Regelmäßig sind Kindergärten und Schulen in den Morgentau-Gärten auf Besuch, um den Kindern den Gemüseanbau näher zu bringen.

Foto: Morgentau

Sie durfte länger wachsen als die meisten ihrer Artgenossen. Dafür hat sie sich während ihrer Zeit unter der Erde ordentlich krumm gemacht und streckt jetzt ihre verrunzelte, blassorange Karottenhaut in die Sonne, während sie in der Hand ihres Gärtners am Grün baumelt.

Sie ist eine von zwölf Karotten der alten Sorte Milan, die in diesem Stückchen Privatgarten wachsen durfte. In der Größe und Farbe ist sie ihren Kolleginnen im Supermarkt weit unterlegen. Dafür nimmt sie es geschmacklich mit einer ganzen Horde aus dem Regal auf. Mit intensivem Karottengeschmack, unverfälscht und süßlich, kein bisschen bitter, wie man es von manchen Supermarkterfahrungen kennt, punktet diese Milan am Gaumen. Knackiger Biss und saftige Süße in konzentrierter, wenn auch krummer Form.

Optik ist nicht alles

Dass sie nach mehr schmeckt, auch wenn sie den Karotten-Schönheitspreissicher nicht gewinnt, überrascht Robert Brodnjak nicht im Geringsten. Der Quereinsteiger, der inzwischen in der kleinen Ortschaft Großmugl im Weinviertel an die 400 verschiedene Gemüsesortenzüchtet, steht für Sortenvielfalt und Geschmack. Und für biologisches Arbeiten. Sogar seines Traktors hat er sich vor einiger Zeit entledigt, um den Boden händisch zu bewirtschaften.

Optik und Geschmack von Gemüse gehen sehr oft nicht Hand in Hand
Foto: Morgentau

Brodnjak: "Biologisch zu arbeiten hat etwas mit Philosophie zu tunund fängt beim Boden schon an. Regelmäßig verkoste ich meine Gemüsesorten mit Top-Köchen. Sie kaufen bei mir, weil sie das Geschmacksintensiveschätzen." Mit der Karottensorte Milan hat Brodjnak gemeinsam mit Köchen und anderen Gärtnern ein Terroir-Experimentgestartet (DER STANDARD berichtete).

Dabei stellten sie sich beim gleichzeitigen Ansäen der Sorte an fünf Standorten, dem zeitgleichen Ernten und gemeinsamen Verkosten die Frage, wie sich der Boden auf den Geschmack auswirkt. Es zeigte sich: sehr.

Ob ein Pflänzchen mit Mineraldünger großgezogen wird und überhaupt welchem Saatgut es entwächst (denn Milan ist als alte Sorte aktuell nicht im Supermarkt vertreten),das ist natürlich auch im privaten Garten schlagend.

Ganz abgesehen von der Gewissensfrage, die für Brodnjak sogar noch vor dem Geschmack steht: "Jedes mit Biopflänzche nbebaute Stück Land oder auch Balkonkisterl ist ein gewonnenes Fleckchen", sagt Christian Stadler.

Christian Stadler startete 2015 mit den anmietbaren Parzellen von Morgentau
Foto: Morgentau/Pürstinger

Er ist der Initiator der Morgentaugärten in Oberösterreich und der Steiermark und zudem Pionier, was Biogemüseanbau betrifft.

Eine Parzelle Bioland

Mit seinen Morgentaugärten richtet sich Stadler meist an Menschen,die zwar gerne garteln, aber keinen eigenen Garten besitzen. Auf zwölf Hektar Fläche an 13 Standorten vergebener und sein Team jährlich 700 Parzellen. Diese sind zwischen 20und 60 Quadratmeter groß. Darauf darf dann, wenn gewünscht unter professioneller Beratung, gepflanzt werden, was gefällt. Mit einer Ausnahme: Nur Biopflänzchen dürfen in die Erde. Für Stadler ist das wie für Brodnjak in erster Linie eine Frage der Denkhaltung. Saatgut sei Allgemeingut. Da hätte ein Firmenstempel auf der Packung, die das Patent für die Züchtung hält, nun einmal nichts verloren.

Wobei er einräumt, dass es auch in den Morgentaugärten noch in etwa eine Dekade dauern werde, bis keine Hybridpflanzen mehr gesät würden. Bis dahin sollten es wenigstens Pflanzen in Bioqualität sein. "Wir müssen Wissen um alte Sorten und darum, was sie von uns Hobbygärtnern brauchen, erst wieder lukrieren", so Stadler. Zudem sei das Bild der perfekten Tomate und der idealen Karotte aus konventionellen Samentief in uns verwurzelt. Stadler: "Wenn ich es mit uns Menschen vergleiche, ist es so, als würde es nur zählen, wie wir als Baby aussehen." Es interessiert nicht, ob aus dem Baby, das für glatte Haut und strahlenden Teint mit allerhand Mittelchen aufgepäppelt wird, jemals ein gesunder Erwachsener wird. Auch nicht, ob er sich gut vermehrt. Daher kommt dem Züchtungsprozess bei Biogemüse auch eine besondere Bedeutung zu", meint Stadler.


Alles Bio am Balkon?

Eigens Gegarteltes kommt selten unter den mit konventionellen Spritzmitteln gefüllten Traktor. Daher ist es doch einerlei ob auf dem Privatbalkon Bioerdbeeren oder andere sprießen, nicht?

Frage der Einstellung: Viele der Menschen, die Lebensmittel in Bioqualität einkauften, würden auch gerne biogarteln, sagt Christian Stadler von den Morgentaugärten. Dass in diesen anzumietenden Parzellen in Oberösterreich und der Steiermark also nur Biopflänzchen eingegraben werden dürften, sei das Ergebnis des unternehmenseigenen Wunschs, die Thematik so zu handhaben, und der Nachfrage danach.

Frage des Saatguts: Gemüseproduzent Wolfgang Brodnjak aus dem Weinviertel gibt zu bedenken, dass auch das jüngste Pflänzchen oder Samen aus konventioneller Zucht bereits in Kontakt mit Düngemitteln gekommen seien, die er für seine Felder ausschließe.

Frage des Geschmacks: Alte Sorten schmecken oft nach mehr, sind aber auch in der Kultivierung arbeitsintensiver. Daher ist gute Beratung für den Ernteerfolg wichtig. Diese gibt beispielsweise der Verein Arche Noah, der sich für den Erhalt und die Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt einsetzt und auch Biosaatgut und -pflanzen verkauft. (Nina Wessely, 31.7.2021)