Interstellare Wolken aus Staub und Gas sind nicht nur die Geburtsstätten von Sternen. Dort können sich auch chemische Verbindungen bilden, die möglicherweise bei der Entstehung von Leben eine Rolle spielen oder bereits gespielt haben. Bis vor wenigen Jahren dachte man, dass es nur positiv geladene Verbindungen in diesen Wolken gibt. Im Fachjournal "Physical Review Letters" berichten nun Innsbrucker Physiker, wie es zur Bildung negativ geladener Ionen kommen kann.

Rätselhafte Genese

Erstmals entdeckt wurden negativ geladene Kohlenstoffverbindungen im Weltraum im Jahr 2006. Bis dahin gingen Forscher davon aus, dass negativ geladene Teilchen rasch durch Kollisionen mit anderen Atomen oder Molekülen bzw. durch UV-Licht zerstört würden. Wie es überhaupt zur Bildung negativ geladener Ionen kommt, war bisher unklar.

In Interstellaren Wolken – im Bild der Reflexionsnebel IRAS 10082-5647 – entstehen chemische Verbindungen. Die Grundlagen dafür haben Innsbrucker Wissenschafter genauer untersucht.
Foto: ESA/Hubble

Der italienische Theoretiker Franco A. Gianturco, der seit acht Jahren als Wissenschafter an der Universität Innsbruck tätig ist, hatte vor einigen Jahren theoretische Überlegungen angestellt, die eine mögliche Erklärung dafür liefern. Sehr schwache Verbindungen, sogenannte Dipol-gebundene Zustände, sollen die Anbindung von freien Elektronen an stabförmige Moleküle ermöglichen. Solche Moleküle haben ein permanentes Dipolmoment, das in relativ weiter Entfernung vom neutralen Kern eine starke Wechselwirkung erzeugt und unter deren Einfluss sich die Bewegung eines Elektrons massiv verändert.

Ionen für chemische Reaktionen

Die Frage nach den negativ geladener Ionen ist das insofern, als es Ionen braucht, damit in der extremen Kälte des Alls chemische Reaktionen ablaufen. Sie sorgen dafür, dass sich auch unter diesen Bedingungen in den interstellaren Wolken erste, hauptsächlich aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestehende Kettenmoleküle bilden können.

Die Forschungsgruppe um Roland Wester vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck versucht, die Entwicklung elementarer Moleküle im All besser zu verstehen und hat dazu vor einigen Jahren ein eigenes Labor aufgebaut. Herzstück davon ist eine Ionenfalle. "Damit können wir, vereinfacht gesagt, das All ins Labor holen können", so Wester. Die Apparatur erlaubt es, die Bildung von chemischen Verbindungen im Detail zu studieren.

Der umgekehrte Weg...

In ihrem aktuellen Experiment haben die Physiker Moleküle aus drei Kohlenstoffatomen und einem Stickstoffatom erzeugt, diese ionisiert und in der Ionenfalle bei extrem tiefen Temperaturen mit Laserlicht beschossen. Dabei änderten sie die Frequenz des Lichtes kontinuierlich so lange, bis die zugeführte Energie groß genug war, um ein Elektron aus dem Molekül zu lösen. Diesen sogenannten Photoeffekt hatte Albert Einstein schon vor 100 Jahren beschrieben.

Im Weltall dürfte dieser Prozess genau gegenteilig ablaufen – was allerdings unter Laborbedingungen derzeit einfach nicht nachvollzogen werden kann, wie Wester erklärte. "Wir nutzen aus, dass solche Elementarprozesse mit umgekehrter Zeit genauso ablaufen – und wenn ich das verstehe, verstehe ich auch den inversen Prozess", so der Physiker.

...führte ans Ziel

Eine eingehende Analyse der Messdaten und ein Vergleich mit einem Computermodell erbrachte schließlich den eindeutigen Nachweis für die Existenz von Dipol-gebundenen Zuständen. "Unsere These ist, dass diese Dipol-gebundener Zustände eine Art Türöffner für die Bindung freier Elektronen an Moleküle darstellen und so zur Entstehung negativer Ionen im Weltraum beitragen", sagt Wester. "Ohne diesen Zwischenschritt wäre es sehr unwahrscheinlich, dass Elektronen tatsächlich an die Moleküle binden." (red, APA, 25.7.2021)