Gernot Blümel wirkt deutlich erholter als bei seiner U-Ausschuss-Befragung Ende Juni, als er den STANDARD im Finanzministerium empfängt. Zu tun gibt es genug; privat steht dem Minister ein zweites Kind ins Haus. Wie es heißen wird, weiß er aber noch nicht.

STANDARD: Die Wirtschaft wächst wieder flott, die Infektionszahlen auch. Wie zuversichtlich sind Sie, dass wir den Herbst ohne weitere wirtschaftliche Dellen überstehen?

Blümel: Ich bin Optimist: Es hat immer geheißen, dass die Impfung die wesentliche Weichenstellung sein wird. Ich hoffe, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen.

STANDARD: Es gibt auch aus der Gastronomie immer mehr Rufe nach einer Impfpflicht.

Blümel: Faktum ist: Die Impfungen wirken. Ich ließ mich impfen, meine hochschwangere Frau wurde geimpft. Was die Gründe bei den Skeptikern sind, kann ich nur erraten. Ich kann es nur jedem empfehlen, weil es auch zu einer Normalisierung des Alltags und der Wirtschaft beiträgt.

"Es ist uns extrem wichtig, direkt ansprechbar zu sein für Anliegen aus der Wirtschaft", sagt Gernot Blümel, um anzufügen: Das infrage zu stellen wäre bis zu einem gewissen Grad auch, Demokratie infrage zu stellen."
Heribert Corn

STANDARD: Mit Blick auf die Corona-Politik der FPÖ: Sind Sie froh, nicht mehr in der türkis-blauen Koalition zu sein?

Blümel: Wir haben in der türkis-blauen Regierung viel umgesetzt, was davor lange diskutiert wurde, haben erstmals seit Jahren einen Überschuss im Bund erzielt. Jetzt haben wir mit den Grünen gute Arbeit geleistet; ich würde bei beiden das Positive herausstreichen und nicht die unterschiedlichen Regierungen gegenüberstellen.

STANDARD: Was denken Sie, wenn Sie hören, wie FPÖ-Politiker die Impfskepsis befeuern?

Blümel: Bei jeder Partei gibt es unterschiedliche Zugänge und Meinungen; zum Glück gibt es in Österreich keine Einheitspartei. Ich nehme auch andere Stimmungen bei den Freiheitlichen wahr.

STANDARD: Mit der rascheren Erholung sollten die Steuer wieder sprudeln. Wann kann man wieder über ein Nulldefizit reden?

Blümel: Einen ausgeglichenen Haushalt sehe ich in den nächsten Jahren noch nicht unmittelbar. Ziel ist, dass wir sukzessive mit der Verschuldung nach unten kommen.

STANDARD: Laut Wifo haben die teuren Hilfen Pleitewellen und Massenarbeitslosigkeit verhindert. Laut Opposition waren sie aber zu intransparent. Was entgegnen Sie dem?

Blümel: Wir haben die Cofag so aufgesetzt, dass alle im Parlament vertretenen Parteien und die Sozialpartner jeden einzelnen Geschäftsfall einsehen können. Wenn die Opposition davon nicht Gebrauch macht und Intransparenz kritisiert, muss jeder für sich bewerten, wie ernst die Kritik zu nehmen ist. Ich kenne keine Wirtschaftsförderung, die so transparent gestaltet ist.

Viel Licht im Finanzministerium in Wien. Das sieht Blümel auch bei den Hilfen, angesprochen auf die anhaltende Kritik an der Cofag.
Heribert Corn

STANDARD: Es wurden auch Branchen gefördert, die gar nicht in der Krise waren. Hätte man da genauer hinschauen müssen?

Blümel: Die, die anfangs gesagt haben, es ist zu bürokratisch und zu langsam, sagen im Nachhinein, es war zu schnell und zu viel. Eine Wirtschaftskrise bringt es auch mit sich, dass im Verlauf die Maßnahmen immer besser werden.

STANDARD: Ein Kritikpunkt des Wifo ist, dass Hilfsgelder an Pleitekandidaten gingen. Wurde so gesunder Strukturwandel verhindert?

Blümel: Bei allen Hilfen war Grundbedingung, dass es Unternehmen sein müssen, die vor dem 31. 12. 2019 funktionierende Geschäftsmodelle hatten. Insofern gilt diese Aussage in dieser Pauschalität sicher nicht. Wir wollen jetzt aus den Hilfen schrittweise aussteigen, weil das die Wachstumszahlen auch möglich machen. Ich hoffe, dass wir mit den Hilfen, die wir laufend adaptiert und manche verlängert haben, das Auslangen finden.

STANDARD: Von der Cofag wurden rund 7,4 Milliarden Euro an Hilfen ausgeschüttet. Diese sollten im Nachhinein geprüft werden – ab wann?

Blümel: Das passiert bereits laufend – nicht nur bei Jahresabschlüssen der Unternehmen, sondern auch bei Hinweisen, dass es zu Missbrauch gekommen sein könnte. Wir wollen den Unternehmen auch die Möglichkeit geben, straffrei selbst anzumelden, wenn sie zu viel erhalten haben.

STANDARD: Wie lange haben die Unternehmen dafür Zeit und mit welchem Betrag rechnen Sie?

Blümel: Die Antragsmöglichkeit über die Webseite der Cofag läuft bis Ende des Jahres, eine Summe ist seriös nicht prognostizierbar.

STANDARD: In der Corona-Pandemie haben wir erlebt, wie stark der Staat plötzlich eingreifen kann. Was sagen Sie jungen Menschen, die beim Klimaschutz ebenso harte Maßnahmen fordern?

Mit den Grünen funktioniere die inhaltliche Zusammenarbeit sehr gut, beteuert Blümel.
Heribert Corn

Blümel: In den nächsten Monaten und Jahren wird sehr, sehr viel weitergebracht werden. Ich bin froh, dass wir mit den Grünen endlich ein seit 30 Jahren existierendes Konzept der ÖVP umsetzen können, nämlich die ökosoziale Marktwirtschaft.

STANDARD: Zuletzt lieferten sich ÖVP und Grüne da scharfe Wortgefechte. Ein schlechtes Vorzeichen für die ökosoziale Steuerreform?

Blümel: Die Interpretation einzelner Aussagen überlasse ich gerne Ihnen. Von meiner Seite aus funktioniert die inhaltliche Zusammenarbeit mit den Grünen sehr gut. Wir haben einen klaren Bauplan für die ökosoziale Steuerreform: Die Marktwirtschaft erwirtschaftet Gewinne, die in den sozialen Ausgleich und die Nachhaltigkeit umverteilt werden. Grundvoraussetzung ist, dass die Marktwirtschaft Gewinn erwirtschaften kann.

STANDARD: Man hört derzeit von Wünschen der Wirtschaft wie Senkung der Körperschaftssteuer. Wird der Mittelstand leer ausgehen?

Blümel: Der arbeitende Mittelstand wird am Ende des Tages mehr haben als vor der Steuerreform. Wir wollen die Steuer- und Abgabenlast senken und mit ökologischer Umsteuerung die Nachhaltigkeit hineinbringen.

STANDARD: Wer zahlt die Klimawende? Gerade bei der CO2-Bepreisung gibt es Spielraum, zwischen 25 und 60 Euro. Was stellen Sie sich vor?

Blümel: Das wird Frage der Verhandlungen sein, deren Ergebnis ich nicht vorgreifen will.

STANDARD: Durchaus belastend für das Koalitionsklima war die Exekution einer Aktenlieferung an den U-Ausschuss durch den Bundespräsidenten. Der meinte, er verstehe nicht, warum Sie so "zögerlich" geliefert hätten. Warum also?

Blümel: Es ist evident, dass es unterschiedliche rechtliche Bewertungen gegeben hat. Auch der Bundespräsident hat festgestellt, dass wir hier Neuland betreten haben. Deshalb sehe ich das eigentlich als deckungsgleiche Meinungen: Es gab Unklarheiten, die sind beseitigt worden.

Blümels Socken dieses Mal nicht rein türkis. Einen Reim muss man sich darauf wohl nicht machen.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Die SPÖ behauptet ja, sie hat schon hunderte …

Blümel: Tausende!

STANDARD: … tausende neue E-Mails entdeckt. Wäre dem so, welche Konsequenzen hätte das?

Blümel: Als Arbeitgeber konnte ich nicht anders handeln, ein beauftragtes Gericht hat hier andere Möglichkeiten als der Dienstgeber. Es gibt keine einheitliche Vorgehensweise in den Ministerien. Das ist für mich einer der Lerneffekte daraus: Ich will versuchen, einen einheitlichen Prozess in allen Ressorts mitanzustoßen.

STANDARD: Wenn man neue E-Mails entdeckt, gibt es dann eine interne Prüfung?

Blümel: Wir haben schon bisher jeden angeblichen Fall überprüft, auch um herauszufinden, ob man es anders machen hätte können. Faktum ist, dass sich alles, was bislang an uns herangetragen wurde, nach langen Recherchen im Haus als geliefert – teilweise sogar mehrfacht – entpuppt hat.

STANDARD: Sie wurden durch ein SMS des damaligen Novomatic-Chefs zum Beschuldigten. Ist es nicht unfair, dass Unternehmer Sie anchatten können, während sich Bürgerinitiativen schwertun, zum Minister vorzudringen?

Blümel: Ich gehe davon aus, dass der Kulturminister in seinem Bereich auch direkten Kontakt mit betroffenen Branchen hat. Ich sehe es als meine Aufgabe, ansprechbar zu sein; etwa bei Veranstaltungen. Manche Leute kennt man besser, manche schlechter; das liegt in der Natur der Sache. Es ist uns extrem wichtig, direkt ansprechbar zu sein für Anliegen aus dem Bereich der Wirtschaft. Das infrage zu stellen wäre bis zu einem gewissen Grad auch, Demokratie infrage zu stellen.

STANDARD: Sie sind der Überzeugung, dass unterschiedliche Stakeholder dieselbe Chance haben, zu Ihnen oder zur ÖVP vorzudringen?

Blümel: Hundertprozentig. Es gibt 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Finanzverwaltung. Dass nicht jedes Anliegen an den Minister herangetragen wird, ist, glaube ich, auch nachvollziehbar.

STANDARD: Wie erleben Sie die Arbeit der WKStA? War die Kritik durch Ihre Parteifreunde ein Fehler?

Blümel: Ich erlebe sie als eine professionelle. In einem Rechtsstaat muss es allerdings auch möglich sein, Kritik zu äußern und seine Meinung zu artikulieren. (Fabian Schmid, Regina Bruckner, 26.7.2021)