerdings, "mutig voranzugehen". Sie wolle sich im Klimaschutz weder von altem Denken bremsen lassen noch von jenen, die immer nur Nein sagen. Zum Thema Verzicht sagte Gewessler in Richtung des werdenden Vaters Kurz: "Es gibt was, auf das möchte ich auf keinesfalls verzichten: die Zukunft unserer Kinder."

Erst vor zwei Wochen erntete Gewessler viel Gegenwind vonseiten der ÖVP, als sie bekanntgab, sämtliche sich in Planung befindliche Projekte der Asfinag einem Klimacheck zu unterziehen. Zu diesen zählt unter anderem der umstrittene Lobautunnel. Auf die unterschiedlichen Positionen der Parteien zum Straßenbau in Vorarlberg angesprochen, sagte Gewessler am Donnerstag, sie nehme das Parlament ernst. Sie halte daher daran fest, Alternativen zu prüfen. Der Entschließungsantrag, der von Gewessler eine Prüfung von Alternativen zur Vorarlberger S18 fordert, war von Grünen und ÖVP gemeinsam eingebracht worden. Der Vorarlberger ÖVP-Abgeordnete Karlheinz Kopf, hauptberuflich Generalsekretär der Wirtschaftskammer, hatte das Abstimmungsverhalten seiner Partei mit einem politischen Gegengeschäft erklärt: Die ÖVP trägt den Antrag mit, dafür lehnen die Grünen den Misstrauensantrag gegen Finanzminister Gernot Blümel ab.

"Ich stehe auf der Seite der Bevölkerung und an der Seite des Landeshauptmannes. Wir sind uns einig, dass es sich um ein notwendiges Infrastrukturprojekt handelt, das vor langer Zeit beschlossen wurde und somit umgesetzt werden sollte."
Kurz am 22. Juli in den "Vorarlberger Nachrichten" zur Debatte um die S18

Es ist nicht das erste Mal, dass der Klimaschutz zum Streitthema in der Koalition wird. Und auch der geleakte Entwurf des Klimaschutzgesetzes sorgte für Aufregung: Die ÖVP-nahe Wirtschaftskammer nannte das Papier in einem internen Schreiben "äußert problematisch" und teils "untragbar".

Situation in der Koalition: "Ganz gut"

Die am Donnerstag ebenfalls anwesende Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) umschrieb die Situation innerhalb der Koalition so: Es funktioniere trotz der Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten "ganz gut". Dennoch würden "zwei Parteien miteinander regieren, die gänzlich unterschiedliche Auffassungen haben".

"Den Rechtsstaat immer dann zu biegen, wenn es einem vielleicht selbst passt, ist durchaus auch kritisch zu hinterfragen." Elisabeth Köstinger, Ministerin für Tourismus, zur Debatte über Bauprojekte.

Seit die Prüfung der Asfinag-Neubauprojekte publik wurde, weht Gewessler jedenfalls heftiger politischer Gegenwind aus den Bundesländern entgegen. Schon vor zwei Wochen hatte sich Kurz an die Seite der Länder gestellt: "Wir brauchen eine gute Infrastruktur, gerade im ländlichen Raum", argumentierte der Kanzler. Er sei "sehr optimistisch, dass sich der Hausverstand durchsetzen wird". Die Wiener SPÖ ist ebenfalls stinksauer, da mit der Prüfung aller bereits beschlossenen Asfinag-Projekte auch der geplante und ebenfalls umstrittene Lobautunnel vorerst auf unbestimmte Zeit vertagt werden musste.

Kurz: "Der Antrag wurde der ÖVP von den Grünen regelrecht abgenötigt in Zusammenhang mit dem Misstrauensantrag gegen Finanzminister Gernot Blümel."

Kritik aus der Wissenschaft

Kritik am Kanzler kommt aus der Wissenschaft: Die Aussagen von Kurz stünden im Widerspruch zu wissenschaftlichen Studien, kritisiert die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. "Man fühlt sich 20 Jahre zurückversetzt", sagte die Meteorologin und wendete sich mit einem Angebot an den Kanzler: Sollte Kurz neue Studien oder Erkenntnisse haben, wolle sie sich gerne damit befassen. "Wenn wir auf die Innovation warten, haben wir das Zeitfenster verloren, in dem wir noch handeln können", sagt Kromp-Kolb. Projekte, die vor 30 Jahren geplant wurden, müssten "natürlich" dahingehend überprüft werden, ob sie mit dem aktuellen Stand der Klimaforschung übereinstimmen. Insgesamt hält Kromp-Kolb es für gut, dass Kurz "endlich inhaltlich auf die Debatte einsteigt". Nun könne sachlich über das Thema gesprochen werden.

Ähnlich argumentiert auch der Klimaökonom Karl Steiniger: "Es könnte uns allen mit einem Umstieg auf einen nachhaltigen Lebensstil so viel besser gehen, das wäre auch ökonomisch viel billiger." Nicht nur in der Technologie sei Innovation notwendig, sondern auch im Lebensstil. Insgesamt sei eine umfassende Systemänderung notwendig, sagt der Uni-Graz-Professor: "Wenn Studierende als Aufgabe bekommen ein Mobilitätssystem zu entwerfen, und sie kommen mit dem heute existierenden zurück, fliegen sie durch – viel zu teuer und ressourcen-verschwendend."

Auch Angela Köppl, Ökonomin am Wifo, meldete sich angesichts der Aussagen von Kurz zu Wort: "Ein neues Verständnis von Mobilität – verstanden als Zugang zu Personen, Gütern, Dienstleistungen und Orten – bedeutet, dass die Befriedigung von Mobilität nicht immer zusätzliche Verkehrsleistungen erfordert." Das bedeute auch, dass Infrastrukturplanungen im Verkehrs- und Gebäudebereich zusammen gedacht werden müssten: "Ein klimataugliches Mobilitätssystem verschränkt alle Verkehrsträger miteinander." Innovative Technologien würden laut Köppl für ein solches Mobilitätsverständnis – vom öffentlichen Verkehr, über Fußwege bis zum Individualverkehr ein Rolle spielen, "sind aber in ein breiteres Systemdenken einzubauen." (Nora Laufer, Michael Völker, 22.7.2021)