Symbolbild eines Polizeieinsatzes bei einem Wohnhaus.

Foto: APA/Punz

"Wir haben Angst", sagt Frau T.* gleich in den ersten Minuten eines Polizeieinsatzes, der im Juni in Wien stattfand. Die trockene Antwort des Polizisten: "Ja, wir haben alle Angst." Die Situation schaukelt sich weiter auf: "Wenn Sie einen Beziehungsstreit haben, warum sind wir dann hier?", fragt ein Polizist. "Das ist nicht nur Streiten", sagt Frau T. Wenig später wird der Polizist ungeduldig: "Schauen Sie, wenn Sie Streit haben, ist mir das prinzipiell egal, solange er Sie nicht schlägt (...) oder Sie ihn schlagen. (...). Was stellen Sie sich vor, was wir machen sollen, sollen wir ihn rauswerfen?" Frau T.: "Ja, bitte, wir haben Angst."

Was war zuvor passiert? Frau T. und ihr Mann sind gerade mitten in der Scheidung. Weil er ihren Angaben zufolge immer wieder aggressiv ist, laut wird und täglich trinkt, nimmt sie ihm am Tag des Einsatzes die Wohnungsschlüssel weg. Er ruft daraufhin die Polizei. Ein Tonmitschnitt läuft, weil eine Freundin von Frau T. – die diese zur Hilfe geholt hat – eigentlich das Verhalten des Mannes dokumentieren will.

Die Audiodatei liegt dem STANDARD vor, auch "Heute" berichtete über den Vorfall. Es zeigt, wie ein Einsatz – zumindest verbal – eskaliert. Was dem STANDARD ebenfalls vorliegt: eine Strafverfügung gegen Frau T. Sie erfolgte nach dem Einsatz, weil sie die Polizeibeamten angeschrien und den öffentlichen Anstand verletzt haben soll.

"Ich werde auch laut mit Ihnen"

T. ist, so klingt das in der Tonaufnahme, aufgebracht, sie spricht laut und zum Teil in gebrochenem Deutsch – an einer Stelle gibt T. zu verstehen, dass ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichen, um alle Vorfälle gut zu beschreiben. Die Beamten sind mindestens ebenso laut. "Wenn ich rede, haben Sie Pause", schreit da etwa einer, und auf T.s Frage, warum sie ihrem Mann den Schlüssel zurückgeben sollte: "Weil er auch Hauptmieter ist und das Recht hat, hier zu wohnen. Lassen Sie mich jetzt ausreden, und geben Sie ihm den Schlüssel", schreit der Beamte. Später dann sagt einer: "Wenn Sie mit Ihrem Mann auch so reden, wundert es mich nicht, dass er irgendwann zum Schreien anfängt, ich werde auch laut mit Ihnen."

Zu körperlichen Angriffen sei es an dem Tag nicht gekommen, laut der Sachverhaltsdarstellung von T.s Anwältin soll ihr Mann aber schon vor dem Einsatz gegenüber der Freundin mit der flachen Hand zum Schlag ausgeholt und gesagt haben: "Wenn du dich nicht sofort verpisst, wird dir gleich der Kopf von den Schultern fallen." Zitat eines Polizisten aus dem Tonmitschnitt: "Mal fuchteln in einer Streitsituation ist nichts Schlimmes."

Unmittelbare Konsequenzen

"Natürlich" hätte die Polizei ein Betretungsverbot gegenüber dem Mann aussprechen müssen, sagt T.s Anwältin Aleksandra Fux. Die Polizei kann in solchen Situationen einschreiten, sofern sie Gefahr erkennt. Denn die Exekutive kann einen Gefährder aus der Wohnung verweisen und ein Betretungsverbot verhängen. Das gilt auch dann, wenn es sich um eine gemeinsame Wohnung handelt.

Voraussetzung ist, dass die Polizei zu der Einschätzung kommt, dass ein "gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit" bevorsteht – zum Beispiel, nachdem sie getrennte Gespräche mit beiden Seiten geführt hat. Frau T. gibt im Gespräch mit dem STANDARD an, ihr Mann habe ihr letztes Jahr fest auf den Hals gedrückt, außerdem habe er mehrmals gedroht, sie umzubringen. Die Polizei habe sie aus Angst vor ihrem Mann aber nicht gerufen.

Ein zuvor bereits erfolgter gefährlicher Angriff ist keine zwingende Voraussetzung. In diesem Fall äußerte T. mehrmals, dass sie Angst habe. Auch die Tonaufnahme, auf der die vorangegangene Drohung zu hören war, habe T. den Beamten angeboten, sagt Fux.

12.000 Betretungsverbote

Spricht die Polizei ein Betretungsverbot aus, darf sich der potenzielle Gefährder der Wohnung im Umkreis von 100 Metern nicht mehr nähern. Ein Annäherungsverbot ermöglicht den gleichen Schutz für die Person, unabhängig vom Aufenthaltsort. Dem potenziellen Gewalttäter wird der Schlüssel abgenommen, egal ob es sich um seine eigene Wohnung handelt oder nicht. Das Verbot bleibt zwei Wochen aufrecht. Anschließend gibt es die Möglichkeit, vor Gericht eine einstweilige Verfügung, also eine Verlängerung, zu erhalten. Knapp 12.000 solcher Betretungs- und Annäherungsverbote wurden im vergangenen Jahr österreichweit ausgesprochen.

Gewaltschutzexpertinnen weisen immer wieder darauf hin, dass schwere Gewalttaten oft in der Trennungszeit passieren. "Es ist die gefährlichste Zeit für Frauen", sagte Rosa Logar, Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt, in einem STANDARD-Interview. Eine Form "extremen Besitzdenkens" werde hier schlagend.

200 Euro Strafe, Anzeige wegen Amtsmissbrauch

Wenige Wochen später bekam T. jedenfalls Post von der Polizei: 200 Euro soll sie zahlen, weil sie erstens "ungebührlicherweise störenden Lärm erregt" habe, indem sie Beamte angeschrien hatte, und zweitens, weil sie gesagt haben soll, sie habe nicht geglaubt, "dass in Österreich so blöde und inkompetente Polizisten herumlaufen". Auf dem vorliegenden Tonband ist das nicht zu hören.

Fux, die Frau T. eigentlich im Scheidungsverfahren vertritt, reichte also Einspruch gegen die Strafverfügung ein und darüber hinaus eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs, Verleumdung und Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen einen der Polizeibeamten. "Das soll keiner einzigen Frau mehr passieren", sagt Fux: "Da ist sie so schon so gestraft durch das Zusammenleben mit dem aggressiven Mann, dann wird sie von der Polizei noch so niedergeputzt, und dann bekommt sie auch noch eine Strafe."

Vorfall wird überprüft

Der Vorfall wird bereits überprüft, heißt es seitens der Landespolizeidirektion Wien. Weitere Kommentare – etwa ob dem Beamten auch dienstrechtliche Konsequenzen drohen – gibt es seitens der Behörde mit dem Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht. Die in Aussicht gestellte Anzeige wegen Amtsmissbrauchs sei bei der LPD noch nicht eingegangen.

"Ich habe gedacht, Österreich ist das richtige Land für eine Frau mit Kindern", sagt T. gegen Ende des Einsatzes. Die Antwort des Polizisten: "Schauen Sie, ich hab schon Frauen mit Kindern eingesperrt, weil sie nicht aufgehört haben zu reden."

Parlamentarische Anfrage

Die Grünen kündigten eine parlamentarische Anfrage zum Vorfall an. Die stellvertretende Klubobfrau und Frauensprecherin Meri Disoski will von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) etwa wissen, ob die Beamten vor Ort eine Gefährdungsanalyse durchgeführt haben und wieso nicht weitere Maßnahmen zur Prävention ergriffen worden seien. Die involvierten Beamten hätten "ihr mangelhaftes Wissen über Gewaltdynamiken" bei dem Einsatz offenbart und die "Gefährlichkeit von Trennungssituationen nicht erkannt." (Vanessa Gaigg, Gabriele Scherndl, 27.7.2021)