Die Bundesregierung verstärkt den Grenzschutz.

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Wien – Das Bundesheer verstärkt seinen Assistenzeinsatz an den Grenzen zu Ungarn, Slowenien und der Slowakei. Rund 400 zusätzliche Soldaten, Grundwehrdiener sowie Kräfte, die im Rahmen der heeresinternen Aktion "Mein Dienst für Österreich" ausgebildet wurden, sollen die Polizei beim Aufgreifen von Migranten und Migrantinnen unterstützen. Insgesamt sollen künftig damit 1.000 Personen im Assistenzeinsatz stehen.

Das verkündeten Innenminister Karl Nehammer und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide ÖVP) am Samstag bei einer Pressekonferenz in der Wiener Rossauer Kaserne. Die Gründe für die personelle Aufstockung stellte Nehammer drastisch dar. 2021 seien die Grenzaufgriffe "stark gestiegen", vom ersten Jänner bis 18. Juli seien bereits 15.768 Männer, Frauen und Kinder entdeckt worden. Im Gesamtjahr 2020 seien es im Vergleich 21.700 Aufgriffe gewesen, darunter 200 Schlepper.

Nehammer kritisiert EU-Kommission

Österreich müsse die Grenzüberwachung verstärken, da die EU-Kommission den von zunehmendem Migrationsdruck betroffenen Mitgliedstaaten keine Hilfe sei, sagte Nehammer. "Die Kommission hält sich damit auf, über Verteilungsfragen zu diskutieren" – also welches Land wie viele Menschen aufnehmen solle – kritisierte er. Doch darüber sei innerhalb der Union kein Konsens herstellbar.

Einigkeit unter immer mehr Mitgliedstaaten herrsche vielmehr bei Maßnahmen, um die Zahl der Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten in der EU zu beschränken. Hier brachte der Innenminister die Lage in Afghanistan ins Spiel. Es gelte, so viele Afghanen und Afghaninnen wie möglich in ihr Heimatland abzuschieben "solange das noch möglich ist", wiederholte er Aussagen in Interviews mit einer Reihe von Tageszeitungen am Samstag.

Asylsystem "gescheitert"

Darin hatte der Minister das europäische Asylsystem als "gescheitert" bezeichnet; eine Aussage, die er bei der Pressekonferenz wiederholte.

Und sollte die Lage in dem zentralasiatischen Land dann kippen – was etwa das US-Pentagon innerhalb der kommenden sechs Monate für nicht unwahrscheinlich hält – so gilt laut Nehammer, die Frage zu stellen: "Dürfen Afghanen in Österreich Asyl beantragen?". Deren Fluchtroute gehe durch zehn oder mehr Staaten, nach dem Erreichen der EU seien sie daher nicht mehr als Flüchtlinge, sondern "als Migranten zu bezeichnen", sagte der Minister.

Angst vor Fluchtbewegung in die EU

Tatsächlich herrschen in einer Reihe von EU-Regierungen Befürchtungen vor einer Europa erreichenden Fluchtwelle aus Afghanistan für den Fall, dass dort erneut die Taliban die Macht übernehmen. Eine starke Fluchtbewegung in die EU soll unbedingt vermieden werden. Laut Nehammer umfasst diese Staatengruppe neben Österreich "Deutschland, Dänemark, Belgien und die Niederlande", sowie die Vizegrad-Staaten.

Die Diskussion um eine Reform des europäische Asylsytems liegt derzeit auf Eis. Die Kommission ist seit vergangener Woche in der Sommerpause. Weitere Verhandlungen sind für den Herbst zu erwarten.

Kritik der Opposition: FPÖ

Nehammers und Tanners Vorgehen fand bei der Opposition keine Zustimmung. FPÖ-Chef Herbert Kickl attestierte Nehammer "Totalversagen". Seit eineinhalb Jahren würden die Asylzahlen steigen. Derzeit seien es mehr als 100 illegale Migranten pro Tag, so Kickl: "Angesichts dieser explodierenden Zahlen hat Nehammer mindestens schon ein Jahr verschlafen."

Der Innenminister solle sich dafür einsetzen, "dass es keine Asylanträge in der EU mehr geben darf, außer wenn jemand aus einem direkten Nachbarland kommt", sagte Kickl.

SPÖ: Kurz hat versagt

Die SPÖ sah in der heutigen Ankündigung ein "Eingeständnis der ÖVP, dass Kurz (Bundeskanzler Sebastian, Anm.) in der Politik gegen illegale Migration vollkommen versagt hat. Die Balkanroute ist nicht geschlossen", so Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner.

In eine ähnliche Kerbe wie Einwallner schlug Robert Hergovich, der Klubobmann der SPÖ Burgenland: "Statt kosmetischer Maßnahmen ist eine Neuorientierung der österreichischen Asylpolitik dringend erforderlich." Die nötige Richtung habe sein Parteikollege, Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, u.a. mit außereuropäischen Verfahrenszentren schon mehrfach aufgezeigt.

Neos gegen "Presse-Show"

Neos-Verteidigungssprecher und Generalsekretär Douglas Hoyos wiederum kritisierte die "Presse-Show" von Nehammer und Tanner und fragte: "Wie kann es denn sein, dass die ÖVP schon wieder zusätzliche Soldaten an die Grenze schicken muss, wenn doch die ÖVP seit vielen Jahren für die Sicherheit Österreichs zuständig ist?". Dass ausgerechnet Nehammer das europäische Asylsystem für gescheitert erklärt, sei zynisch, findet Hoyos. Schließlich blockiere Kurz "sämtliche Bemühungen in diese Richtung seit Jahren". (bri, APA, 24.7.2021)