Sind NGOs, die den Bau von Hochwasserschutz verzögern, verantwortlich für Flutkatastrophen wie in Hallein?

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Es war der erste Fingerzeig nach der Katastrophe. Hätte der Naturschutzbund nicht Einspruch gegen ein geplantes Hochwasserschutzprojekt eingelegt, hätte die Katastrophe in Hallein am vergangenen Wochenende verhindert werden können. Das erklärte Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP), zwei Tage nachdem Überflutungen in der Salzburger Stadt enorme Schäden angerichtet hatten.

Köstinger sagte im Rahmen der Debatte: "Klimaschutz und Hochwasserschutz sind kein Entweder-oder." Stimmt das? Und: Wer ist schuld, wenn der Schutz nicht greift?

Franz Meister vom Umweltbundesamt sieht in der Schuldzuweisung der Ministerin "einen Versuch, von eigenen Versäumnissen im Wasserrecht abzulenken". Immerhin ressortiert der Gewässerschutz im Landwirtschaftsministerium. Meister ist beruflich Experte für Atomenergie, sieht sich privat aber gezwungen, sich mit dem Thema Hochwasserschutz auseinanderzusetzen. Er hat vor 23 Jahren ein Haus im niederösterreichischen St. Andrä-Wördern gebaut. Damals war der Grund als Bauland gewidmet. Zuvor habe er sich im Gemeindeamt absichern lassen, ob Gefahr im Verzug sei – was verneint wurde. Mittlerweile weiß man, dass sein Grundstück in einer sogenannten roten Zone liegt. Meister hat zudem Fotos von zumindest drei früheren, schweren Hochwassern im Ort ausgegraben. "Fakt ist, dass wenn ein Hochwasserereignis eintritt, rund 400 Liegenschaften unter Wasser stehen", sagt Meister.

Schutzbauten, die nicht helfen

Grund dafür ist der Hagenbach, der geradlinig aus dem Ort geleitet wird. Im Fall von Extremwettereignissen soll das Gerinne 27 Kubikmeter Wasser pro Sekunde abführen können – das gelingt allerdings nicht überall, wie Meister erklärt. Unter der ÖBB-Brücke sei gerade einmal ein Durchfluss von 15 Kubikmetern möglich – der Rest würde bei einem Hochwasser überschwappen. Die Engstelle erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit, dass sich Bäume in der Brücke verfangen.

Um Hochwasserschutz möglichst sicher zu gestalten, muss in Österreich eigentlich die sogenannte Freibordrichtlinie eingehalten werden. Unter Brücken soll der Freibord mindestens einen Meter betragen, damit es nicht zu Verklausungen kommt. Bei der ÖBB-Brücke beträgt der Freibord laut Meister, nachdem diese Stelle kürzlich baulich "entschärft" wurde, allerdings nur null bis zwölf Zentimeter. Der Wissenschafter kritisiert zudem, dass die Freibordrichtlinie nicht zwingend anzuwenden sei – "und daher zu Hochwasserschutzbauten führt, die vor zukünftigen Ereignissen nicht helfen kann". Hinzu kommt ein weiteres Problem: Der Bach wurde vom wuchernden Staudenknöterich befallen, der mit seinem dichten Wurzelwerk Dämme destabilisieren kann.

Das Geld fließt langsam

An wen sie sich mit ihren Sorgen wenden soll, wissen Meister und seine Nachbarn nicht. Sie selbst haben in der Sache keine Parteistellung. Die Gemeinde selbst hat vor einigen Jahren einen Plan eingereicht, um die Form des Bachbetts von einer V- in eine U-Form umzuwandeln, damit das Wasser besser abrinnen kann. Laut dem Bürgermeister des Ortes, Maximilian Titz, wurden die Mittel im Vorjahr von Bund und Land genehmigt. Das Geld würde aber erst 2022 oder 2023 fließen – eher können die Anrainer also mit keinem Schutz rechnen.

Der ÖVP-Bürgermeister erzählt die Schwierigkeiten rund um den Hochwasserschutz so: Ein Retentionsbecken sei geplant gewesen, wurde aber verworfen, weil der Grundbesitzer nicht zugestimmt hätte. Daraufhin sei ein Damm in der Hagenbachklamm angedacht worden, worauf Umweltschützer "auf die Barrikaden" gegangen seien. Das sei nicht richtig, sagt wiederum Meister: Er meint, dass das Projekt an den Vorstellungen eines Grundstückseigentümers für den Bau einer Zufahrtsstraße gescheitert sei. Nun ist eben die Veränderung der Form des Hagenbachs angedacht sowie eine Aufweitung der Eisenbahnbrücke. Und was sagt der Bürgermeister zu den Bedenken der Anrainer? "Alle, die jetzt etwas monieren, haben sich die Häuser dort gekauft." Dass das Gebiet vor Jahrzehnten in Bauland umgewidmet wurde, sei aus seiner Sicht nicht weiter verwunderlich: "Es war ja nie etwas, es war kein Erfahrungswert da."

WWF wirft Köstinger "Ablenkungsmanöver" vor

Der WWF fordert, zum Schutz vor Hochwasser vor allem auf Bodenschutz und Renaturierungen zu setzen. Hier sei seit Jahren "viel zu wenig passiert", Köstingers "Attacken auf den Naturschutz" seien "ein Ablenkungsmanöver von der eigenen politischen Verantwortung".

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) sagt, dass Naturschutz, Klimaschutz und "eine gute Zukunft untrennbar miteinander verbunden sind. Wir können sie nicht gegeneinander ausspielen." Durch den Ausbau der Wasserkraft etwa dürften "unsere letzten Flussjuwelen" nicht zerstört werden.

Hunderte Millionen für Projekte

Das Ressort von Ministerin Köstinger verweist auf seine Bemühungen: Die Ökologisierung der Flüsse habe einen hohen Stellenwert, beim Hochwasserschutz gelte der Grundsatz "Technischer Schutz wo nötig, Natur wo möglich".

Priorität hätten Schutzwälder, die viel Wasser aufnehmen können und auch wesentlich günstiger seien als bauliche Maßnahmen. Der Waldfonds ist mit 350 Millionen Euro dotiert. Darüber hinaus gibt es bis 2027 rund 200 Millionen Euro für Projekte der Gewässerökologie, darunter fallen auch Renaturierungen.

Harte Debatte in Deutschland

Viel grundsätzlicher findet die Diskussion um die Schuld in Deutschland statt, wo die Flut mit 175 Toten und noch vielen vermissten Menschen ungleich katastrophaler ausfiel. Vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland Pfalz fragt man sich, wie man Menschenleben hätte retten können. Dabei kam in den letzten Tagen vor allem das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums Horst Seehofers (CDU) liegt, in die Kritik. Das BBK kann nur in Kriegsfällen von Bundesebene aus tätig werden. Der Notstand wurde daher von Ländern und Kommunen ausgerufen, wo aber nicht alle Sirenen funktionierten.

Das europäische Überschwemmungswarnsystem (Efas) und der Deutsche Wetterdienst warnen aber auf Bundesebene, Efas schon Tage vor der Katastrophe. Die Warn-App des Bundes Nina wiederum war für viele keine Option, da in manchen Teilen Strom und Mobilnetz zusammenbrachen. Ob Meldeketten lückenlos funktionierten, ist strittig. Ein zwischen Ländern und Bund erarbeitetes Konzept zum Gewässerschutz soll nun rascher umgesetzt werden.

Zudem soll das digitale Warnsystem Cell Broadcast im Sommer 2022 früher als geplant kommen. Seehofer gab aber zu, dass digitale Warnsysteme allein nicht reichen werden. (Sebastian Fellner, Nora Laufer, Colette M. Schmidt, 25.7.2021)