Das kann ins Auge gehen: Der Wahlkampf um die Führung von Österreichs weitaus größtem Medienkonzern ORF wird zwei Wochen vor der Bestellung schärfer.

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Peter Schöber, ORF 3: "Wir halten es für befremdlich, um nicht zu sagen rufschädigend, wie du dich über ORF-Marken äußerst."

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Kai Gniffke, SWR: "Manchmal wollen sie einen von ihrer Gnaden einsetzen, nur weil sie die Macht dazu haben."

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Das ist doch kein Wahlkampf, das ist die turnusmäßige Bestellung eines Vorstands eines großen Medienunternehmens! Das beteuern Mitglieder des ORF-Stiftungsrats, Medienpolitiker und Bewerber um diesen Vorstandsjob seit Monaten, vielleicht sogar mehr noch als die Kandidaten ihre Unabhängigkeit. Und doch wird das Klima auf den letzten Metern zur Wahl am 10. August spürbar hitziger.

Da tauschen ORF-Senderchefs unfreundliche Befunde über das Tun des jeweils anderen aus. Da kursieren – nicht zutreffende – Gerüchte über Beurlaubungen im ORF-Management und gar über den Beziehungsstatus von Kandidaten.

Senderchefs im Clinch

ORF-1-Senderchefin Lisa Totzauer und die Geschäftsführer von ORF 3, Peter Schöber und Eva Schindlauer, streiten öffentlich. Totzauer bewirbt sich wie bisher etwa der amtierende ORF-General Alexander Wrabetz und der als Favorit gehandelte Vizefinanzdirektor Roland Weißmann um den ORF-Generalsjob.

Im STANDARD-Interview über ihre Vorhaben als ORF-Generalin sagte Totzauer etwa, FM4 müsse jünger und breiter werden. ORF 3 habe zu viele Überschneidungen mit ORF 2 und möge sich auf seinen Auftrag als Kultur- und Infosender konzentrieren, statt Serien zu wiederholen. 2020 schon stritt man über Reprisen von Soko Kitzbühel auf ORF 3.

Montag reagierten die ORF-3-Manager Schöber und Schindlauer in einer internen Mail an Totzauer, die an eine Reihe von ORF-Führungskräften ging.

"Befremdlich, um nicht zu sagen rufschädigend" finden sie es, wie sich Totzauer in der Öffentlichkeit über beliebte und anerkannte ORF-Marken äußert. Und, eine Spitze zur Entwicklung der Marktanteile von ORF 1: "Vielleicht wäre es zielführender, deine eigene Leistungsbilanz als ORF-1-Chefin in den Vordergrund zu stellen, anstatt die erfolgreiche Arbeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus anderen Konzernbereichen zu kritisieren."

Auch die ORF-Nachrichtensendungen liefern einen Schauplatz für ORF-interne Auseinandersetzungen: Nach einer Reihe von Pannen hat ORF-General Alexander Wrabetz die Automatisierungssoftware James, seit 2019 für Nachrichtensendungen im Einsatz, aus dem Verkehr gezogen. Anlass war ein Störinsert statt der Zeit im Bild um 19.30 Uhr im Juni, die Hauptnachrichtensendung für ein Millionenpublikum begann Minuten verspätet.

Neuer Chef für James

Wrabetz schaltete nach STANDARD-Infos die externe ORF-Revision ein, um zu prüfen, wo das Problem mit James zwischen ORF-Technik, ORF-Information und ORF-Finanzdirektion liegt. James war insbesondere ein Sparprogramm für Personal in der Sendungsabwicklung. Ergebnis: James sei zu wenig vorbereitet gestartet, Schnittstellen mit alten ORF-Systemen funktionierten nicht.

ORF-General Wrabetz entzog die Zuständigkeit für James den damit befassten Direktionen für Technik und Finanzen und Programm und beauftragte seinen Universal-Troubleshooter Pius Strobl. Strobl leitet den Neubau des Newsrooms, der 2022 mit neuen Systemen – und James – starten soll.

Problematische Parteidominanz

Einen Newsroom baut derzeit auch der deutsche Südwestrundfunk SWR, beraten vom früheren ORF-Manager Stefan Ströbitzer. SWR-Intendant Kai Gniffke äußert sich im APA-Interview befremdet, dass beim ORF nun eine Partei – die ÖVP – allein den General bestimmt. "Das ist nicht mehr zeitgemäß, und ich erachte es als problematisch."

"Nur naiv" sei die Idee, mit dem General ändere sich die Berichterstattung, erklärt Gniffke: Die "äußerst professionelle" ORF-Information stehe dem entgegen. "Aber ich weiß, dass es in der Politik eine andere Denkweise gibt. Manchmal wollen sie jemanden von ihrer Gnaden einsetzen, nur weil sie die Macht dazu haben. Es ist – wenn es nicht so ernst wäre – wie ein Spiel: Wer setzt sich durch bei der Besetzung?" (Harald Fidler, 26.7.2021)