Die Wohnung von Komponist Tscho Theissing und Konzertmeisterin Bettina Gradinger in Wien-Dornbach ist so bunt zusammengewürfelt wie ein Medley. Jetzt träumen sie nur noch vom Meer hinterm Wienerwald.

"Wir leben hier auf historischem und überaus musikalischem Boden. Das Haus stammt aus dem 17. Jahrhundert und befand sich damals noch weit außerhalb Wiens. Es war wohl eine Art Gutshof oder Priesterwohnhaus und gehörte zum Salzburger Stift St. Peter. Später wurde das Gebäude als Gasthaus genutzt, und zur Sommerfrische kam eines Tages, und zwar im Jahr 1827, Franz Schubert und verbrachte hier einige Zeit. Er dürfte sich ziemlich genau unter uns eingemietet haben. Der Dachboden, in dem wir heute wohnen, war ja damals – lange vor Gipskartonzeiten – noch nicht ausgebaut.

Foto: Lisi Specht

Auch auf der gegenüberliegenden Straßenseite ging es immer schon musikalisch zu. Im Gasthaus Zur Güldenen Waldschnepfe entwickelten Musiker um die Gebrüder Schrammel jenen Stil, der uns heute als Schrammelmusik bekannt ist. Die Straßenbahnlinie 43, die jetzt hier rausfährt, war damals eine der ersten Pferdetramways, die in Wien installiert wurden.

Die Waldschnepfe war also ein beliebtes Ausflugsziel am Wochenende. Keine Frage: Bei der Entscheidung, diese Wohnung zu kaufen, hat uns das geschichtliche Rundherum sicherlich beeinflusst.

Schubert ist für uns einer der Komponisten, deren Musik uns am meisten berührt. Bei ihm klingt vieles, als habe er es direkt aus allerhöchsten Sphären empfangen und nicht von Menschenhand konstruieren müssen. Bei anderen großen Komponisten, wie etwa Beethoven, spürt man dagegen die Mühe, mit der an jedem einzelnen Ton herumgefeilt wurde. Schuberts Art spricht uns da ganz direkt an.

Fotos: Lisi Specht

Auch in unserer Wohnung ist nichts konstruiert oder perfekt aufeinander abgestimmt, wahrscheinlich gibt es nicht einmal einen durchgehenden Einrichtungsstil, der uns prägt. Viel eher sind uns die Dinge hier einfach so zugeflogen. Der Schrank ist aus Asien, der Tisch aus der Provence, und an die Kastenfronten hat uns der Tischler – ein netter Gag – originale Interlübke-Griffe geschraubt. Müssten wir unsere Wohnung mit einem Musikstück oder einer musikalischen Richtung vergleichen, dann wäre das wahrscheinlich ein Potpourri, ein wild zusammengewürfeltes Medley aus Klassik, Jazz und Fake Folk. Keine Ahnung, wie das klingen würde.

Gefunden haben wir die Wohnung 2003 über eine Anzeige. Unser Glück war wohl, dass in der Zeitung eine falsche Telefonnummer angegeben war. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Wir haben dann die richtige rausgesucht und waren in der Tat die Ersten, die sich an diesem Samstag in der Immobilienkanzlei gemeldet haben. Die Wohnung ist sehr hell und hat 170 Quadratmeter – und das Beste ist, dass sie es ermöglicht, dass zwei Personen gleichzeitig musizieren, ohne sich gegenseitig auf die Nerven zu gehen. Bei der zweiten Besichtigung sind wir beide dann mit unseren zwei Geigen angetanzt und haben ausprobiert, ob wir uns gegenseitig behindern, wenn wir gleichzeitig Lärm machen. Brahms Violinkonzert gegen Jazzimprovisationen! Hat geklappt.

Fotos: Lisi Specht

Zum Musizieren eignet sich die Wohnung bis heute wirklich super. Das Komponieren geschieht allerdings an mehreren Orten – zum Teil am Klavier, zum Großteil am Computer im Arbeitszimmer, zu einem wesentlichen Teil aber auch gedanklich beim Spazieren gehen und Nordic Walking in den Hügeln in der Umgebung. Es ist immer eine Kombination aus allem. So gesehen ist die Lage am Rande des Wienerwalds wirklich sensationell.

Der einzige Wunsch für die Zukunft wäre, hinter den Bäumen, wenn wir aus dem Fenster rausschauen, das Meer zu sehen. Sollte das nicht realisierbar sein, dann würden wir uns natürlich weiterhin mit dem Wald begnügen.

Fotos: Lisi Specht

Ein Traum, den wir in der Tat verwirklichen wollen, wenn das möglich ist: Wir hätten hier im Ensemble noch gern einen kleinen Musiksaal, um mit unseren Freunden und Kollegen auch in größeren Besetzungen proben zu können. Mal schauen ..." (PROTOKOLL: Wojciech Czaja, 26.07.2021)