Regisseur Romeo Castellucci: "Für Don Giovanni ist die Verdammnis die Erlösung."

Foto: Anne Zeuner

Der asketisch anmutende, sanft sprechende Theater intellektuelle ist privat, wenn Kamera und Mikro verschwinden, womöglich eine echte Lachwurzen. In dieser Rolle ist Romeo Castellucci der Öffentlichkeit bisher allerdings noch nicht begegnet. Eher vermittelt er einen Hauch von Buster Keaton, dem Erfinder des Pokerface. Seine wahre Gemütslage bleibt ein Geheimnis. Gesichert ist jedenfalls, dass der italienische Regisseur das Lachen im Theater nicht so schätzt. Komödie? Ja, allerdings nur, damit uns das Lachen im Halse stecken bleibt.

Wer sich allerdings auf die Ideen des Mannes aus Cesena (Jahrgang 1960) einlässt, steigt in emotionale Erlebnistiefen hinab, aus denen er bereichert um unvergessliche Szenen und Bilder entlassen wird. Behutsam verstand es Castellucci etwa, bei Glucks Orfeo ed Euridice (Wiener Festwochen) eine Wachkomapatientin zur mithörenden Akteurin werden zu lassen und ihre Reaktionen abzubilden. Es wurde eine intensive Annäherung an einen Bereich zwischen dieser und einer anderen Welt – doch fernab jeglichen Voyeurismus‘.

Vor einigen Jahren gab es für ihn natürlich auch Theaterabende unter Polizeischutz und heftige Kritik aus Rom. Die Kirche war nicht wirklich amüsiert, als Castellucci in Über das Konzept des Angesichts bei Gottes Sohn Kinder Handgranaten auf ein Christus-Porträt von Antonello da Messina schmeißen ließ. Und recht drastische Wirkung muss bei Igor Strawinskys Sacre du Printemps der herabregnende Staub entfaltet haben. Er bestand aus gemahlenen Rinderknochen.

Bevorzugtes Wort: "Skandal"

Das Wort "Provokation" um seiner selbst willen interessiert Castellucci allerdings nicht. Der Begriff ist ihm zu einfach, er bevorzugt das Wort "Skandal" im Sinne des Wachrüttelns. Der Betrachter soll seinen Blick auf die Dinge neu justieren.

Castellucci kann aber auch Bilder von raffinierter, vieldeutiger Poesie entstehen lassen – wie bei der Salzburger Salome. Beim Tanz der sieben Schleier liegt die kleine Prinzessin Fötus-gleich auf einem goldenen Würfel, um alsbald in einem herabschwebenden Felsblock zu verschwinden. Dazu tobt die Musik, Ergebnis ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem die szenische Inspiration die Ideen des Komponisten Richard Strauss regelrecht auf eine neue Ebene hebt.

Orchestermusik als größter Luxus

Theater, sagt Castellucci, sei für ihn eine Unterhaltung mit dem Unbekannten. Oper wohl nicht weniger. Allerdings hält er das Musiktheater für die magischste, stärkste Ausdrucksform überhaupt. Zur Sprachemotion käme noch jene der Musik. "Orchestermusik ist für mich der größte Luxus, das größte Geschenk, das ich mir denken kann." Sie sei "Licht im Dunkel unserer Einsamkeit."

Wie das ab Montag bei Mozarts Don Giovanni sein wird, muss sich weisen. Sicher ist: Im Großen Festspielhaus wird es bisweilen erhebliches Gedränge geben. Castellucci lädt nämlich 150 Frauen als Statistinnen auf die Bühne. Wenn also Diener Leporello seine Registerarie anstimmt und dabei jene Damen durchzählt, die sich mit Giovanni eingelassen haben, wird der Verdinglichung und der Reduktion der Damen auf ihre äußeren Merkmale durch deren Anwesenheit entgegengewirkt. Don Giovanni trifft auf all seine Verhältnisse.

"Atmosphäre der Schönheit"

Für Castellucci hat der ruhelose Moralverweigerer allerdings auch eine Liaison mit dem Tod; Giovanni "möchte sich auflösen, möchte sterben, möchte das aber lebendig tun und frönt dabei dem Leben", so der Regisseur und ergänzt: Giovanni zerstöre, spalte und verbreite Unordnung. Folglich sei "für ihn Verdammnis die eigentliche Erlösung." Erst durch seine eigene Zerstörung erschaffe er sich als Mythos.

Der Intendant der Festspiele ist schon im Vorfeld überzeugt von dieser "Selbstzerstörung". Es erwarte uns "der ungewöhnlichste Giovanni, den die Welt je gesehen hat!", so Markus Hinterhäuser. "Ich schätze es, wie Romeo die Details sieht, die anderen verborgen bleiben. Er hat eine unglaubliche Intuition, genau diese Details unter die Lupe zu nehmen und dabei sehr nahe an der Dramaturgie Mozarts zu bleiben", sagt auch Dirigent Teodor Currentzis, der die musikalische Seite dieser Produktion betreuen wird.

Für jene, die nur Provokation erwarten, hat Romeo Castellucci übrigens auch beruhigende Worte. "Ich möchte eine Atmosphäre der Schönheit kreieren", so der Regisseur. Wahrheit und Schönheit müssen kein Widerspruch sein. (Ljubiša Tošić, 24.7.2021)