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Seit über 60 Jahren lebt der Dalai Lama vorwiegend im indischen Exil in Dharamsala.

Foto: AP/Ashwini Bhatia

Der Dalai Lama hat zwar angeblich kein Smartphone. Trotzdem scheint er ein Ziel möglicher Spähattacken durch die Überwachungssoftware Pegasus geworden zu sein. Denn etliche seiner engsten Vertrauten stehen auf jener Liste mit Telefonnummern, die von einem Journalistenkonsortium aufgedeckt wurde. Journalisten, Politiker und NGO-Mitarbeiter weltweit sollen mit der Software des israelischen Anbieters NSO Group über ihre Smartphones möglicherweise ausgespäht worden sein.

Laut Recherchen des "Guardian" soll in dem konkreten Fall die indische Regierung die Wahl der Personen getroffen haben. Diese bestätigt das weder, noch dementiert sie es. Es seien nur "gesetzeskonforme Abhörmaßnahmen im Dienst der nationalen Sicherheit" durchgeführt worden, sagt ein Sprecher zur "Süddeutschen Zeitung". Die Regierung war schon zuvor in die Kritik geraten, weil sie auch hinter Angriffen auf Handys von Oppositionspolitikern stecken soll.

Zwischen 2017 und 2019 sollen Tibeter aus dem Umfeld des Dalai Lama anvisiert worden sein. Unter den Namen finden sich Lobsang Sangay, damaliger Präsident der Exilregierung mit Sitz in Dharamsala. Auch der heutige Präsident Penpa Tsering findet sich auf der Liste, genauso wie der einflussreiche Mönch Samdhong Rinpoche, so etwas wie die rechte Hand des Dalai Lama.

Die möglichen Spähattacken der indischen Regierung werfen somit ein Schlaglicht auf eine äußerst komplexe Beziehung zwischen dem riesigen Subkontinent und den Tibetern, die ihre Heimat in den 1950er-Jahren verließen, nachdem die Kommunisten unter Mao Tsetung ihr Land übernommen hatten.

Belastungsprobe und Glücksfall

Dass der Dalai Lama mit seinen Landsleuten 1959 in Indien aufgenommen wurde, hat sich für Indien als Belastungsprobe und Glücksfall zugleich herausgestellt: In den Beziehungen mit China stellt das Exil des Dalai Lama ein einzigartiges politische Moment dar, das Indien immer wieder auszuspielen versucht. Gerade in der aktuellen chinesischen Expansionspolitik wird dieser Faktor wieder wichtiger, denn traditionell stellt Indien genauso viel Anspruch auf Einfluss im Himalaja-Raum wie China.

Hinzu kommt, dass so manches Territorium in den Bergen, das heute zu Indien gehört, historisch Teil Tibets war. Durch die kolonialen Wirren bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts fielen mehrere Regionen Indien zu. Ein damals schwaches Tibet konnte sie nicht verteidigen. Heute erhebt die Volksrepublik China deshalb Anspruch auf diese Regionen. In genau jenen Regionen kam es in den vergangenen Jahren immer häufiger zu Konflikten zwischen Indien und China: Arunachal Pradesh im Osten, der Aksai Chin oder Teile Ladakhs im Westen.

Mehr als Charity

Der Dalai Lama war also für Indien immer mehr als ein Akt der Charity. Nicht immer war das Verhältnis spannungsfrei. Doch gerade in den letzten Monaten hatte wieder eine Phase der freundschaftlichen Gesten begonnen: Anfang Juli gratulierte der indische Premier Narendra Modi dem Dalai Lama zu dessen 86. Geburtstag via Twitter. Noch vor kurzem war das undenkbar, wollte man doch China nicht verärgern.

Jetzt sind es aber genau solche Gesten, mit denen Indien versucht, seine Ansprüche im Himalaja zu unterstreichen. Spätestens seit den tödlichen Zusammenstößen von indischen und chinesischen Soldaten in Ladakh im vergangenen Sommer wird Delhi klar, dass es gegenüber Peking einen Gang zulegen muss.

Xi reist erstmals nach Tibet

Delhis Botschaft scheint in Peking angekommen zu sein. Diese Woche ist Chinas Präsident Xi Jinping überraschend nach Tibet gereist, als erster Präsident seit 31 Jahren. Er bereiste vor allem die Grenzregion Nyingchi im Südosten des Landes. Die Region grenzt an das umstrittene Arunachal Pradesh, auf das Peking als "Südtibet" Anspruch erhebt. In Nyingchi wird seit Jahren massiv Infrastruktur ausgebaut. Xi höchst persönlich fuhr mit der neuen Eisenbahn, die die entlegene Region mit dem Rest des Landes verbinden soll. Neben dem Ausbau der Bahn wird dort auch der innerchinesische Tourismus stark gefördert.

Außerdem entsteht in Nyingchi eines der größten Wasserkraftwerke der Welt. Indien beobachtet das mit großer Sorge, hat der massive Eingriff doch möglicherweise verheerende Auswirkungen auf den Flussverlauf des Brahmaputra. Ähnlich sieht es an vielen Orten entlang des Himalajamassivs aus, wo viele der größten Flüsse Asiens entspringen. Ein Wettrennen um die Kontrolle über das Wasser hat dort schon vor langem begonnen.

Indiens wichtiges Pfand

In diesem seit Jahrzehnten delikaten Wettrennen stellt der Dalai Lama daher ein wichtiges Pfand in Indiens Hand dar. Der 86-Jährige hat sich zwar formal aus der Politik zurückgezogen. Nichtsdestotrotz beobachten Indien und China mit Spannung, wer nach seinem Ableben in seine Fußstapfen treten wird. Im Fall des Dalai Lama heißt das, wer als seine Wiedergeburt anerkannt wird. Auch diesen Prozess so genau wie möglich zu beobachten, liegt im Interesse Delhis. Viele jener Tibeter, die sich nun auf der Pegasus-Liste wiederfinden, sind eng darin eingebunden.

Schon kurz nach Bekanntwerden von Indiens Verstrickungen in die Affäre wies der indischen IT-Minister Ashwini Vaishnaw die Vorwürfe übrigens zurück. Gegenüber dem Parlament betonte er, dass das Auftauchen bestimmter Telefonnummern nicht automatisch bedeute, dass diese auch ausgespäht worden seien. Auch die Herstellerfirma NSO Group betonte das seitdem mehrmals. (Anna Sawerthal, 23.7.2021)