Die Sexualpädagogik werde seit Jahren politisch ausgespart, klagt der Psychologe Wolfgang Kostenwein.

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Wie die "Kronen Zeitung" berichtete, soll eine Lehrerin ihre Schüler in einer Wiener Volksschule mit Mehrstufenprinzip im Sexualkundeunterricht im Mai verstört haben. Laut Bericht habe die Pädagogin "heftige Worte" verwendet und den Geschlechtsverkehr an einer Frauenpuppe veranschaulicht. Dabei sei den Mädchen erklärt worden, dass sie auch ihre Finger verwenden können. Der Unterricht richtete sich an Sechs- bis Zehnjährige.

Laut der Zeitung soll ein Bub der Lehrerin gesagt haben, dass er sich das nicht anhören wolle. Die Lehrerin habe aber darauf bestanden. Einige Kinder seien danach verstört und peinlich berührt gewesen. Der Bub wurde von der Schule genommen.

"Er war völlig überfordert"

"Wir haben unseren Sohn so noch nie erlebt, er war völlig überfordert", zitiert die "Krone" die Eltern des Buben. "Da soll er lieber die Schule wechseln. Denn die Folgen sehen wir bereits: Wenige Tage nach diesem verstörenden Unterricht ist ein Klassenkollege zu uns spielen gekommen. Der Bub spielte auch, wie schon viele Male davor, mit unserer zehn Jahre alten Tochter. Diesmal wollte er ihr plötzlich die Hose herunterziehen."

Die Eltern eines anderen Kindes erzählen, dass die Lehrerin erklärt habe, dass man Kondome benutzen könne, wenn man keine Babys machen wolle. "Mit dieser Information können die Kinder ja nichts anfangen, sie sind noch viel zu jung!"

Experte: Fall wahrlich keine Überraschung

Für Wolfgang Kostenwein ist der Fall wahrlich keine Überraschung. Lehrkräfte bekämen in ihrer Ausbildung kaum praxisnahe Inputs zur Sexualpädagogik, sagt der psychologische Leiter des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik. Das Hauptproblem sei, dass dieser Bereich seit Jahren politisch völlig ausgespart werde. Kurz sei das Thema vor geraumer Zeit nur aufgeflammt, als die fragwürdigen Praktiken des Vereins Teenstar öffentlich bekannt wurden.

Verschärfend komme laut Kostenwein hinzu, dass politisch gesehen zwar kompetente Sexualpädagogik eingefordert, die Finanzierung aber nicht bereitgestellt werde. Sexualpädagogik werde damit vorwiegend Lehrerinnen überantwortet. "Pädagoginnen werden dann mit einem Thema alleingelassen, das viel an Basiswissen braucht, um altersadäquat damit umgehen zu können", sagt Kostenwein. "Dann ist klar, dass so was rauskommt."

Falscher Fokus

Der Experte glaubt nicht, dass die Lehrerin im aktuellen Fall bösartig agiert habe. "Immerhin hat sie erkannt, dass es da im Unterricht etwas braucht", sagt Kostenwein. "Die Art und Weise war natürlich daneben." Sexualpädagogik in den ersten drei Schulstufen betreffe in erster Linie die pädagogische Förderung der körperlichen und emotionalen Wahrnehmung der Kinder sowie das Beantworten ihrer Fragen.

Erst ab der vierten Schulstufe mache es Sinn, explizit über das Thema Sexualität zu sprechen. Aber auch da gehe es in erster Linie darum, jene Themen anzusprechen, die für Kinder wichtig sind, und ihre Fragen zu beantworten. Nach wie vor werde aber nur darüber gesprochen, wie Erwachsene Sex haben. "Dass das Kinder irritiert, ist klar", sagt Kostenwein. Abgesehen davon finde der Unterricht nach wie vor nur im heterosexuellen Kontext beziehungsweise in jenem der Fortpflanzung statt. Um Letzteres gehe es im Bezug auf Sex aber selten, erklärt er.

Die Stadt Wien prüft nun den Fall der Volksschullehrerin. Solche Unterrichtsmethoden seien nicht in seinem Sinne, sagte das Büro des Wiener Bildungsstadtrats Christoph Wiederkehr (Neos) zur "Krone". (Jan Michael Marchart, 26.7.2021)