Frauenboxen gibt es bei den Olympischen Spielen erst seit 2012. Es war die letzte Tür, die Frauen unter den fünf Ringen eintreten mussten.

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Frauen dürfen den Sumo-Kampfring traditionell nicht betreten, ein No-Go für olympische Ehren.

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Nur ein Sport darf eingleisig fahren: Im Synchronschwimmen sind Männer noch unerwünscht.

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Pierre de Coubertin wäre womöglich die Zornesröte ins Gesicht gestiegen, hätte er Anna Kiesenhofer am Sonntag über die Ziellinie rollen sehen. Nicht nur, weil der Herr Baron als Träger des Ordens von Oranien-Nassau gewiss der zweitplatzierten Niederländerin Annemiek van Vleuten nähergestanden wäre; nein, Frauen wollte der Begründer der neuzeitlichen Olympischen Spiele bei seiner Erfindung prinzipiell nicht sporteln sehen.

De Coubertin nahm sich den antiken Vorgänger als Vorbild und beschrieb Olympia als eine "zeremonielle Feier männlichen Athletentums". Schummelten sich verheiratete Frauen im alten Griechenland auch nur ins Publikum, drohte ihnen die Todesstrafe.

Solcherlei Maßnahmen forderte der Franzose für die ersten Spiele 1896 freilich nicht. Seine olympische Vision beschied den Damen der gehobenen Schicht Auftritte als Beifallspenderinnen und Kranzüberreicherinnen: "Die Frau ist eine Gefährtin des Mannes. Ihre Hauptaufgabe sollte darin bestehen, die Sieger zu krönen."

Stamata Revithi war mit dem olympischen Sexismus nicht einverstanden. Die Griechin lief den Marathon am Tag nach dem offiziellen Bewerb – und wurde für die Schlussrunde nicht ins Panathinaiko-Stadion gelassen. Sie lief außen fertig. Ob es Revithi war, die von den Offiziellen nach der griechischen Muse der Tragödie "Melpomene" getauft wurde, oder ob noch eine zweite Frau den Marathon lief, darüber streiten die Historiker.

Widerstände

Es brauchte jedenfalls noch viele Revithis oder Melpomenes, um Zielankünfte wie jene von Kiesenhofer oder aber auch von Kate Allen 2004 zu ermöglichen. Die führenden Olympier haben sich jeden Bewerb mühsam von progressiveren nationalen und internationalen Verbänden abringen lassen.

1900 gab es für Frauen eigene Tennis- und Golfbewerbe, im Segeln und Krocket durften sie bei den Männern mitmachen. Statt einer Medaille bekam die Golfsiegerin Margaret Abbott eine goldverzierte Porzellanschüssel. Bis zum Ersten Weltkrieg folgten Bogenschießen, Turnen, Eiskunstlauf, Schwimmen und Turmspringen.

Das langsame Tempo missfiel der Französin Alice Milliat, in einem Brief an das Internationale Olympische Komitee (IOC) forderte sie 1919 Gleichberechtigung bei den Spielen 1920 in Antwerpen. Der Männerklub IOC ließ sich weder von Milliats Forderungen noch der sukzessiven Etablierung des Frauenwahlrechts beeindrucken und lehnte ab. Milliat antwortete mit der Gründung eines Frauensportverbands, der 1921 sogar Frauenweltspiele abhielt. Das IOC verbot den Pionierinnen zwar die Verwendung des Begriffs "Olympiade", sah sich aber zu weiteren Öffnungen genötigt.

Fortschritte

Nach und nach kamen neue Sportarten und Disziplinen dazu, allen voran die Leichtathletik – von völliger Gleichberechtigung und Respekt seitens der IOC-Granden konnte aber noch keine Rede sein. Der spätere IOC-Präsident Avery Brundage verwies im Clinch mit der Sportlerin Babe Didrikson 1933 auf die alten Griechen: "Ich bin nicht sicher, aber sie hatten wohl recht."

Trotz Figuren wie Brundage eroberten Frauen ihr Startrecht bei immer mehr Sportarten, 2012 in London kippte mit Boxen die letzte Männerdomäne. Vor allem bezüglich der konkreten Bewerbe waren es aber immer noch einige Schritte zur Gleichberechtigung.

Die wichtigste olympische Verschubmasse sind, no na, Medaillen. Waren früher noch wesentlich mehr Bewerbe Männern vorbehalten, sorgten die diversen Weltverbände mit Segen des IOC in der allerjüngsten Vergangenheit für Ausgleich. Dabei half auch die Entdeckung der Mixed-Bewerbe. Männer-Entscheidungen kassierten die Axt, stattdessen spielen, laufen, segeln, schwimmen und reiten die Geschlechter nun in elf Sportarten und 18 Bewerben gemeinsam.

Schönheitsfehler

Der letzte Schönheitsfehler ist das IOC selbst: Als Vize stehen Präsident Thomas Bach drei Männer und eine Frau zur Seite, im 15-köpfigen Exekutivkomitee gibt es fünf Frauen. Aber, und das ist bei Olympischen Spielen die wichtigste Zahl: Sportlerinnen machen 2021 48,8 Prozent der Aktiven aus.

Noch ein Blick in die Vergangenheit. "Eine Olympiade mit Frauen wäre unpraktisch, uninteressant, unästhetisch und ungebührlich", sagte Pierre de Coubertin 1896. Es war nicht sein einziger Irrtum, aber gewiss einer seiner größten. (Martin Schauhuber, 27.7.2021)