Am 10. August ist es soweit: Der ORF-Stiftungsrat wählt einen neuen Generaldirektor. Politische Parteien und deren Freundeskreise wollen ihren Einfluss auf das scheinbar noch wichtigste Medium in Österreich geltend machen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwiefern ein derartiges Vorgehen überhaupt noch up to date ist. Sollte der neue ORF-Chef nicht eher durch die Gebührenzahler direkt gewählt werden? Bedarf es im Jahr 2021 gar einer kompletten Reflexion und Evaluation über die Bedeutung und Rolle des in die Jahre gekommenen Medienriesen? Ist das Modell der Rundfunkgebühren zu überdenken und der Österreichische Rundfunk im Sinne der Zukunftsfitness zu redimensionieren? Fragen über Fragen, die in Zeiten starker internationaler Konkurrenz mit dementsprechenden Angeboten, sowie einer Seherschaft, welche gerade in der jungen Zielgruppe immer schwieriger zu erreichen ist, zu stellen sind.

Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien

Durch das jahrzehntelange Einwirken der Parteien - zentral von SPÖ und ÖVP - bleibt offen, ob trotz Teletest, Fokusgruppen und anderen Medienforschungen die Erwartungen der Seher wirklich erfüllt werden oder ob der ORF an den Anforderungen seiner Kunden - und das sind alle Österreicherinnen und Österreicher - vorbeiproduziert, ohne dass es ihm bewusst ist. Die Abwanderung der Medienkonsumenten der Zukunft, sprich der jungen Menschen, lässt darauf schließen. Hier geht es gar nicht darum, ob einem der Interviewstil beim "Sommergespräch" oder Interviewtechniken einzelner Anchormänner gefallen oder nicht. Es geht um die Validität der in einer Werbelinie behaupteten These "ORF. WIE WIR.". Realität ist, dass einer nicht kleinen Gruppe das Angebot nicht besonders konveniert und dieses bei anderen, vornehmlich jüngeren Medienkonsumenten gar nicht über die Wahrnehmungsschwelle kommt.

Gelingt Wrabetz eine vierte Amtszeit?
Foto: APA/JOHANNES BRUCKENBERGER

Österreich sucht den ORF-Supergeneral

Das alles sind Herausforderungen, die die zukünftige Frau oder der zukünftige Mann an der Spitze meistern muss, will der ORF in seiner jetzigen Dimension in den nächsten Jahrzehnten eine realistische Überlebenschance haben. Schade ist in diesem Rahmen, dass nicht alle Österreicher bei der Wahl des ORF-Häuptlings und somit bei der Gestaltung der Zukunft ihres ORFs mitstimmen können. Die Konsequenz ist, dass sich, wie von Niko Alm kritisiert, nur ORFler für den Posten des Generaldirektors bewerben. Infolgedessen erweitert diese Tatsache nicht unbedingt die geistige Vielfallt des Medienapparates, der für manche jenseits des Einflusses der Politik ein Eigenleben entwickelt hat. Umso verwunderlicher, dass der jetzige ORF-Boss, Alexander Wrabetz, seine Führungsqualitäten als Manager, der sein Unternehmen sicher durch die Krise und über weit mehr als ein Jahrzehnt geführt hat, anpreist. Dies bei einem öffentlich-rechtlichen Medium, welches sich über gesicherte Einnahmen durch die Gebühren freuen darf.

Es ist ein österreichisches Phänomen sich als Leiter eines ganz oder teilweise in öffentlicher Hand befindlichen Unternehmens als erfolgreiche Führungsperson darzustellen. Leute aus der Privatwirtschaft schlagen hier wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammen. Eine besondere Qualifikation im staatsnahen Bereich dürfte ein Managementstil sein, der versucht, die “Aktionäre“ - in diesem Fall die politischen Entscheidungsträger - so gut wie möglich bei Laune zu halten und gleichzeitig möglichst wenige Interventionen beim Personal und deren Arbeit zu setzen, um dort nicht bestimmten Reibereien ausgesetzt zu sein. Man könnte diese Eigenschaft auch als soziale Intelligenz österreichischer Ausprägung bezeichnen. Der beschriebene Prozess ist lediglich bei der positiven Weiterentwicklung eines ökonomischen Organismus eher hinderlich.

Der ORF ist die Botschaft

Zweifelsfrei verfügte und verfügt der Österreichische Rundfunk, vertreten durch seine rund 3.000 Mitarbeiter, über ein immenses Human- und Sozialkapital, welches Österreich mit hochwertigsten Produktionen versorgt. In Zeiten von Falschinformationen ein hohes Gut. So gesehen ist, frei nach dem kanadischen Kommunikationswissenschafter Marshall McLuhan, der ORF durch seine gewachsene Marke bereits für sich alleine eine Botschaft. Diese gilt es aber zu sichern und zu veredeln und nicht durch einen aufgeblähten Apparat zu relativieren. Eine strukturelle Maßnahme wie der neue multimediale Newsroom, garantiert hier keine Qualitätssicherung auf personeller Ebene ohne politische Interventionen, sondern stellt vielleicht lediglich eine weitere potemkinsche Fassade dar. Bleibt zu hoffen, dass die neue oder alte ORF-Führung, egal aus welcher politischen Windrichtung sie stammen mag, im Auftrag der Gebührenzahler die richtigen Weichen für die Zukunft stellt. Sonst könnte es in nicht so ferner Zukunft heißen “An dieser Stelle müssen wir uns von unseren Zuschauern via 3Sat ein letztes Mal verabschieden“. (Daniel Witzeling, 29.7.2021)

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