Wer darüber nachdenkt, wie klug es ist, werktags zu betonieren, um dann am Wochenende nach der unberührten Natur zu rufen zwecks Erholung, ist ein wenig weit entwickelter Steinzeitmensch.

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Alleine können wir gar nichts ändern an der Klimaerwärmung. Alleine sind wir ohnmächtig. Wer einen möglichst bewussten Lebensstil wählt – sich etwa vegetarisch ernährt oder sein Geld nicht dem endlosen Konsum widmet –, ist ein einfältiger Tor, der den Kampagnen des Ökopopulismus zum Opfer gefallen ist. Es sind ja nur die Konzerne und die Politik, die das Klima in Ordnung bringen können. So wird gerne argumentiert, wenn es um den individuellen Beitrag zum Klimaschutz geht. Kurzgefasst: Alles, was du tust oder lässt, um dich und deine Kinder nicht gedankenlos über die planetaren Grenzen zu schießen, ist sinnlos.

Störfaktor des Fortschritts

Wer darüber nachdenkt, wie klug es ist, werktags zu betonieren, um dann am Wochenende nach der unberührten Natur zu rufen zwecks Erholung, ist ein wenig weit entwickelter Steinzeitmensch. Kurzgefasst: ein Neandertaler, ein Atavismus im guten, modernen Leben und ein Störfaktor des Fortschritts. So sieht das offenbar Bundeskanzler Sebastian Kurz, wenn er das Überdenken lange geplanter weiterer Straßenbauten kommentiert und den Bau im selben Atemzug verspricht. Darüber hinaus wird gleich jeder notwendige Versuch, eben nicht weiterzumachen wie in den vergangenen Jahrzehnten, als Quasiraub am guten Leben etikettiert, als "Verzicht".

Schlag ins Gesicht

Was für ein Schlag ins Gesicht der Zivilgesellschaft, ins Gesicht tausender Junger, die um Haltungsänderung kämpfen. Und eine gewaltige Fehleinschätzung des Bundeskanzlers. Es stimmt schon: Ganz alleine hat das Schaf wenig Chancen, die Route der Herde zu ändern. Aber es sind immer die sogenannten sozialen Kipppunkte, die eine Änderung im Wertegefüge und damit in der Haltung und am Verhalten bringen: Ein gewisser Teil der Gesellschaft, sagen wir zehn, 15 Prozent, will etwas nicht mehr oder will etwas anders. Sonst hätten wir wohl noch Sklaverei, kein Wahlrecht für Frauen und selbstverständliches Rauchen in gemeinschaftlich genutzten Innenräumen, oder wir wären alle mit dem generischen Maskulinum superzufrieden.

Kein Zurück mehr

Genau diese Kipppunkte sind in einigen Schichten der Bevölkerung in Klimafragen bereits erreicht. Da gibt es kein Zurück mehr in die Planungen von vor 20 Jahren. Das ist auch alles andere als Neandertalerismus. Es ist die angstvolle Einsicht in eine Endlichkeit, es ist ein drängender Wunsch, eine Zukunft zu haben und eben etwas anders zu gestalten.

Jeder zweite Junge hat allen Umfragen zufolge explizit Angst vor dem Klimawandel. Das ist die Handlungsaufforderung für den Kanzler: Ja, wir müssen darauf verzichten, Altes einfach unhinterfragt fortzuschreiben. Zuerst sind die Eliten gefordert, denn sie haben den größten CO2-Fußabdruck, nicht die gerne zitierte Billa-Kassierin. Strategisch schlau vonseiten der Politik wäre, die Keule "Verzicht" jetzt zu tauschen mit der Frage, was wir zu gewinnen haben, was wir für uns künftig gewinnen wollen. Die Antwort kann nur lauten: ein gutes Leben. (Karin Bauer, 26.7.2021)