Beim Thema Straßenbauprojekte zu evaluieren gehen die Meinungen auseinander.
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PRO: Die Gretchenfrage stellen

Die Projekte, die aktuell vom Verkehrsministerium und der Asfinag evaluiert werden, sind komplex, füllen tausende Seiten und beschäftigen mehrere Experten. Zu welchem Ergebnis sie kommen – ob bei Lobautunnel oder S18 –, ist offen. Eines ist aber jetzt schon gewiss: Neue Straßen verteilen nicht nur den jetzigen Verkehr, sie sorgen für mehr davon. Für diese Rechnung braucht es weder Expertinnen noch Evaluierungen. Gerade deswegen ist es gut, dass die Projekte noch einmal unter die Lupe genommen werden.

Denn die Frage, die aus dieser Rechnung resultiert, muss doch lauten: Wollen wir in Zukunft mehr Autoverkehr? Welche Art von Verkehr wollen wir überhaupt?

Es stimmt, dass die Bodensee-Schnellstraße (S18) hinlänglich geprüft wurde. Dabei ging es – zumindest in den vergangenen zehn Jahren – aber darum, welche von zwei Trassenführungen, die beide durch ökologisch sensibles Gebiet oder sogar durch Naturschutzzonen führen würden, die bessere ist. Die Gretchenfrage – ob es nicht eine andere Lösung braucht und wie eine solche aussehen könnte – geriet irgendwann in den Hintergrund.

Sich bei Projekten wie diesem – Baustart noch nicht einmal fixiert, Fertigstellung frühestens in 20 Jahren und Kosten von mehr als 1,5 Milliarden – noch einmal genau anzusehen, ob es auch anders gehen kann, ist nicht nur vernünftig, sondern verantwortungsvoll. (Lara Hagen, 26.7.2021)

KONTRA: Das Auto als soziale Frage

Auch das beste öffentliche Verkehrsnetz wird das Auto in den kommenden Jahrzehnten nicht vollständig ersetzen, zumindest nicht im ländlichen Raum. In den einzelnen kleinen Gemeinden gibt es immer seltener einen Supermarkt, ein Freibad oder ein Wirtshaus; von Jobs ganz zu schweigen. Zur Teilnahme am sozialen und wirtschaftlichen Leben ist es daher nötig, zumindest in die nächste größere Stadt zu fahren. Dieser Trend wird sich nicht umkehren lassen, vor allem nicht kurzfristig.

Mobilität ist in diesem Fall gleichbedeutend mit Lebensqualität. Diese Mobilität muss auch ermöglicht werden, und dazu braucht es gut ausgebaute Straßen. Die angeordnete "Evaluierung" aller großen Asfinag-Projekte durch Umweltministerin Leonore Gewessler sorgt daher in den einzelnen Bundesländern zu Recht für Irritationen; viele Bauvorhaben haben ohnehin schon lange Verzögerungen erlebt.

Sinnvoller wäre es, an den vielen anderen Schrauben zu drehen: Es braucht schnelles Internet auf dem Land, um dort Homeoffice zu ermöglichen. Es braucht Unterstützung für kleine Dienstleister und Händler im Ort, um ein attraktives hyperlokales Angebot zu schaffen. In einem nächsten Schritt muss das Öffi-Netz radikal ausgebaut werden. Erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann man anfangen, den Autoverkehr und dessen Infrastruktur so infrage zu stellen. (Fabian Schmid, 26.7.2021)