Eine Regierungskoalition ist keine Beziehung zwischen zwei Menschen, das ist schon klar. Bei Letzterer geht es um Gefühle, bei Ersterer um handfeste Interessen und deren Durchsetzung. Aber eben nicht nur. Wo Menschen aufeinandertreffen, entstehen auch zwischenmenschliche Beziehungen. Oder eben nicht. Dann wird einer solchen Regierungskoalition kein gutes Gedeihen und keine lange Überlebensdauer beschieden sein. Blickt man dieser Tage auf die türkis-grüne Koalition, bekommt man – wieder einmal – genau diesen Eindruck. Das kann wohl nicht mehr lange gutgehen.

Die ÖVP ist drauf und dran, den Grünen den Klimaschutz abzudrehen – und damit den Hauptgrund, mit der ÖVP in eine Koalition zu gehen. Kaum hat die zuständige Ministerin Leonore Gewessler den vorläufigen Stopp und die Evaluierung einiger Straßenbauprojekte angekündigt, fährt ihr Sebastian Kurz in die Parade. Es geht zu wie in einer toxischen Beziehung. Der eine muss alle Welt wissen lassen, wer hier der Herr im Haus ist, und den schwächeren Partner öffentlich demütigen. Dieser wiederum macht gute Miene zum bösen Spiel und redet sich womöglich noch ein, dass es eh gut ist, weil jetzt sein Herzensanliegen wenigstens in aller Munde ist. Das wirkt erbärmlich und ist so gar nicht "das Beste aus beiden Welten".

Sebastian Kurz muss sich fragen, was er eigentlich will.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Das Herzstück grüner Politik

Hier wird es, vor allem für die Grünen, politisch gefährlich. Seit Anbeginn dieser so schwierigen Regierungszusammenarbeit erklären sie Wählerinnen und Funktionären, dass man leider vieles (Attacken auf grüne Minister, eine rigide Asyl- und Fremdenpolitik) schlucken und sich in Geduld üben müsse – weil das Herzstück grüner Politik erst komme: die Durchsetzung einer nachhaltigen, ökosozial verantwortlichen Klimaschutzpolitik. Nun wäre es so weit – und schon hakt es an allen Ecken und Enden. Wenn die Grünen hier keine nennenswerten Erfolge einfahren, stellt sich die Sinnfrage für diese Koalition immer dringlicher.

Aber auch Sebastian Kurz muss sich fragen, was er eigentlich will. Ließ der Kanzler bei seinen jüngsten Auftritten einfach, auch angesichts wieder stabilerer Umfragewerte, nur die Muskeln spielen? Ging es ihm darum, ÖVP-Landeshauptmänner zu beruhigen? Warum wurde hier intern nicht früher Klartext gesprochen – auch darüber, was eine Koalition mit den Grünen für Straßenausbauten bedeutet? War der Koalitionsbruch im Bundesrat, bei dem eine ÖVP-Abgeordnete mit FPÖ und SPÖ für den Bau des Lobautunnels in Wien stimmte, tatsächlich ein Alleingang oder ist das Teil einer breiteren Strategie?

Kurz könnte irren, wenn er meint, dass er mit seinen Attacken gegen "Steinzeit"-Ökos und einem Appell für "intelligenten Klimaschutz" aufseiten "der" Bevölkerung ist. Viele sogenannte Bürgerliche engagieren sich auch selbst gegen neue Straßenprojekte in ihrer Umgebung. Und das Hochwasser der vergangenen Tage hat in vielen Bundesländern das Bewusstsein für den Klimawandel nochmals geschärft. Da nützt es wenig, mit dem Finger auf "bremsende" Naturschützer zu zeigen. Die tatsächlichen Ursachen sind mittlerweile allgemein bekannt. Nicht zuletzt hat der Kanzler vor allem viele junge Menschen vor den Kopf gestoßen, denen Klimaschutz ein echtes Bedürfnis ist – über Parteigrenzen hinweg. Das sollten Kurz und die Türkisen vielleicht bedenken – falls sie auf baldige Neuwahlen spekulieren. (Petra Stuiber, 23.7.2021)