Wer bei jeder Erwähnung von Ufos oder UAPs das Gespräch gleich auf Aliens oder außerirdische Raumschiffe lenkt, tut der Diskussion nichts Gutes. Im Gegenteil, durch diese Reduzierung auf einen bestimmten Aspekt wird jede Form von Sichtung von vornherein ins Unernste gezogen, in den Bereich des Glaubenskriegs und der unbewiesenen Theorien.

Vielmehr geht es in der aktuellen Wissenschaft, Forschung und Politik darum herauszufinden, worum es sich bei den bislang unerklärlichen Phänomenen handelt. Genau davon handelt auch der Pentagon-Bericht vom Juni 2021. Das hinderte aber niemanden daran, gleich nach der Veröffentlichung darin nach Hinweisen auf Außerirdische – pro und contra – zu suchen. Boulevardpresse wie seriöse Medien präsentierten den Bericht fast einhellig mit der Schlagzeile „Pentagon-Bericht findet keine Hinweise auf Außerirdische“ und/oder „Pentagon-Bericht schließt Außerirdische nicht aus“. Beides ist wahr, geht aber an der Sache größtenteils vorbei.

Um zu verstehen, was der Bericht tatsächlich ist und was darin auch wirklich steht, sollte man zwei Dinge vorab betrachten: zum einen seine Entstehungsgeschichte zum anderen seine Aufgabenstellung und Durchführung.

Zum ersten Bereich, hier eine Timeline der Beschäftigung der US-Regierung mit dem Thema Ufos und Co in den letzten Jahrzehnten.

50 Jahre Ufo-Forschung der US-Regierung

1969: Das sogenannte „Project Blue Book“ endet. Seit 1952 hat es im Auftrag der US-Regierung Ufos und ähnliche Phänomene untersucht. Verkündetes Ergebnis: man hat nicht wirklich irgendetwas gefunden.

1970-2006: Offiziell streitet die US-Regierung und die Militärorganisationen sowie Geheimdienste ab, sich weiter um das Phänomen zu kümmern. Inzwischen weiß man, dass das nicht stimmt und es zahlreiche weitere Forschungen innerhalb der einzelnen Agenturen und teilweise auch koordiniert gegeben hat.

2007-2016: Auf das hauptsächliche Betreiben des demokratischen Senatsführers Harry Reid (mit Unterstützung demokratischer und republikanischer Senatoren) wird das geheime „Advanced Aerospace Threat Identification Program“ (AATIP) ins Leben gerufen. Mehrere hundert Fälle, hauptsächlich aktuelle, nur wenige historische werden untersucht.

2017: Die "New York Times" bringt einen Artikel, in dem sie die Existenz des AATIP enthüllt und drei Videos online stellt, welche von der US-Navy stammen und unidentifizierte Flugobjekte zeigen. Der Artikel entstand in enger Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Geheimdienstagenten und Spezialisten für Gegenspionage Luis Elizondo, der AATIP zuletzt geleitet hatte, sowie dem langjährigen hochrangigen Geheimdienstmitarbeiter im Innenministerium Christoper Mellon. Kurz darauf gibt das Pentagon zu, dass es AATIP gegeben hat, aber 2012 endete.

2019: Das Pentagon erklärt die drei offizielle Videos für authentisch. Etwas Ähnliches wurde von keiner Institution der US-Regierung jemals bekannt- oder zugegeben.

2020: Das Pentagon bestätigt, dass AATIP auch nach 2012 weiterging. Ende des Jahres wird der "Consolidated Appropriations Act" vom US-Parlament, beschlossen. Darin befindet sich auch eine Aufforderung an das Pentagon sowie alle Geheimdienste und militärische Einrichtungen alles, was sie über das Ufo-Phänomen wissen, innerhalb von 180 Tagen in einem geheimen, aber auch in einem öffentlichen Bericht an das Parlament zu melden. Dafür wird die UAPTF (Unidentified Aerial Phenomenon Task Force) ins Leben gerufen.

2021: Gegen Ende der Frist, am 25. Juni 2021, erscheint der öffentliche Bericht „Preliminary Assessment: Unidentified Aerial Phenomena“.

Anmerkungen:
Dass der Report und alle damit befassten Stellen seit einigen Jahren von UAP (unidentified aerial phenomenon, unidentifizierten Luftphänomenen) statt wie bisher von Ufo (unidentified flying object, unidentifiziertes Flugobjekt) sprechen, hat zum einen den Grund, dass dieser Begriff nicht unmittelbar physische Objekte impliziert, und ist zum anderen dem allgegenwärtigen Stigma geschuldet, welches das Wort Ufo automatisch umgibt.

Ohne den "New York Times"-Artikel und was durch ihn ausgelöst wurde, wäre bis heute gar nichts passiert. Auch seitdem gibt das Pentagon immer nur das Notwendigste öffentlich bekannt, teilweise nach Dementis und langen Verzögerungen. Im Übrigen wurde auch der UAP-Bericht an einem Freitagnachmittag veröffentlicht, eine klassische US-Regierungstaktik, um aufgrund des Wochenendes die geringstmögliche mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Der UAP-Bericht des Pentagon vom Juni 2021.
Screenshot: Pentagon

Gesammelte Daten

Zum zweiten, die Aufgabenstellung, Durchführung und Form.

Für den verpflichtenden Bericht wurde dem Pentagon vom US-Parlament ein ausgesprochen knapper Zeitraum von weniger als einem halben Jahr zur Verfügung gestellt. Und keine Mittel. Also wurde im Pentagon eine Taskforce aus einer handvoll Beamten zusammengestellt, die sämtliche andere amerikanischen Agenturen (Geheimdienste und Militär) nach deren Wissensstand befragte und Daten sammelte. Und so weit wie möglich evaluierte. Diese Ergebnisse wurden dann Ende Juni dem Kongress präsentiert - als (explizit hervorgehoben) „vorläufigen Bericht“. Weitere würden folgen. Der öffentliche Bericht ist neun Seiten stark, netto sechs Seiten. Der inoffizielle Bericht an das Geheimdienst-Komitee des Parlaments, das auch die weiteren Entscheidungen über weitere Vorgehensweisen bestimmt, umfasst ein Vielfaches davon. Bisher gibt es keinen nennenswerten Leaks aus dem geheimen Bericht, nur ein paar wenige Details, zum Beispiel, dass er auch Ergebnisse von Satellitendaten enthält, die im öffentlichen Teil des Berichts nicht einmal erwähnt werden.

Was im öffentlichen Bericht steht

Nun zum Bericht selbst. Der öffentliche Bericht steht online und kann von jedem selbst eingesehen werden. Hier die wichtigsten Punkte und Schlussfolgerungen.

Untersuchungszeitraum: Untersucht wurden Vorfälle von 2004 bis 2021. Das ist leicht irreführend, da bis auf den sehr gut dokumentierten Vorfall von 2004 fast alle anderen Berichte aus dem Jahr 2019 und später stammen, weil es erst seitdem eine Verordnung für die US-Navy gab, alle Vorfälle dieser Art zu melden und weiterzuleiten. Was die Zahl von 144 Fällen noch beachtlicher erscheinen lässt.

Untersuchte Fälle: Es wurden ausschließlich regierungsintern bekannte Berichte untersucht, das heißt solche, die von Militär und Geheimdiensten selbst beobachtet und gemeldet wurden. Wobei der Großteil von der Navy stammt, weil etwa die US-Air-Force eine ähnliche Verordnung zur Meldung erst 2021 implementiert hat. Weiters wird angemerkt, dass die meisten Fälle militärische Operationen behindert oder unterbrochen haben (Seite 4 im Bericht). Wobei es sich dabei auch um „collection bias“ über die Häufigkeit und Verbreitung der Phänomene handeln könne, da bei solchen Operationen besonders großer Wert auf Beobachtungen der Umgebung gerichtet wird (Seite 5).

Art der Objekte: Ein Großteil der Phänomene (80 von 144) stellen physische Objekte dar, da sie auf mehrere Arten gleichzeitig registriert wurden (Seite 3) – inklusive Radar, Infrarot, elektrisch-optisch, durch Waffensuchgeräte („weapon seekers“) und visuelle Beobachtung aus erster Hand durch vertrauenswürdiges (Seite 5) Personal.

Sensorendaten: Auf Seite 2 des Berichts wird darauf hingewiesen, dass davon ausgegangen wird, dass die beobachteten Phänomene auf korrekte und reale Sensordaten beruhen, wenn auch in manchen Fällen Sensoranomalien zugrunde liegen könnten.

Kategorien der Erklärung: 143 der 144 untersuchten Beobachtungen ließen sich nicht aufklären. Für den Fall der späteren Aufklärung wurden folgende mögliche Kategorien geschaffen:

  1. „Airborne Clutter“ („Luftgerümpel“, definiert als Ballone, private Drohnen oder Drachen, Vögel, Plastiksäcke und Ähnliches)
  2. natürliche atmosphärische Phänomene (Eiskristalle und Wärmefluktuationen können manchmal auf Infrarot und Radarsystemen auftauchen)
  3. staatliche oder private Geheimprojekte (auf Seite 5 steht dazu: dass die Taskforce allerdings dies für die untersuchten Fälle nicht bestätigen konnte)
  4. unbekannte ausländische Entwicklungen
  5. „andere“ (dazu steht auf Seite 6, dass es möglicherweise neuer wissenschaftlicher Methoden bedarf, um UAPs  zu verstehen. Insbesondere für die Analyse jener Beobachtungen, bei denen die Objekte scheinbar ungewöhnliche Flugeigenschaften – 18 Objekte in 21 Berichten – und „signature management“ zeigten.)

Signatur Management: Dieser Punkt des Berichts wird selten erwähnt. Er beschreibt, dass von manchen Objekten Radiofrequenzen ausgehen und sie ihre Signatur, also ihr Erscheinungsbild, auf den Messinstrumenten ändern können – etwas, das bei Militärexperten die Augenbrauen besonders hochgehen lässt, weil die eindeutige Signaturzuordnung für beobachtete Objekte oberste Priorität hat (siehe dazu Interview mit Luis Elizondo vom Juli 2021).

Probleme: Als Probleme bei der Datensammlung (Seite 4) wird in erster Linie hervorgehoben, dass solche Sichtungen oft mit einem Stigma behaftet sind und daher nicht oder nur mangelhaft gemeldet werden, sowie die Tatsache, dass die bisher an Bord militärische Maschinen befindlichen Geräte nicht dafür gedacht und geeignet sind, solche Phänomene korrekt wissenschaftlich aufzuzeichnen.

Gefährdung: Die Objekte werden als Gefährdung des Luftraums (Seite 6) eingeschätzt, in elf Fällen wurden von Piloten Beinahe-Zusammenstöße gemeldet.

Weitere Vorgehensweise: Der Bericht empfiehlt für die Zukunft die Standardisierung der Berichte durch Militär und Zivilluftfahrt, Konsolidierung der Daten und eine Vertiefung der Analyse. Dazu wird unter anderem eine bessere Vernetzung zwischen den Agenturen sowie der Einsatz von automatischen Systemen (Künstliche Intelligenz) zur Sondierung der Daten empfohlen. Ebenso die Einbindung aller zivilen Luftfahrtorganisationen. Darüber hinaus sollen historische Fälle ausgewertet werden, insbesondere alle verfügbaren Radardaten.

Schlussfolgerung

Wenn man ein manchmal geäußertes Argument, das alles sei eine absichtliche Verschleierungstaktik und Irreführung durch die amerikanische Regierung oder amerikanische Behörden, beiseite lässt, ergibt sich also folgendes Bild durch den Bericht: Es gibt bislang ungeklärte Phänomene, und die Taskforce regt die bessere Erforschung der Phänomene auf unterschiedliche Weise an.

Eine objektiv vernünftige Einstellung, die sich inzwischen auch in Kreisen der Wissenschaft und auch bei der Nasa durchzusetzen beginnt.
Der Pentagon-Bericht mag bisher wenige konkrete Antworten geliefert haben, aber er belegt ein Umdenken in Sachen Ufos in einem bisher nicht gekannten Maßstab. In den USA und im Gefolge auch im Rest der Welt. (Harald Havas, 30.7.2021)

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