Der letzte Mohikaner in der roten Zone

Eizendorf wurde 2002 abgesiedelt – nur ein Ehepaar ist geblieben

Fritz Kühberger hat in seinem Vorzimmer eine Hochwasser-Galerie. Verlassen will er sein Haus im Machland dennoch nicht.
Foto: Werner Dedl

Mais. Linke Seite, rechte Seite. Überall Mais. Der schmale Güterweg führt durch die schier unendlichen Weiten großer Kukuruzfelder. Doch irgendwann lichtet sich selbst das dichteste Dickicht, und an einer kleinen Straßenkreuzung offenbart sich neben dem Ortsschild "Eizendorf" unerwartet ein "Memorial". 64 kleine Betonsockel stehen für 64 Häuser. Erinnerung an einen Ort im Machland, der nach 800 Jahren von der Landkarte verschwunden ist.

Fritz Kühberger ärgert allein schon der Name: "Memorial? Früher hat man einfach Denkmal dazu gesagt." Der 83-Jährige sitzt in einem breiten Ohrensessel inmitten der ehemaligen Gaststube. Die heute verwaiste Schank, der große Raum, die Bestuhlung. Erinnerungen an eine Zeit, in der hier "richtig die Post abgegangen ist". Die Augen des alten Mannes glänzen. Vor Freude. Oder sind da doch Tränen erkennbar?

Der große, blaue Dreikanter ist seit Generationen im Besitz der Familie Kühberger. Bis 2002 hat das Ehepaar hier das Gasthaus betrieben. Es war das große Jahr der Veränderung. Und der Moment, in dem sich viele Eizendorfer die eine Frage gestellt haben: bleiben oder gehen? Letztlich haben nach dem Jahrhunderthochwasser 2002 alle Bewohner des damals schwer überfluteten Ortes die rote Zone verlassen und noch einmal von vorne begonnen. Alle? Nein. Eizendorf hat heute noch zwei Einwohner – Friederike und Fritz Kühberger.

Hochwassermarke

Im Vorjahr wurde das alte Feuerwehrhaus geschliffen. Jetzt erinnert nur mehr der "Kühberger-Hof" an das einstige Dorf. An dem Haus merkt man schnell, dass dem Ehepaar hier schon öfter das Wasser quasi bis zum Hals gestanden ist. Deutlich über der Eingangstür markiert eine Plakette die 2002er-Hochwassermarke, in der Wohnung im Erdgeschoß haben Wasser und Schlamm unübersehbare Schäden hinterlassen. Heute wohnt das Ehepaar im ersten Stock.

Neben dem Stiegenaufgang erinnert eine Fotowand an die Hochwasserkatastrophen. Fritz Kühberger erinnert sich noch an fast jedes Hochwasser: "1954, 1965, 1975, 1981, 1985, 1991, 2002 und 2013. 1965 war das Wasser dreimal in der Gaststube, fast drei Wochen lang." 2013 dann der Höchststand, einige Zentimeter mehr als 2002. Rund 2,5 Meter sei das Wasser im Wohnbereich gestanden.

Und in all den Jahren gab es nie einen Moment des Zweifelns? Den Gedanken, an einem sicheren Ort neu anzufangen? "Es ist nicht leicht, wenn das Wasser kommt. Wenn es zwei Tage durchregnet, wirst du schon unruhig. Aber ich bin hier aufgewachsen, tief verwurzelt. Es ist meine Heimat", erzählt Kühberger. 2002 habe es einen Moment des Zweifelns gegeben: "Das ganze Erdgeschoß war voller Wasser und Schlamm. Da habe ich schon gedacht: ‚Jetzt mag ich nicht mehr.‘"

Mit dem Rückgang des Wassers wurden auch die Zweifel weniger. Und die Kühbergers sind geblieben: "Ich bin der letzte Mohikaner, gell Mutti."

Angst vor der Abrissbirne

Und doch hat das einsame Indianerleben im Machland möglicherweise bald ein Ende. Jüngst bekam der Sohn von Fritz Kühberger, auf den das Haus längst überschrieben ist, Post von der oberösterreichischen Landesregierung. Fünf Jahre habe man Zeit, das letzte Gebäude in Eizendorf abzureißen. Der Hintergrund: Nach dem Hochwasser wurde das Haus geschätzt, die Absiedelung besiegelt und die erste Tranche der Entschädigungszahlung an den Sohn ausbezahlt. Verbunden ist mit der Vereinbarung aber auch der Abriss.

19 Jahre war dies von Landesseite kein Thema, jetzt flatterte den Kühbergers das Schreiben mit dem Ultimatum ins Haus. Für den 83-Jährigen eine Katastrophe: "Wenn ich das noch erlebe, dann ist das mein Tod. Ich will nicht weg, es ist meine Heimat, mein Leben." Es sei ihm "sehr wohl bewusst", dass das Haus einmal abgerissen wird. "Aber ich habe nur eine Bitte an die hohen Herren beim Land: Lasst mich hier in meinem Haus mein Leben aushauchen."

Die alte "Ringstraße" von Eizendorf gibt es noch. Einen schmalen Weg, der früher rund um das kleine Dorf führte. Ein Schotterteich ist heute ein Anglerparadies. Viele junge Menschen kommen hierher. Menschen, die oft nichts mehr von dem verschwundenen Dorf wissen.

"Erinnerung!", steht auf einer Tafel am Straßenrand. "800 Jahre ist hier ein Dorf gestanden, wo viele Menschen ihre Heimat fanden. Als Freunde und Nachbarn waren wir vereint, haben hier gelebt, geliebt, gelacht und auch geweint."

Jetzt sind es nur noch zwei. (Markus Rohrhofer)


Viele helfende Hände in Hallein

Der Zusammenhalt nach dem Hochwasser stimmt optimistisch

1,2 Meter hoch stand das Wasser in der Vorwoche in Ernst Penningers Hof. Der Schlammstreifen an der Hauswand zeugt davon.
Foto: Franz Neumayr / Chris Hofer

Mit einem Gartenschlauch und einem Besen schwemmt Ernst Penninger Schlamm aus dem Hof vor seinem Haus. Der 39-Jährige wohnt mit seiner Familie in einem der ältesten Häuser in Hallein, einer ehemaligen Mühle und Bäckerei direkt am Kothbach. Letztes Wochenende stieg das Wasser des Gebirgsbachs, der vom Dürrnberg runterkommt, aufgrund der starken Regenfälle rasch an. Innerhalb von 20 Minuten stand das Wasser im Hof 1,2 Meter hoch. Auch ins Erdgeschoß des gelben Hauses drang das Wasser ein, die Werkstatt und die Garagen wurden geflutet.

"Da bist du machtlos", sagt der Halleiner. Man könne sich nur an einen vermeintlich sicheren Ort begeben und abwarten. Besonders bitter: Erst im Vorjahr wurde das Haus komplett renoviert.

Doch Penninger ist nicht von Gram gebeugt. Er wirkt optimistisch und ist vielmehr überwältigt vom Zusammenhalt und den vielen helfenden Händen. "Das Berührendste für mich war mein Nachbar, von dem ich jetzt erst weiß, dass er mein Nachbar ist. Am Sonntag schaute ich auf diesen Berg von Geröll, Wurzeln und Möbeln, was alles im Hof herumgeschwommen ist, und gegenüber am Schlafzimmerfenster stand ein Mann, der entsetzt seine Hände in die Höhe riss. Als ich mit dem Reinigen anfing, stand er in voller Montur mit seiner Freundin da und fragte: ‚Wo können wir jetzt helfen?‘", erzählt Penninger.

40 Helfer ohne Hilferuf

Danach hätten mehr und mehr Freunde und auch wildfremde freiwillige Helfer mitangepackt. Ein Bekannter sei mit einem Bagger, ein weiterer mit einem kleinen Hoflader gekommen. Er sei in dem Moment nicht in der Lage gewesen, jemanden anzurufen und um Hilfe zu bitten, sagt der Geschäftsführer des Salzburgrings. Trotzdem halfen am Nachmittag 40 Personen, den Schlamm aus dem Erdgeschoß und dem Hof zu bekommen.

Auch ein Zug des Bundesheer-Pionierbataillons 2 habe den ganzen Tag in der Gasse entlang des Kothbachs mitangepackt. Am Abend sei bereits das gesamte Treibholz weg und der Schlamm rausgeschaufelt gewesen. "Es war für mich bemerkenswert, wie Menschen in Extremsituationen zusammenhalten. Das zeigt mir, dass die Gesellschaft bei uns in Ordnung ist", sagt Penninger.

Es ist nicht das erste Mal, dass das 1378 errichtete Haus einem Hochwasser zum Opfer fiel. Als 1976 der Kothbach die Stadt flutete, wurde das damals ebenfalls frisch renovierte Gebäude noch heftiger zerstört. Das Wasser habe die alte Mühle weggerissen, die Autos ausgespuckt und alle Möbel ruiniert, schildert Penninger. Die letzten Utensilien der alten Bäckerei und Mühle hätte es damals weggespült. Die Versicherung habe nur 17.000 Schilling bezahlt.

Nun sei die Familie besser versichert, aber auch glimpflicher davongekommen, sagt Ernst Penninger. Seine Schadensbilanz bisher sind zwei schrottreife Autos, eine kaputte Werkstatt und viele beschädigte historische Möbel, die im Erdgeschoß standen. Verlorene Erinnerungen, die ein bisschen schmerzen. Im Haus selbst sei bis auf die nassen Wände, wo Wasser stand, nicht viel passiert. Wobei sich erst in einigen Wochen zeigen wird, wie schlimm die Schäden am Mauerwerk sind. Die Wohnräume im ersten und zweiten Stock sind verschont geblieben.

Natur ist unberechenbar

"Wenn ich mir Hallein ansehe, wo ganze Wohnungen zerstört, Geschäftslokale komplett verwüstet sind und Existenzen am Spiel stehen, dürfen wir uns zu den Glücklichen zählen, die nur diesen Sachschaden haben." Das Wichtigste sei ohnehin, sagt Penninger, dass keine Menschen verletzt wurden oder starben.

Die gröbsten Schäden in den Straßen der Halleiner Altstadt sind eine Woche nach der Flut wieder beseitigt. Ein Kraftakt von Feuerwehren, Soldaten und freiwilligen Helfern. Doch wie für viele andere heißt es nun auch bei den Penningers: waschen, waschen, waschen. Direkt am Kothbach, der die Stadt überflutet hatte, befreien sie Geschirr und Möbelstücke vom feinen Schlamm.

"Ich habe zur Kenntnis genommen, dass das Hochwasser gekommen ist. Die Natur ist da, und sie ist oft unberechenbar, egal welche Maßnahmen wir ergreifen werden", sagt der Hochwasserbetroffene. Man lerne natürlich daraus. Im unteren Geschoß habe er nur noch das Notwendigste untergestellt. "Wir leben mit diesem Bach seit vielen Jahrzehnten im Einklang. Manchmal ist er halt stärker." (Stefanie Ruep, Markus Rohrhofer, 25.7.2021)