Wien – Es ist eine alte Methode, die das neue Problem zumindest teilweise löst. Besonders als es noch an Impfstoff mangelte, ermöglichten PCR-Tests ein mehr oder minder normales Leben. Solche Tests flächendeckend zur Verfügung zu stellen bedarf eines logistischen Kraftakts, der mit dem Wiener Projekt "Alles gurgelt" gelang.

Online registrieren, Testkit in einer Bipa-Filiale abholen, gurgeln, sich zur Identifikation dabei filmen, Test in Rewe-Filialen abgeben und 24 Stunden später ein – hoffentlich negatives – Ergebnis via E-Mail erhalten. So funktioniert das Konzept, das neben der Bundeshauptstadt nun auch in Oberösterreich umgesetzt wird: Vorerst in Linz, die Bezirke Gmunden und Vöcklabruck folgen Anfang August.

Mehr als vier Millionen PCR-Gurgeltests wurden in Wien bereits ausgewertet.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Anlassfirmengründung

Die zentralen Elemente von "Alles gurgelt" sind das Testkit und die Software des Wiener Start-ups Lead Horizon. Es handelte sich sozusagen um eine Anlassfirmengründung, als der Virologe Christoph Steininger und der Innovationsmanager Michael Putz im Frühjahr vergangenen Jahres Lead Horizon starteten. "Die Pandemie hat uns alle überrascht", sagt Steininger im Gespräch mit dem STANDARD. "Mit unserem Netzwerk und Know-how wollten wir jedoch nicht tatenlos zusehen."

Mit kleinen Teststraßen für Unternehmen ging es los: "Zelte aufbauen, Personal finden und schulen, Materialengpässe. Der Aufwand war extrem groß." Daraufhin sei die Idee mit den Gurgeltests und Testboxen für zu Hause entstanden. Zwei große Hürden gab es zu Beginn. Einerseits den Test mit einem digitalen Prozess zur Identifikation zu verbinden, andererseits wurde stark an den Gurgeltests gezweifelt.

"Ich verstehe nicht, warum so lange auf Nasenabstrichen beharrt wurde. Gurgeltests liefern seit Jahrzehnten gute Ergebnisse." Christoph Steininger

"Ich verstehe nicht, warum so lange auf Nasenabstrichen beharrt wurde. Rachenspülungen werden seit Jahrzehnten eingesetzt und liefern zuverlässige Ergebnisse", meint der Virologe. Nicht die Skepsis, sondern die digitale Umsetzung sei die größere Hürde gewesen.

Digitales Grundverständnis

Um die App zu bedienen, braucht es ein digitales Grundverständnis. Das ist vor allem für ältere Generationen oft problematisch. Lead Horizon aktualisiert deswegen fast wöchentlich die Software, um den Prozess laufend zu vereinfachen. "Wir wissen von Einstein, dass es das Schwierigste ist, etwas Schwieriges so einfach wie möglich zu machen."

Verena Mischitz zeigt, wie der Gurgeltest funktioniert.
DER STANDARD

Mittlerweile werden in Wien wöchentlich rund 300.000 Tests ausgewertet, vergangene Woche wurde die Vier-Millionen-Marke durchbrochen. An 600 Standorten können Tests abgegeben werden, und es sind täglich 55 Post-Fahrzeuge und rund 60 Mitarbeiter der Post für "Alles gurgelt" im Einsatz. Neben Lead Horizon sind die Wiener Wirtschaftskammer, Rewe für die Distribution, die Post für die Logistik und Lifebrain für die Auswertung im Labor involviert.

"Großes politisches Risiko"

"Die Idee kam von der Stadt Wien, und das politische Risiko war groß, das Projekt wäre gescheitert, wenn eine Komponente ausfällt", sagt Steininger. "Die Politik hat es verstanden, dass manche Dinge mit Parntern aus der Privatwirtschaft abgewickelt werden müssen." Wie viel Lead Horizon selbst mit den Tests verdient, wird allerdings nicht verraten. Auch im Firmenbuch finden sich noch keine Zahlen.

Steininger gehört überdies einer Forschergruppe an der Med-Uni Wien an und arbeitet als Internist im AKH. Er sei oft gefragt worden, warum er das Projekt nicht im Rahmen der Med-Uni gemacht habe: "In dem Fall hat sich die Privatwirtschaft besser bewährt als ein akademisches Umfeld."

Lead Horizon-Gründer Christoph Steininger freut sich, dass in seiner Heimat Oberösterreich nun auch alles gurgelt.
Foto: Kati Bruder

Über den Start in Oberösterreich freut sich der 48-Jährige, mitunter weil er selbst aus dem Bundesland stammt. Auch den Rest Österreichs zu beliefern sei kein Problem. Dafür müsse allerdings die Logistik gesichert werden, was sich am Land schwieriger gestaltet als in der Stadt. Probleme in der Lieferkette gab es bisher anscheinend keine. Firmenangaben zufolge werden fast alle Produkte in Österreich hergestellt. "Die Preise sind zwar etwas höher als mit chinesischen Produkten, aber dafür sind kurze Transportwege und die Qualität gesichert", erklärt Steininger. Österreichweit soll es zumindest in Apotheken in Kürze kostenlose PCR-Tests geben.

Wertschöpfung im Land halten

Einer der Kooperationspartner ist zum Beispiel der Laborausstatter Greiner Bio-One aus dem oberösterreichsichen Kremsmünster. Man lege Wert darauf, dass die Wertschöpfung im Land bleibt. Lead Horizon bekomme öffentliche Aufträge und würde zu einem großen Teil mit Steuergeld bezahlt. Gegründet haben Putz und Steininger die Firma, die momentan 15 Mitarbeiter beschäftigt, aber mit dem eigenen Ersparten.

Wie geht es weiter? Steininger blickt optimistisch in die Zukunft. Fast täglich kämen Anfragen von Gesundheitsbehörden, Krankenhäusern oder militärischen Institutionen aus der ganzen Welt. Außerdem funktioniere das Testkit auch für alle anderen Atemwegserkrankungen wie Influenza oder RSV. Überdies werde sich Covid-19 etablieren wie viele andere Krankheiten auch, ist Steininger überzeugt. Auch hier werde es weiter Tests brauchen. Schwere Verläufe ließen sich jedoch durch Impfungen eindämmen. "Das haben wir selbst in der Hand." (Andreas Danzer, 25.7.2021)